Der Traum vom neuen Menschen

 

„Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu". (Offb 21, 5)

1. Neue  und alte Suche

Auf der Suche
nach dem neuen Menschen

strömten

in den 70-Jahren massenhaft, Psychologen, Journalisten, Ärzte, Manager zu Shree Rajnesh Bhagwan in Poona, und kehrten z.T. mit Psychosen zurück.

reisen

heute noch Ungezählte nach Indien, Nepal, Thailand und Japan, um in den buddhistischen Klöstern Religion zu erleben.

werden

in renommierten Zeitschriften die Angebote von Magierinnen, Wahrsagern und Heilern mit Interesse gelesen und aufgegriffen.

entstehen

in traditionsgebundenen Gebieten buddhistische Zentren, Sekten - Gemeinschaften und esoterische Zirkel voller junger, sympathischer Menschen.

wächst

mit der Schulbildung das Interesse für Esoterik (Gerhard Schmidtchen).


Die Fakten belegen, dass Wohlstand und Leistung, Emanzipation von Kirche und Tradition, Brechen aller Tabus nicht das große Glück gebracht haben. Immer mehr empfinden die moderne Welt als kalt und leer. Zum Druck der Arbeit kommt häufig das Zerbrechen des privaten Bereichs.                    

Eine Untersuchung zum Wertewandel in der westlichen Welt kommt zu dem Ergebnis, dass der Anteil der Bevölkerung, welcher der religiösen Tradition verhaftet ist, abnimmt(noch 24%), ebenso auch jener ,der auf Erfolg, Konsum, technologische und naturwissenschaftliche Lösungen setzt(47%), hingegen Menschen im Kommen sind, die bewusster leben, innere Werte verwirklichen, auf die Umwelt Rücksicht nehmen, die kulturell kreativ sind, die nach dem neuen Menschen suchen,  (von3% auf 29% gestiegen).(1)

Der Mensch unserer Zeit hat seine Seele verloren".                                                  Dieses Zitat des Tiefenpsychologen C. G.Jungs aus der Zeit vor fast hundert Jahren bewahrheitet sich immer mehr.  Unter  „Seele" versteht er den  Ausdruck tieferen Empfindens, der Intuition, der Sensibilität dafür, was zu einem  passt und was nicht passt. Der moderne Mensch  sucht sie in den Mythen der Völker, in fremden Kulturen und religiösen Praktiken, in mysteriösen Handlungen und glaubt, darin den neuen Menschen zu finden. Dieser ist es, der  wie kaum ein anderes Thema die Gemüter unserer Zeit aufwühlt  und beherrscht.

Bei genauer Betrachtung fällt auf, dass der Mythos vom neuen Menschen  auch die Naturwissenschaften wie kaum zuvor beschäftigt und die öffentliche Diskussion um therapeutisches und reproduktives Klonen, um Stammzellenforschung, um Eingriffe in das Genom, d.h. in die Erbsubstanz erhitzt.  Dahinter steht  die Vorstellung, bessere, fehler- und krankheitsfreie Menschen  erzeugen zu können.

 

 

     

Der Traum vom neuen Menschen und von einer neuen Welt ist so alt wie die Menschheit. Jung entdeckte in gnostischen Schriften des Altertums den Mythos vom größeren, zukünftigen Menschen (anthropos). Damals schon hat viele die Frage umgetrieben, ob der Mensch in seinem jetzigen Zustand, in seiner Ohnmacht, in seiner Zerrissenheit, in seiner Vergänglichkeit und in seinem Elend für immer verharren müsse. Es war die Vorstellung verbreitet, man könne gewandelt werden und   die Gegensätze Vernunft und Gefühl, von Sterblichkeit und Ewigkeitshoffnung überwinden. Dies erwartete man sich von den Mysterienreligionen, deren Einweihungswege große Verbreitung fanden.

Das Thema des neuen Menschen als faszinierendes Ziel hat als erster in unserer Zeit Friedrich Nietzsche aufgegriffen. Für ihn war es der „Übermensch", der sich „jenseits von Gut und Böse", d.h. unabhängig von bürgerlichen Moralvorstellungen verwirklicht. Auf ihn beriefen sich die Nationalsozialisten, als sie ihren Mythos vom Herrenmenschen in die Tat umsetzten. Ähnlich brutal war auch der Versuch in den sogenannten sozialistischen Staaten, einen neuen Menschen zu schaffen. Beiden Ideologien ist gemeinsam, dass sie den konkreten Einzelnen in seiner Würde und Unantastbarkeit übersahen und vor allem die Meinung vertraten, der Mensch sei von außen machbar und bestimmbar.

