Franziskushaltung - Fehlhaltung?

Zur Kritik Eugen Drewermanns an Franziskus

Einleitung

Franziskus und Eugen Drewermann sind mir beide wichtig; Franziskus als der liebenswürdige Heilige, als der Erlöste und Erleuchtete; Eugen Drewermann ist der wortgewandte Redner und Schriftsteller, der als Priester, Theologe und Psychoanalytiker in der kirchlich-theologischen Erstarrung ein Tor zur Wirklichkeit geöffnet hat. Wenn er sprach, reichten die Räume kaum aus. In seiner suggestiv-emotional bewegenden Art kann er Tausende selbst mit schwierigen psychologisch-theologischen Themen ansprechen und beeindrucken. Das Befreiende an seinen Aussagen ist, dass er das Erleben der Menschen ernst nimmt, dass er nicht von einer fertigen Erlösungstheorie ausgeht, die die Menschen anzunehmen haben, sondern von dem, wie es um den einzelnen wirklich steht: von seiner Angst, Not, Verlassenheit, Einsamkeit, von seiner Sehnsucht nach Glück und Frieden. Damit trifft er den Zuhörer und Leser ins Herz.

Er scheut sich nicht, die Missstände in der Kirche aufzudecken, und die Gründe der allgemeinen Lethargie beim Namen zu nennen. Im Mittelpunkt seiner Angriffe steht eine Exegese, d.h. Schrift - Auslegung, die sich bei aller Wissenschaftlichkeit in eine Menge von Theorien verliert und nicht fähig ist, einen lebendigen Bezug zum heutigen Menschen herzustellen. ("Tiefenpsychologie und Exegese") In seinem letzten Buch "Die Kleriker" bezeichnet er die Grundhaltung der kirchlichen Berufe bzw. Berufenen als unterdrückt und unterdrückend, als von außen bestimmt und entfremdet und versucht eine psychoanalytische Aufarbeitung.

Jedoch mit seinen pauschalen, wenig differenzierten Angriffen und Verurteilungen, mit seinen weitschweifigen psychoanalytischen, nicht mehr nachvollziehbaren Erklärungsversuchen, mit seinem mangelnden Verständnis für die Eigenart spiritueller Lebenswege, hat er im Raum der Kirche auch viele Sympathien verloren und viele gehen jetzt kritischer und distanzierter an seine Aussagen heran.

In seiner letzten Veröffentlichung geriet selbst der hl. Franziskus in das Schussfeld seiner analysierenden Kritik. Wenn man den heiligen. Franziskus in seiner Echtheit, Originalität, in seiner genialen Art, die Nähe Gottes zu leben, kennt, tut es einem richtig weh, wenn ein Psychoanalytiker die Berufung des Heiligen auf den Hass auf den Vater und Liebe zur Mutter zurückführt. Gerade aber ein solcher Angriff fordert heraus, die berechtigte Kritik Drewermanns an kirchlichen Einstellungen einerseits und andererseits den Weg und die Eigenart des hl. Franziskus noch deutlicher zu sehen und ernst zu nehmen.

