Imitation oder Inspiration - der neue Funke der Nachfolge

Die Nachfolge Jesu scheint heute ihren Glanz verloren zu haben. Nur wenige entscheiden sich noch für den Priester- und Ordensberuf, in den Kirchen muss man junge Leute suchen. Mit Nachfolge Jesu verbinden die meisten die Vorstellung, man werde entmündigt, man müsse sein Denken und seine Gefühle aufgeben, man müsse seine Lebensfreude opfern, man dürfe kein voller und ganzer Mensch sein.
Die Geschichte ist aber voll von Männern und Frauen, die in der Nachfolge Jesu diesem Bild nicht entsprachen. So war der heilige Franziskus ein Mensch, dem echte Lebensfreude selbst in seiner Krankheit und Todesstunde nicht fehlte, sogar der Inbegriff seines Lebensentwurfs war, der den Mut hatte vor den Papst und den Sultan zu treten, der selbst hohe Würdenträger mit der Wahrheit konfrontierte.

Auch Beispiele der jüngsten Zeit beweisen, dass es nicht die Dümmsten und Einfältigsten waren, welche die Nachfolge Jesu gewählt hatten und dafür ihr Leben gaben. Dafür stehen Namen wie Alfred Delp, Dietrich Bonhoeffer und Bernhard Lichtenberg, deren Weitsicht und Klugheit ebenso groß waren wie ihr Mut, der Unmenschlichkeit zu widerstehen.

Das Problem unserer Zeit scheint zu sein, dass man Franziskus und viele andere bewundert, aber keine Wege kennt, etwas von ihrer Größe in das eigene Leben umzusetzen. Man tut vieles aus Verehrung zum Heiligen und in seinem Sinne, und trotzdem gewinnt es nicht die Ausstrahlung und überzeugende Kraft des Ursprungs. Es wird auf die Dauer mühsam, und mancher Eifer erlahmt. Der Verdacht ist, dass man in der bloßen Nachahmung stecken bleibt.

Das entscheidende ist, dass es in uns selbst einen Punkt gibt, der uns von innen her zu dem drängt, was Nachfolge genannt wird. Die erste Aufgabe ist deshalb, ihn zu entdecken und wachzurufen. Man erreicht ihn nicht durch eine moralische Kraftanstrengung, vielmehr eher, in dem man still wird, in sich hineinhorcht und ein Gefühl für das Echte in einem selbst kultiviert, sich den Ansprüchen des Lebens auf allen Ebenen aussetzt und jene innere Autorität zu ertasten versucht, die wir als Christen den Geist Jesu nennen.

Wer sich von der Frage: Was füllt mich aus, was bereichert mich, was gibt mir tieferen Sinn? umtreiben lässt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit auf diesen Punkt in einem selbst stoßen. Es ist eine Erfahrung, in der einem etwas aufgeht, das mit großer innerer Gewissheit und Freude verbunden ist. Dieses Erlebnis führt einen immer weiter. Die ganze Persönlichkeit wandelt sich mit dem, was man für wertvoll und erstrebenswert hält, wie in einem beständigen Wachstum. Bei Franziskus ist von einer machtvollen, inneren Süße die Rede, die ihn durchströmt hatte und die ihn weiter und weiter lockte und sein ganzes Leben lang nicht mehr verließ.
Man darf sogar davon ausgehen, dass man im Willen Gottes für sein Leben sein ureigenstes Wesen erkennt. Das bedeutet aber, dass wir in der Nachfolge Jesu nicht eine fremde Autorität und sei sie noch so edel, nachahmen und damit unsere ureigensten Gefühle überspringen müssen, sondern dass jeder zu der Überzeugung kommt, ganz er  selbst zu sein.

Womit beginnen?

Nachfolge Jesus beginnt nicht bei den großen, bewundernswerten Werken, die uns dann doch überfordern, sondern indem wir zur Ruhe kommen, den Blick nach innen wenden und auf die innere Stimme lauschen, uns inspirieren lassen.
Es geht nicht um Imitation, sondern um Inspiration.

Schauen wir auf das Leben des hl. Franziskus, vor allem auf die Zeit seines Wandlungsprozesses! Sein Lebenskonzept war genau das Gegenteil von dem, was man Unterdrückung der Gefühle nennt. Er war die Spontaneität in Person. Sein Weg begann damit, dass er auf die Vorgänge seines Inneren immer besser und sorgfältiger achten lernte. Nicht umsonst wird von einem Traumgesicht erzählt, das er als Bestätigung seines Entschlusses, nach Apulien zu ziehen, nahm; ebenso dass er eine Stimme hörte, die ihn von einem naiven Verständnis des Traumes wieder abbrachte und ihn in Verlegenheit stürzte, bis ihm endlich Gewissheit wurde.
Die Größe und Eigenart des Heiligen ist alles andere als in einer willentlichen Nachahmung eines fremden Vorbildes und in der Unterwerfung unter einen anderen begründet, sondern in der hohen Sensibilität für das, was in der Tiefe seines Herzens vorging; darin hat er den Willen Gottes als sein Ureigenstes erkannt.