2. Träume vom  neuen  Menschen

 

Die Vision vom Kloster

Aus einem Gespräch mit einem Mann um die vierzig, welcher mit dem, was Kirche ist und anbietet, nicht allzu viel anfangen kann, ergeben sich einige interessante Hinweise.

Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann, hatte eine Familie. Aber dann sei  ihm alles zerbrochen. Er hatte  alles auf Aktien gesetzt. Als die Kurse einbrachen, verlor er sein ganzes Vermögen. Ebenso zerbrach seine Familie. Jetzt ist er dabei, seine Schulden abzuzahlen. Er will mit einer neuen Frau zusammenziehen. Aber da überfällt ihn wieder die Unsicherheit, ob es wohl gut gehen wird. Immer wieder fühlt er sich von Bekannten enttäuscht. Kleine kritische oft im Spaß gemachte Bemerkungen können ihn furchtbar entmutigen. Andererseits kommen wildfremde Leute zu ihm,  und sind froh, dass sie ganz unverhofft ihr Herz ausschütten können. Er genießt das Vertrauen vieler.

Er träumt von einer Gemeinschaft, wo kreatives Handeln ansteckend ist,     Kritik am Bisherigen möglich und neue Ansätze des spirituellen Lebens wie eines neuen Lebensgefühls   willkommen sind, wo gegenseitige Annahme , wo  Freiheit und Nähe,  Sehnsucht und Erfüllung zusammengehen. 

 Voller Begeisterung erzählt er von seinen ersten Selbsterfahrungskursen. Da sei es ganz anders gewesen als im so trüben Alltag. Da habe er eine völlig neue Welt kennen gelernt. Es sei möglich gewesen, offen aufeinander zuzugehen, einander zu sagen, was einen bedrückt. Es war eine Atmosphäre der gegenseitigen Annahme und Herzlichkeit.  Man musste sich nicht vor einander in Acht nehmen, sich verteidigen, sondern man durfte sich einmal so zeigen, wie man wirklich ist.

 Menschen, denen er anschließend begegnete, wunderten sich über seine ausstrahlende Freundlichkeit. Er selbst musste aber  bald einsehen, dass die neue Art, miteinander umzugehen, sehr bald an Grenzen stieß. Er spürte die Härte und Kälte seiner Umwelt und der täglichen Belastung umso intensiver. Und dann kommt er auf einen Traum zu sprechen, den er schon lange hegt:

Er möchte ein Kloster gründen, in dem es so zugeht, wie er es auf dem Seminar des positiven Denkens erlebt hatte. Er stellt sich vor, man könne dorthin kommen, und dort diese Atmosphäre der  Freiheit, der Leichtigkeit, des Wohlwollens,  der gegenseitigen Annahme antreffen, das vom eigenen Können anbieten, was anderen gut tut, einen Raum aufbauen, wo nicht Misstrauen, Übervorteilung, Ängste und  nackte Gewalt  herrschen, sondern ein Leben im gegenseitigen Vertrauen, das echte Heimat sein kann.

Der Geist des heiligen Franziskus

  Vergleichen wir damit einen  mittelalterlichen Bericht über das Leben der ersten Brüder heiligen Franziskus, können wir einige Parallelen entdecken. Wir lesen da folgendes:

„Besonders aber geht es uns darum, von dem Orden zu sprechen, dessen Vater und Erhalter er ebenso in Liebe, wie in Bekennermut war.

Von welcher Liebesglut waren die neuen Jünger Christi entflammt! Welche Liebe zu frommer Gemeinschaft war in ihnen lebendig! Wenn sie sich nämlich irgendwo trafen oder auf dem Weg irgendwo begegneten, sprang ein Pfeil geistiger Liebe über, der über alle natürliche Zuneigung den Samen einer wahren, höheren Liebe streute.

Was ist damit gemeint?

Züchtige Umarmungen, zarte Hinneigung; heiliger Kuss, traute Gespräche, bescheidenes Lächeln, frohe Mienen, unverdorbenes Auge, demütige Aufmerksamkeit, gewinnende Sprache, freundliche Antwort, dasselbe Ziel, pünktlicher Gehorsam, unermüdliche Dienstfertigkeit... Voll Sehnsucht suchten sie zusammenzukommen, umso größer war ihre Freude, zusammen zu sein, schwer war dagegen die Trennung von einander, bitter das Scheiden, hart das Geschiedensein......deshalb waren sie überall voll Zuversicht, von keiner Furcht befangen, , von keiner Sorge zerstreut, und ohne Besorgnis sahen sie dem morgigen Tag entgegen....