Was ist nach Drewermann Franziskushaltung

Drewermann zitiert beim Thema kirchlicher Gehorsam eine Stelle aus der Legende des Thomas Celano, wo der hl.Franziskus sich zum Gehorsam äußerte: „Nimm einen entseelten Körper und lege ihn, wohin du willst: du wirst sehen, er leistet keinen Widerstand gegen die Bewegung, er murrt nicht wider seine Lage, er widerspricht nicht, wenn man ihn liegenlässt. Setzt man ihn auf einen Thron, so richtet er den Blick nicht nach oben, sondern nach unten. Kleidet man ihn in Purpur, so erscheint er doppelt bleich. Das ist der wahrhaft Gehorsame. Er forscht nicht, warum er geschickt wird; er kümmert sich nicht darum, an welchen Platz er gestellt wird; er besteht nicht darauf, dass er versetzt werde. Wird er zu einem Amt befördert, bewahrt er seine gewohnte Demut. Je mehr er geehrt wird, um so unwürdiger erachtet er sich." 1 Hier stellt offensichtlich Franziskus den Kadavergehorsam als das Ideal des vollkommenen Gehorsams hin. Unwillkürlich läßt ein solches Wort - wird es einfach ohne Hintergrund so hingesagt - einen erschrecken. Drewermann prangert an, dass in der Kirche vor allem in den Orden Franziskus als Vorbild des Gehorsams dieser Art hingestellt wurde und wird und somit zur Bildung der kirchlichen Gehorsamshaltung beigetragen hat. Zunächst zur Kritik Drewermanns an der üblichen kirchlichen Auffassung von den evangelischen Räten, die einen wesentlichen Teil des Inhalts "Die Kleriker" ausmacht. Nach ihm geht es beim Ideal des kirchlichen Gehorsams „um die Eskamotierung (das "Austricksen") des eigenen Tuns, um die Auslöschung des eigenen Ichs in seinen Handlungen, um die Verlagerung des Willens vom Ich weg in die Fremdbestimmung durch den Willen anderer"2. Als ersten Beleg führt er Anweisungen des hl. Benedikt zu den 12 Stufen der Demut in seiner Regel an; es geht darin - so Drewermann - um ein System verinnerlichter Außenlenkung, innerhalb denen niemals das eigene, unwürdige, mündige, unzuverlässige und aufsässige Ich, statt denen aber die Weisung anderer: das Vorbild Christi und die Leitung des Oberen bzw. des geistlichen Meisters als maßgebend gilt. Genauso greift er Ignatius von Loyola an, der in seiner Regel ebenfalls das Bild vom Leichnam gebraucht. Zusammengefasst bedeutet Franziskushaltung (nach Drewermann) Unterwürfigkeit, ein Maximum an Fremdbestimmung, die radikale Unmöglichkeit, selbst zu sein, wo nicht mehr der geringste Spielraum für ein irdisches Glück besteht. Man muss bei diesem Angriff zweierlei unterscheiden: 1.) War Franziskus ein solcher Mensch mit höchster Unterwürfigkeit, mit einem Höchstmaß an Außenlenkung, war er nicht er selbst? 2.) Wurden bzw. werden durch Berufung auf Franziskus und seinen vollkommenen Gehorsam nicht tatsächlich solche Menschen erzeugt bzw. als Ziel verlangt? Mit anderen Worten: Liegt es an Franziskus selbst, dass in der Befolgung seiner Ideale Menschen seelisch verkümmern, unkritisch und autoritätshörig werden oder an der Torheit derer, welche die Nachfolge lehren? Drewermann behauptet, es liege an Franziskus selbst. Als Psychoanalytiker Freudscher Richtung versucht er, eine Analyse des Klerikerseins, d.h. eines dem Überich total Unterworfenen zu geben. Die Psychogenese, d.h. die Entwicklung der frühen Kindheit eines Erwachsenen, der eine vollständig verinnerlichte Gehorsamsstruktur aufweist, ist wesentlich durch einen strengen, herrisch auftretenden Vater und eine weiche, nachgiebige Mutter bestimmt. Indem sich das Kind mit dem Aggressor identifiziert, macht es sich den gefürchteten Vater zum Teil seines Selbst. Er bleibt sein Leben eine immer kontrollierende, immer abwertende, anmahnende Instanz, welche Freud als „Überich" bezeichnet. Das eigene Denken, Wahrnehmen, Urteilen und Wollen gilt nichts; Von Wert ist nur, was der Vater sagt, denkt und will. Es bildet sich eine psychische Struktur, welche später genau in den Rahmen von Befehl und Gehorsam hineinpasst. Der Ort der Wahrheit liegt immer außerhalb der eigenen Person, der einzelne darf seiner eigenen Erfahrung nicht trauen. "Wenn jeder so denken würde!" konnte man von einem besorgten Oberen hören. Wie war das nun bei Franziskus? Drewermann berücksichtigt sehr wohl, dass Franziskus in der Zeit seiner Bekehrung sich gegen den Vater aufgelehnt hat und daß der Vater gegen ihn aufgebracht war. Bekannt ist jene Szene vor dem Bischof, wo Franziskus nicht nur das Geld, sondern auch die Kleider zurückgibt und die Worte spricht:. „Bis jetzt habe Vater Bernardone gesagt, jetzt sage ich Vater im Himmel." Auf den ersten Anhieb müsste man meinen, hier liege ein klarer Fall vor, wie ein junger Mann dem Bereich des Vaters entwächst, sein Überich abschüttelt. Aber wie kann' es dann sein, dass Franziskus dann zum absoluten Gehorsam auffordert, wo er doch selbst so ungehorsam war, fragt Eugen Drewermann.

