31.Sonntag B

1.Lesung: Dtn 6, 26;
2.Lesung: Hebr.7,23 - 28
Evangelium: Mk 12,28b - 34


Das schwierige Gebot

Das Gebot, das uns heute wieder aufgetragen wird, ist schon alt und längst bekannt. Wenn wir es hören, kann es sein, dass da etwas in uns einrastet, so ein Gefühl: Ja, ich möchte das ja gern, aber die großen Schwierigkeiten, die ich damit habe, Gott zu lieben aus ganzem Herzen, mit all meinen Gedanken und meiner ganzen Kraft und den Nächsten wie mich selbst.

Dieses Gebot klingt zunächst sehr einfach, einleuchtend; aber jeder weiß, wie schwer das ist; denn es heißt l i e b e n und nicht nur Pflicht erfüllen. Lieben heißt, mit Zuneigung und  mit Freude dabei sein.
Von Martin Buber stammt die Umschreibung von Liebe: „Ich freue mich, dass es dich gibt“. Im Lieben ist diese Freude entscheidend, dann ist es echte und wahre Liebe. Die Pflicht ist der äußere Rahmen oder das äußere Haus. Es muss erst mit Leben gefüllt werden, dass da Menschen wohnen, Kinder spielen, Menschen zu Hause sind, sich freuen und geborgen sind.
Ein Haus, das nur aus Mauern besteht, wäre kalt und unwohnlich. Erst wenn Menschen eingezogen sind und ihr Leben miteinander teilen, ihr Schicksal, ihr Hab und Gut, und dort leben und sich freuen, dann ist es erst ein richtiges Wohnhaus, dann erst ist es wohnlich.
So ist es auch mit den Beziehungen zu Menschen und zu Gott. Die Pflicht ist der äußere Rahmen, der notwendig ist, das Gesetz, das vorgeschrieben ist. Doch wenn das nicht mit Leben erfüllt wird, dann bleibt es kalt. Aber Gefühle, die Freude am anderen und die Freude an Gott kann man nicht einfach aus sich herausholen. Sympathie und Antipathie sind nicht unserem Willen unterworfen.
Es gibt manche Durststrecken, in denen es uns schwerfällt, zu Gott ja zu sagen. Es gibt Schicksale, die wirklich erschütternd sind, wenn Menschen geprüft werden durch jahrelanges Leid, durch Krankheit, durch Verlust von Angehörigen. Es gibt ein Leid, vor dem man nur verstummen kann. Da Gott auch mit dem Herzen zu lieben, ist nicht leicht. Wir können kein Gefühl hervorbringen. Das muss noch lange nicht heißen, dass wir  deshalb Gott nicht lieben. Von uns wird nur verlangt, dass wir aushalten, bis wieder die Freude kommt; wie unser Leben in Gott so ist auch die Freude verborgen.
Es ist ähnlich wie mit dem Zusammenleben. Die Gefühle reagieren oft anders als unser guter Wille. Manches Unangenehme, oft sogar Verletzende kommt hoch, ohne dass wir es wollen. Wichtig ist, dass wir in einer Beziehung durchhalten und nicht einfach alles hinwerfen.
So befinden wir uns zwischen Begeisterung, wo uns alles leicht fällt, und der harten Pflicht, wo es uns nur mit großer Mühe gelingt, Gott und die Mitmenschen zu bejahen. Es  kann hilfreich sein, in harten Zeiten an die glücklichen Momente zu denken. Eines dürfen wir uns immer vor Augen halten:
Gott wirkt in den Herzen geheimnisvoll und verborgen.
Die russische Schriftstellerin Tatjana Goritschewa spricht in ihrem Buch „Von Gott zu reden ist gefährlich" davon, dass sie in ihrer Jugend- und Studentenzeit mit dem Leben experimentierte. Es war in den achtundsechziger Jahren, als auch bei uns die Studentenunruhen die Straßen bevölkerten. Sie hat nach Weltanschauungen und Philosophien gesucht. Schließlich entdeckte sie Yoga. Bei einer bestimmten Übung ist immer wieder ein Wort, das Mantra zu wiederholen. In dem Yogabüchlein war auch das Vater unser vorgeschlagen. Man sollte es immer wieder aufsagen und die Worte in sich aufnehmen. Sie übte wie vorgeschrieben.
Es wurde alles anders, als sie plötzlich spürte: Da ist tatsächlich ein Vater im Himmel: Es war ihr, als ob in diesem Moment jeder Grashalm jubelte. Eine solche Freude zog ein. Von da an wußte sie: jetzt bin ich gläubig, jetzt glaube ich an Gott. Sie hat sich mit ihren Kommilitonen zusammengetan und mit ihnen weiter über Weltanschauung diskutiert, aber jetzt über die christliche. Sie, die in ihrer Kindheit nie etwas von Gott gehörte hatte, machte einen Zirkel für christliche Weltanschauung auf.
Es entstand eine christliche Gemeinde völlig aus dem Nichts. Es kamen immer mehr dazu, vor allem Intellektuelle, die gewöhnlich distanziert dem Glauben gegenüber stehen. Sie haben gesucht, um gläubig zu werden. Sie gingen in die Klöster und haben dort ihre Sünden bekannt und die Sakramente mit großer Ergriffenheit empfangen.

Die Geschichte dieser Frau ist die Geschichte eines Menschen, welcher die Freude und damit die Liebe zu Gott gefunden hat. Man spürt die Ergriffenheit, die Ehrfurcht und Innigkeit, mit der sie über das Christentum schreibt.
Es sollte uns bewusst werden, dass die Quelle der Liebe in der Tiefe unseres Herzens liegt. Sie öffnet sich dann, wenn wir uns der Sehnsucht nach Echtheit und nach einem erfüllten Leben aussetzen, den Drang nach Experimentieren zulassen und auch die Mühen und das Leid nicht scheuen, die damit verbunden sind.