Kein Neid, keine Bosheit, kein Groll, kein Widerspruch, kein Argwohn, keine Bitterkeit hatte bei ihnen Platz, vielmehr wohnten große Eintracht, dauernder Friede, Danksagung und Lobgesang bei ihnen...(2)

In der Schilderung des franziskanischen Ursprungs taucht vieles von dem auf, wovon  der  Mann mit der Vision  vom Kloster träumt. Wir dürfen an die spontane Herzlichkeit denken, mit der die ersten Brüder einander begegnen, an die Freude  und Heiterkeit im Umgang mit einander, die Liebesglut, die einander angezogen hat.

 

Sehnsucht nach einem alternativen Lebensgefühl

Man könnte  die  tieferen Wünsche vieler  an das Leben, die hinter den so genannten Visionen von einer alternativen Gesellschaft stecken,  so formulieren:

Gesucht ist eine innere  Gestimmtheit, die stärker, dichter, lebendiger  und echter ist als der bisherige ausgehöhlte, langweilige, geistlose Alltag. Gemeint ist   mehr als eine gute Laune. Man würde sich  die „Heiterkeit des Geistes " wünschen, die    Franziskus lebte und   seinen Brüdern empfahl.

Er bräuchte Räume des Aufatmens  gegen Angst und Überforderung, eine geistige und emotionale  Heimat gegenüber der Verlorenheit und Anonymität einer globalisierten Welt.

Die Frage steht im Vordergrund: Wo gibt es emotionale Entlastung und Sicherheit? Wo findet man das dichtere Erleben?

Man sucht nach einem heilenden und ganzmachenden Erleben, das einen der Langweile und Ausweglosigkeit des Daseins, der inneren Isolierung und Zerrissenheit entreißt, nach der Erfahrung, von einem Gefühl überwältigt und getragen zu sein und wieder Kraft in sich zu spüren.

Weil das Alte nicht mehr trägt - so konnte man hören - experimentiert man mit Neuem. Dazu gehören auch alle sogenannten esoterischen Praktiken. Man möchte Schutz und Orientierung vor den Gefahren der Zukunft, im Grunde dem verwirrenden Chaos der Gefühle entrinnen.

3. Der neue Mensch im Rahmen der Geschichte

Um die Sinnkrise des modernen Menschen und seinen Wunsch nach Neuem  in ihrem vollen Ausmaß zu verstehen, muss man die ganze Art zu denken, zu fühlen und zu handeln in der Tradition des Westens und des Ostens genauer betrachten.

Der mittelalterliche  Mensch war geprägt durch seine Nähe zum schöpferischen Ursprung. Aus dieser Haltung wurden unschätzbare Werte geschaffen. Die Aussagekraft einer romanischen Basilika und einer gotischen Kathedrale zieht heute noch Millionen an. Es sind nicht die Glaspaläste, die Touristen aufsuchen, sondern Orte und Gebäude mit der Kraft der Tradition, wo sie etwas von der  Einheit des Menschen mit dem Kosmos spüren.

Allerdings war  die Nähe zu den Tiefen der Seele und des Kosmos, zu den Emotionen und religiösen Erfahrungen zugleich mit einer erschreckenden Unbewusstheit im Denken und Handeln verbunden. Der Teil der Seele, aus dem die spontanen Impulse und Kräfte kommen, hat auch eine sehr dunkle Seite.  Es bildete sich das, was wir als das finstere Mittelalter mit Inquisition, Aberglauben und Hexenverfolgungen bezeichnen.

Es war zweifellos ein  großer Fortschritt in der Entwicklung der Menschheit, als die Aufklärung diese Verirrungen beseitigte. Das Erwachen des rationalen Bewusstseins, d.h. des rational logischen Wissens um sich selbst und um die äußeren Zusammenhänge der Welt hat in Europa stattgefunden. Damit verband sich technischer Fortschritt und  der Sinn für den Wert des Einzelnen.  Es kam allerdings so weit, dass technische und naturwissenschaftliche Erkenntnisse für den Fortschritt als solchen gehalten wurden.