Nun zeigt sich, wie Drewermann ganz und gar aus dem Freudschen Denken kommt, wo alle Reaktionen der späteren Jahre auf die frühe Kindheit und auf die Konstellation von Vater und Mutter zurückgeführt werden. Franziskus ist nach ihm in seiner religiösen Berufung der Tendenz erlegen, seelisch mit der Mutter zu verschmelzen. Die Szene vor dem Bischof ist eine Befreiung aus den Händen des strengen Vaters in das zum Gottesbild überhöhte Seelenbild der Mutter; Im Vater im Himmel kommt er seiner Mutter nahe - so die psychoanalytische Deutung. Von ihr, die dem Vater immer und absolut gehorsam war, übernimmt er die Haltung des absoluten Gehorsams. "Nach dem Vorbild der Mutter gehorsam zu sein und der zum Gottesbild erhobenen Mutter-Imago gehorsam zu werden verfestigt sich somit in dem unabdingbaren Bestand eines heiligmäßigen Lebens". Der Gehorsam der inneren Stimme gegenüber, die für Franziskus die Stimme Christi ist, wird als Gehorsam seiner Mutter gegenüber interpretiert. Auch den Wunsch des Heiligen, an der Seite Christi zu leiden - so Drewermann - bis hin zu der Abbildung der Wundmale Jesu am eigenen Leib, begreifen wir recht gut, wenn wir in der inzwischen schon gewohnten Weise an die Stelle Christi das Bild bzw. die Person der Mutter setzen:

Mit ihr zu verschmelzen gegen den Vater wird der eigentliche Lebensinhalt.3 Ebenso deutet Drewermann die Absicht des Franziskus, die.Mutter Kirche zu erneuern, als den Versuch, die Mutter aus den Klauen des geldgierigen und machtbesessenen Händlers Pietro Bernardone zu befreien.

Zunächst unsere Reaktion auf solche Erklärungen: Es wird uns einfach in allem, was wir an Franziskus schätzten, sein Mut, er selbst zu sein, seine religiöse Hingabe, seine Christus Liebe, der Boden entzogen. Durch solche Äußerungen sind der Ärger und die Angst vor der Psychoanalyse zu verstehen, die innerhalb der Kirche vorhanden sind. "Vater im Himmel" ist nicht mehr das in die Freiheit führende, unendlich gütige Wesen, sondern die Mutter, ebenso ist die Liebe zu Christus der infantile Sog zur Mutter; genauso verhält es sich mit der Kirche. Demnach wäre Franziskus ein hochneurotischer Mensch gewesen, der niemals er selbst war. Die Abwehr gegen Psychoanalyse im Raum Kirche-wird auf diese Weise geradezu provoziert.

Die einem Nicht-Fachmann in Sachen Psychoanalyse recht merkwürdig anmutenden Zusammenhänge - dass der Vater im Himmel plötzlich die Mutter sein soll - können nur einen Psychoanalytiker überzeugen, der aus dem engen Rahmen der Freudschen Trieb- und Instanzenlehre nicht hinausschauen kann. Obwohl Drewermann auch Jung kennt, obwohl er auch vom inneren Christus spricht, hat bei ihm das Bild der Seele im Sinne Jungs, keinerlei Bedeutung, um einen Mann, der eine Epoche geprägt hat, zu verstehen. Nach Jung gibt es ein zentrales Urbild der Seele, das Selbst, welches der Ort der religiösen Urerfahrung ist. Diese ist eine Erfahrung eigener Art, überschreitet die Prägungen der frühen Kindheit und kann deshalb nicht auf Beziehungskonflikte zwischen Vater, Mutter, Kind zurückgeführt werden.

Der Vater im Himmel ist danach tatsächlich jener transzendente Urgrund, jene Fülle an Güte, von der Jesus in der Bergpredigt spricht und Christus bleibt Christus, als der, der erlöst und befreit. Zugleich vertritt Christus auch das zentrale Seelenbild, welches diesseitig und jenseitig das wahre, eigentliche Wesen eines Menschen ausmacht. Christus ähnlich werden bedeutet in diesem Sinn für jeden, der an dieses Urbild angeschlossen ist, er selber werden; bedeutet aber zugleich, dass das kleine Ich nicht aufgebläht, sondern an das große Selbst angeglichen wird. Christus gehorchen schließt die Se1bstwerdung und Selbstfindung mit ein.