Bei der Nachfolge Jesu kann es sich deshalb niemals um Bevormundung oder Fremdbestimmung handeln, sondern um die Wahrheit des eigenen Lebens, welche auf diesem Weg gefunden wird und zum Durchbruch kommt. Mit "Wahrheit“ ist das gemeint, was man gemeinhin das eigene Wesen nennt, die „innere Natur“ oder das Bild Gottes in uns; es hat mit dem zu tun, was unsere ganz persönliche Eigenart, unsere Individualität ausmacht; es ist jener Kern in uns, der uns Impulse, das ganz Eigene zu riskieren, sendet; eine innere Dynamik, die uns, wenn sie aus dem Urgrund der Seele kommt, zu jener besonderen Form gut zu sein hinführt, die gewöhnlich als die eigene Berufung bezeichnet wird.

Nicht „Opferung“, Verkümmerung des/der Einzelnen, sondern Wachsen und Aufblühen, Entfalten im menschlichen und spirituellen Bereich, nicht Druck, sondern Umgang in Freiheit sind die Kennzeichen einer recht verstandenen Nachfolge.
Es geht darum, dass wir Gott, der wachsen und reifen lässt, der die Freiheit selbst ist, in uns entdecken. Dies ist der Grund, aus dem Franziskus seine großen, bewundernswerten Werke vollbrachte. Als ihm aufging, was Gott von ihm wollte, war dies für ihn das unübertreffliche Glück d.h. seine Form der Selbstverwirklichung. Es heißt in der Dreigefährtenlegende: „Wie Franziskus das las - nämlich die Stelle, alles zu verkaufen und es den Armeen zu geben (Mt 19,21), war seine Freude groß und er dankte Gott.“ (1)

Trauer als Wende

Eine Wende in der Lebensgeschichte eines einzelnen tritt dann ein, wenn der Prozess der Trauer zugelassen wird. Wenn bei einem intensiven, seelsorglichen Gespräch Tränen in die Augen kommen, ist das ein Zeichen, dass jetzt eine Instanz außerhalb des Willens am Werk und die Kontrolle ausgeschaltet sind. Wenn die tieferen Gefühle der Verunsicherung, des Leids, der Ängste zugelassen werden, beginnt eine neue Dynamik. Die Eigentätigkeit der Seele erwacht zu einer Wandlung und Heilung, welche der bloße Verstand nicht herbeiführen kann.
Trauer empfinden wir gewöhnlich, wenn ein lieber Mensch von uns geht.
Trauer kann auch noch vieles andere umfassen als die Wunden, die jede Trennung schlägt. Es kann der Schmerz sein, wenn eine Liebe zerbricht oder das Leid, das ein Kind erfährt, wenn sich die Eltern bekämpfen und verletzen.
Trauer müsste darüber herrschen, dass eine Ordensgemeinschaft nur noch mit Auflösungen beschäftigt ist. Dies wäre der erste Schritt für einen wirkungsvollen neuen Anfang.

Wenn wir unsere eigenen Zweifel und Anfragen erst einmal hochkommen lassen und anschauen, werden wir daran lebendig.
Bei Trauergesprächen zeigt sich immer wieder, dass der Schmerz der Trennung einer Zuversicht und Gelassenheit weicht und Menschen anders, als sie gekommen waren, das Gesprächszimmer  verlassen. Den Willen Gottes für unser Leben finden - meist die für Exerzitien gestellte Aufgabe - heißt in der Situation der Orden heute: die Dynamik der Krise als eine Kraft entdecken, welche verkrustete Schablonen des Denkens und des religiösen Tuns aufbricht, die auf Leidensgeschichten einzelner heilend einwirkt, die schöpferische Keime freisetzt und zu neuen sinnerfüllten Aufgaben befähigt. Statt ständig unerreichbare Ideale vor Augen zu halten, wäre es besser, dort zu beginnen, was bedrückt.
Es ist hier an verschiedene Formen der Selbsterfahrung zu denken, welche emotional entlasten, neue Nähe stiften und die seelische Tiefe erschließen.
An erster Stelle steht dabei Wahrnehmung und Bearbeitung der Träume.
Gerade das Stichwort „Träume“ sagt, dass wir uns hier auf einem Weg befinden, den der hl. Franziskus vor uns gegangen ist.

An ihm können wir absehen, was in der Nachfolge Jesu möglich ist.
Er ist in seiner Persönlichkeit alles andere als verkümmert, vielmehr gewachsen.
Er hat die Angst auf allen Gebieten verloren: die Angst vor seinem Vater, vor dem Auftritt in der Öffentlichkeit, vor den Kardinälen und vor dem Papst, vor dem Sultan und vor den Räubern, vor Einsamkeit und Verlassenheit, vor Verachtung, Entwertung und Sinnlosigkeit, vor dem Leid und vor dem Tod.

1)Franz von Assisi, Legenden und Laude, hgg.von Otto Karrer

Näheres dazu in:

Guido Kreppold, Nachfolge – Vom Glanz, der verlorenging

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Erhältlich bei www.vier-tuerme-verlag.de