In Wirklichkeit ging mit der Überbetonung des rationalen Bewusstseins die Verbindung zu den schöpferischen, ordnenden, heilenden Kräften der Seele verloren. Dies macht den Sinn- und Seelenverlust des modernen Menschen aus, seine Unfähigkeit, mit seinen Gefühlen  zurechtzukommen, den Bereich der Instinkte und des  Religiösen  zu einer sinnvollen Ordnung zusammenzubringen.                                                   „Jede Erweiterung und Verstärkung des rationalen Bewusstseins führt uns weiter weg von den Quellen der Symbole. Durch seine Übermacht (des rationalen Bew.) wird das Verständnis der letzteren verhindert "(3).  

„Unsere moderne Einstellung blickt stolz auf die Nebel von Aberglauben und mittelalterlicher  oder primitiver Leichtgläubigkeit zurück und vergisst vollständig, dass wir die ganze Vergangenheit in den tieferen Stockwerken des Wolkenkratzers unseres rationalen Bewusstseins  mit uns tragen. Ohne diese tieferen Schichten hängt unser Geist in der Luft"(4).

Das Mittelalter, verstanden als sinnspendende, als geistige, schöpferische Kraft in uns, ist verdrängt.  Inzwischen ist aber ein großes Interesse für den Geist des Mittelalters erwacht. Die Mystiker  Meister Eckehard und nicht zuletzt der heilige Franziskus finden ungeahnte Aufmerksamkeit.

Man könnte sogar sagen: auf der Suche nach dem Mittelalter fahren viele   Europäer,  nach Ostasien, weil sie   dort einer noch mittelalterlichen, sogar noch antiken Kultur begegnen. Sie wollen etwas von  der ganz anderen Seite der menschlichen Existenz kennen lernen, sie  suchen  Religion pur. Damit ist gemeint: ergriffen sein von einer Kraft,  die stärker ist als alles andere, als alle verwirrenden Impulse,  die beglückt und versöhnt,  die unnennbar ist. Man   merkt allmählich, dass man ohne Gefühl und ohne Religion nur ein halber Mensch  ist. Es ist der Drang zur Ganzheit, der Menschen zu dieser Suche antreibt.                                                                           Die Aufgabe besteht darin,  die Verbindung zu diesen Kräften wieder zu finden,  ohne das Rationale aufzugeben. Jung berichtet vom Traum eines Patienten, in dem es darum geht, den „Gibbon", den tierischen Ahnen des Menschen, wiederzustellen. Es bedeutet den Wiederaufbau der instinktiven Persönlichkeit  innerhalb der Bewusstseinshierarchie. Offensichtlich handelt es sich um einen Prozess der Wandlung des Patienten, an dem dieser nur indirekt beteiligt ist. Es geschieht mit ihm. Seine abgespaltene Instinktwelt wird reintegriert, er ist auf dem Weg zur Ganzheit.  In einem späteren Traum findet unter großer Beteiligung der Öffentlichkeit die Verwandlung von Tieren in menschliche Wesen statt. Den intensivsten Eindruck hinterlässt ein Kirchentraum, in dem eine Stimme sagt: "Aus der Mitte deines Lebens sollst du deine Religion gebären"! Dem glaubenslosen Patienten wird klar gemacht, dass „die Fülle des Lebens" die einzig legitime  Quelle der Religion ist.  .

Er wird ein anderer, ein neuer Mensch.

Der neue Mensch wird dann Wirklichkeit, wenn sich die Neuzeit mit dem Mittelalter in uns, das heißt das rationale Bewusstsein mit  den schöpferischen, spontan wirkenden und existentiell tragenden Kräften des Unbewussten verbinden. Dies ist möglich, weil ein innerer Drang, der Archetyp der Ganzheit, das Selbst von sich aus den Prozess der Verbindung will und vorantreibt. Wir können in den Träumen die Absicht dieser obersten Instanz, des Archetyps des Selbst erkennen. Welche Themen kommen in den Träumen vor? Zum Beispiel das Thema des Weges, des Schattens, der Anima- Animus-Figur, des zentralen Archetyps des Selbst.