Nie hätte Franziskus so Großes und so Schönes vermocht, wenn er nicht sein Ureigenstes entdeckt hätte in dem, was in der Gefährtenlegende mit vera religio bezeichnet wird, die man als die wahre Gottesnähe, Unmittelbarkeit zu Gott verstehen darf.

Was sollen wir trotz allem mit dem Kadavergehorsam anfangen, der doch offensichtlich in den Worten des Franziskus gefordert wird?

Um den Gehorsam, wie Franziskus ihn gemeint hat, zu verstehen, müssen wir auch noch andere Texte heranziehen: In der endgültigen Regel steht zum Verhalten der Oberen folgendes:

„Und die Minister aber sollen sie voll Liebe und Güte aufnehmen und ihnen mit so großer und herzlicher Liebe begegnen, dass sie mit ihnen reden und umgehen können wie Herren mit ihren Dienern; denn so muss es sein, dass die Minister die Diener aller Brüder sind . H) Die Bezeichnung "minister" - „Diener" für Obere hat Franziskus eingeführt und hat das sehr wörtlich verstanden. Das Wort „Oberer" und damit „Unterer" "Untergebener" sollte gar nicht vorkommen. In der unbestätigten Regel heißt es von den Ministern: „Und niemand soll in dieser Lebensweise "Prior" genannt werden, sondern alle sollen einfachhin "Mindere Brüder" heißen. Und einer wasche die anderen Füße".4

Bei Bonaventura steht über den Gehorsam des Franziskus folgendes: "Um alle Forderungen einer vollkommenen Demut zu erfüllen, machte er sich gern nicht bloß seinen Oberen, sondern auch seinen Untergebenen untertan. So gelobte er oft seinem Reisebegleiter Gehorsam, mochte dieser auch noch so einfältig sein. Er wollte nämlich nicht als Vorgesetzter kraft seines Amtes befehlen, sondern wie ein Diener und Knecht aus Demut auch den Untergebenen gehorchen". 5

Es kann also niemals darum gehen, dass Franziskus die bloße willenlose Unterwerfung von seelisch Toten einfordert, sondern ein Zusammensein auf gleicher Stufe; der Obere soll sich sogar unter die anderen Brüder stellen; darauf ist auch die Aussage des Bildes vom Leichnam bezogen. Ausgeschlossen ist deshalb eine Haltung, die sich für eine bloße Befehl -Gehorsams-Struktur auf den hl. Franziskus beruft. Ein Leitungsstil kann deshalb nur dann im Sinne des hl. Franziskus sein, wenn Entscheidungen aus dem Anhören und Ernstnehmen aller Beteiligten gefällt werden.

Die Kritik Drewermanns an der kirchlich üblichen Auffassung, mit der man den Gehorsam gegenüber dem Oberen mit dem Gehorsam Gott gegenüber gleichsetzt, findet in der Lebensgeschichte des Franziskus selbst seine Bestätigung. Er begann sein neues Leben nicht damit, dass er sich von heute auf morgen dem Willen eines Höhergestellten oder einer Institution mit einer vorgegebenen Lebensform unterwarf, sondern indem er eine hohe Sensibilität für innere Vorgänge, eine existentielle Wachheit für die Wahrheit seines Lebens entwickelter Dies kommt am deutlichsten in einem Gebet in der Zeit seiner inneren Wandlung zum Ausdruck.

Es lautet: „Höchster, glorreicher Gott, erleuchte die Finsternisse meines Herzens und schenke mir rechten Glauben, gefestigte Hoffnung und vollendete Liebe. Gib mir, Herr, das rechte Empfinden und Erkennen, damit ich deinen heiligen und wahrhaften Auftrag erfülle".6