3. Der neue Mensch   der Psychologie                                                                     Namhafte Psychologen haben sich der Sinnfrage angenommen und sie als Thema des neuen Menschen gesehen. Die Tiefenpsychologie Jungs und die humanistische und transpersonale  Psychologie, verbunden mit den Namen Carl Rogers, Ruth Cohn, Abraham Maslow, Viktor Frankl, Erich Fromm, Stanislav Grof versucht eine Antwort auf die Sinnleere der vom bloßen wirtschaftlichen Streben enttäuschten Menschen zu finden. Man kam davon ab, in Kategorien von gesund und krank zu denken, sondern sieht im Menschen ein geistiges Potential, das ihn zu einem erfüllten Leben führen will.

Jung sprach von einer außerhalb des Bewusstseins liegenden Instanz, welche die Entwicklung zum größeren Umfang der Persönlichkeit anregt und steuert. Er nennt diesen Punkt das Selbst. Als zentrale, eigentätig wirkende Kraft, als Archetyp der Ganzheit (14) ist das Selbst sowohl der schöpferische Keim als auch Ziel und Umfang der Persönlichkeitsentwicklung. Das heißt der neue Mensch ist im Kern der Persönlichkeit angelegt.

Wesentliche Bestimmungen sind Vereinigung der Gegensätze, Numinosität, schöpferischer Charakter und Sinnhaftigkeit.

Das heißt, das Selbst ist der Grad an persönlicher Reife, wo die Punkte unseres Lebens, die uns zu zerreißen drohen, zusammengebracht sind. Die Erfahrung des Selbst ist deshalb ein Zustand äußerster Harmonie und inneren Friedens (15). Vereinigung der Gegensätze ist ein anderes Wort für die Lösung der Probleme, die die Menschen quälen, unter anderem wie sich Nähe mit Distanz, eigene Identität mit den Anforderungen der Umgebung, kritisches Denken mit religiöser Ergriffenheit, die Ansprüche der Triebe mit dem geistigen Erleben verbinden lassen.

 

Carl Rogers hat aufgrund seiner eigenen Entwicklung und der Beobachtungen an seinen Klienten einen Menschentyp beschrieben, der anders ist als jener von der bisherigen Gesellschaft geprägte. Er nennt ihn den „neuen Menschen" (15). Sein Konzept ist nicht auf Glücklich- und Zufriedensein abgestimmt, sondern begreift das Leben als herausfordernd, bedeutungsvoll, ansprechend und lohnend. Er fand in seiner Praxis Menschen, die sich durch Echtheit und Wahrheitsliebe auszeichnen, durch Aufgeschlossenheit für neue Gedanken und Entwicklungen, ebenso durch die Fähigkeit, Anteilnahme und Nähe zu zeigen. Wichtig ist ihnen die Verbundenheit mit der Natur, mit ihr in Einklang zu leben und alles dafür zu tun, dass sie nicht noch mehr zerstört wird. Weiter sind sie skeptisch gegenüber Institutionen. Sie vertrauen ihrer eigenen Autorität und nehmen die Verantwortung für Entscheidungen wahr. Einem blinden Glauben an die Technologie und die Machbarkeit aller Dinge stehen sie ablehnend gegenüber, ebenso einer Überbewertung des Materiellen. Sie haben jedoch eine ausgeprägte Sehnsucht nach dem Spirituellen. Das zeigt sich in bemerkenswertem Interesse für östliche Religionen, für Meditationspraktiken und andere Formen der spirituellen Selbsterfahrung, z.B. Fußwallfahrten.

 

4. Neue spirituelle Wege

  Erleuchtung - ein Schlüssel zum neuen Menschen

Einige Meister des am Zen orientierten spirituellen Lebens wie Prof. Dürckheim und der Jesuitenpater M. Enomya Lasalle sprechen von einem neuen Bewusstsein, auf das die Menschheit zu geht, das nicht mehr vom Äußeren, vom Vordergründigen und rein Rationalen geprägt sein wird, sondern von der Erfahrung der existentiellen Tiefe und der Transzendenz. Nach Lasalle sind viele Erscheinungen unserer Zeit als Geburtswehen des neuen Menschen zu betrachten. Nicht ein Rückfall in das vorrationale Bewusstsein der Naturvölker und vergangener Epochen der europäischen Geistesgeschichte steht an, sondern der Schritt zum Überrationalen oder Transpersonalen. Es ist üblich geworden, die geistigen Entwicklungsschritte als vorpersonal, personal und transpersonal zu bezeichnen.   Damit ist eine Form des Erkennens gemeint, welche nicht über Schlussfolgern und Erklären geschieht, sondern durch unmittelbare Wesensschau. Die tägliche Übung zusammen mit Intensivkursen des Sitzens in der Stille - Sesshin genannt - bringt diesem Ziel näher. Teilnehmer solcher Veranstaltungen berichten, dass sich ihre Wahrnehmung verändert. Die Natur erscheint wie näher gerückt. Blätter und Gräser leuchten, die Stimmen der Vögel, die sie vorher gar nicht hörten, klingen vertraut; manche sagen, das leere Geäst eines Baumes würde ihnen wie aus dem Innern hervorwachsen; sie hätten das Empfinden, wieder in der Schöpfung zuhause zu sein.