Es geht also primär um das rechte Empfinden und Erkennen, um das innere Organ, mit dem er den Auftrag Gottes- für sein Leben wahrnimmt. Das bedeutet für uns: Nie wird es gelingen, ähnlich wie Franziskus zu leben, wenn wir diesen Schritt überspringen, wenn wir dieses Organ der inneren Wahrnehmung in uns nicht wecken. Der je eigene Auftrag Gottes an uns, der mit unserer Selbstwerdung und unserem Glück identisch ist, kann nicht durch bloße Anpassung an schon bestehende Verhältnisse, bzw. durch Unterwerfung des eigenen Willens einem Oberen gegenüber erfüllt werden. Franziskus ist zunächst der Stimme seiner Träume und Visionen gefolgt - gewiss mit einem harten, ernsthaften, selbstkritischen Sinn. Er wurde so zum radikalen Einzelgänger. Aber erst so schuf er die Grundlage für ein Zusammenleben auf einer neuen Basis. In den ersten Jahren des gemeinsamen Lebens mit den Brüdern war er in seiner Gehorsamsauffassung sehr mild, erst später als der Orden nicht mehr überschaubar war, wurde er strenger. Franziskus hat aber die Gefahr nicht gesehen, die durch den strengen Gehorsam entsteht: dass der Orden steril, verhärtet und rein gesetzlich wird, wenn der freien Entfaltung, der Spontaneität, dem Einfallsreichtum des einzelnen kein Raum gegeben wird. Gegen die spirituelle und geistige Austrocknung des Ordens haben sich denn auch immer wieder Brüder aufgelehnt und eigene Wege gesucht. Deshalb liefert die Geschichte des Franziskanerordens genügend Beispiele, wo suchende Menschen aus der inneren Nähe zu Franziskus gegen die Struktur des Ordens aufbegehrten. Eines davon ist

die Gründung des Kapuzinerordens.

Sie begann damit, dass Franziskaner Mathäus von Bascio eines Nachts heimlich sein Kloster verließ und sich auf den Weg nach Rom machte. Er gehörte zu denen im Orden, die die Freiheit für die ursprüngliche Regel forderten aber bei ihren Oberen kein Verständnis fanden. „Er war davon überzeugt, dass der Gehorsam den Oberen gegenüber dort aufhöre, wo er in Zwiestreit mit der Regeltreue und dem klar erkannten Willen Gottes gerät". 7

Vom Papst holte er sich die mündliche Erlaubnis so zu leben, wie es seiner Überzeugung entsprach. Im folgten noch andere Franziskaner, die sich zum Leben im urspüng1ichen Geist gegen den Willen ihres Provinzials zusammenschlossen. Sie waren formal im Ungehorsam. Deshalb ließ sie der Provinzial suchen, um sie zu bestrafen. Mathäus hatte sich selbst gestellt. „In Anbetracht der Unrast, die bereits so viele Brüder ergriffen hatte, glaubte Johannes, der Provinzial, die Wohlfahrt des Ordens fordere die strengste Strafe, ließ demgemäß Mathäus im Klösterchen Forano einkerkern, wo ihn Einsamkeit, Fasten und Bußübungen einer gehorsameren Gesinnung zugänglich machen sollten".8

Auf Befehl der Landesfürstin jedoch wurde er nach einem halben Jahr wieder auf freien Fuß gesetzt. Die anderen Brüder, die es ihm gleichtaten, wurden zwar gesucht, konnten aber nach langen Widrigkeiten ihre eigene Lebensform durchsetzen, welche dann als eigener Orden nämlich der Kapuziner weiterlebte.

Franziskushaltung wird dann zur Fehlhaltung, wenn darunter verstanden wird: unterwürfig und abhängig sein und bleiben; sich das eigene Denken, Fühlen und Wollen nicht gestatten; indem man sich nur auf Weisungen von außen, bzw. von oben verlässt, nie sein eigenes Leben riskiert und dabei seelisch verkümmert. So hat Franziskus weder gedacht noch gehandelt. Wenn wir ihn jedoch richtig verstehen, so bedeutet das zunächst eine lange Zeit des eigenständigen, existentiellen Suchens, wo wir eine hohe Sensibilität für Gefühle und spirituelle innere Vorgänge entwickeln. So könnte es gelingen, dass wir zu einer vergleichbaren Tiefe der Gotteserfahrung kommen, zu einer ähnlichen Güte gegenüber Menschen und allen Geschöpfen und zu einem vielgestaltigen Reichtum des Lebens.

 

1 Thomas von Celano: Leben und Wunder des heiligen Franziskus von Assisi, II, Kap 112

2 Eugen Drewermann: Die Kleriker, Olten 1990/ 427

3 ebenda, 468

4 Die nicht bestätigte Regel des Minderbrüderordens, in Franziskusquellen NbR,6,1

5 Bonaventura, in Franziskusquellen, LM III,4

6 Franziskusquellen,GebKr

7 Lazaro Iriarte, Der Franziskanerorden, Altötting,1984,151

8 Cuthbert /Wildlöcher: Die Kapuziner, München 1931,49