 „Erleuchtung" im Japanischen Kensho oder Satori ist der Schlüssel zum Verständnis des Zen und östlicher Religionen, ebenso zum neuen Bewusstsein, das als  Überbewusstsein oder  transpersonaler Zustand bezeichnet wird.  Es erscheint deshalb so erstrebenswert, weil sie die geistige Not des modernen Menschen in ihrem tiefsten Kern erfasst und aufhebt. Sie gibt ihm die Einheit mit dem Ganzen wieder: Mit der Welt, in der er heimatlos geworden ist, mit den Menschen, zu denen keine Brücke mehr besteht, und mit der transzendentalen Mitte, die ihm verloren gegangen ist. Dürckheim beschreibt diese Gipfelerfahrung als einen Zustand der absoluten Fülle und Einheit, der beglückenden Kraft und universalen Liebe, befreit von Sinnleere, von Einsamkeit und Angst vor dem Tod. Wer eins geworden ist mit dem Seinsgrund, ist nicht mehr besorgt um das Danach, er berührt die Ewigkeit in diesem Augenblick im Hier und Jetzt. Das würde bedeuten, dass es einen Punkt des Erlebens jenseits der Emotionen und Ängste gibt, wo man sich selbst, der Schöpfung, den andern Menschen  und Gott zugleich nahe ist.  Wer dort angelangt ist, hat das Ziel des neuen Menschen erreicht

Franziskus, ein neuer Mensch

 

Bei allen Überlegungen um den neuen Menschen taucht die Frage auf: Gibt es ihn wirklich? Oder ist das Ganze nur Illusion? Es wurde gesagt, dass die angeführten Entwürfe der Psychologen wie der spirituellen Lehrer auf Erfahrungen und Beobachtungen beruhen. Es hat den zukünftigen Menschen schon gegeben und gibt ihn heute in Gestalten, die durch ihre Ausstrahlung, durch ihre Lauterkeit und durch ihre religiöse Kraft überzeugen. Sie wurden zu Vorbildern zum Nachahmen, zu  Heiligen im landläufigen Sinn. Einer der bedeutendsten ist der hl. Franziskus. Er stellt das Gesagte wie kaum ein anderer dar, ob man es nun als Erleuchtung, Ganzheit oder als Bild des neuen Menschen bezeichnet.  Franziskus war die Spontaneität in Person; es hat ihm nicht an Einfallsreichtum, Einfühlungsvermögen, Herzlichkeit und echter Zuneigung gefehlt. Er ist eine Verkörperung des neuen Menschen, der aus seinen Gefühlen lebt und doch das im Augenblick Richtige tut.

Konkrete Schritte zum neuen Menschen

Bei aller Sympathie für Franziskus bleibt die Frage: Wie kann der neue Mensch in uns selbst Gestalt gewinnen? Wie können neue Lebensimpulse, neue Ideen, eine größere Weite des Denkens sowohl wie stärkere emotionale und spirituelle Kraft in uns einströmen?

In der europäischen Kultur war  lange Zeit -gestützt auf die kirchliche Moral- die Einstellung verbreitet: Gefühle brauchen eine starke Disziplinierung, damit sie kein Unheil anrichten. Inzwischen weiß man auch, dass die Beherrschung der Gefühle nicht immer die Lösung  ist. Mit ihr verbinden sich häufig Kälte, Härte, Druck,  Verschlossenheit, welche eine Partnerschaft immer mehr belasten.  Die Frage bleibt: Gibt es ein Drittes, welches sowohl der Eigendynamik und Spontaneität der Impulse und Antriebe wie einer vernünftigen Ordnung gerecht wird?

Allem voran soll hier eine Weisheit gestellt werden, die  der jüdische Philosoph Spinoza vor vierhundert Jahren so formuliert hat: Gefühle werden nicht durch die Vernunft, sondern durch ein stärkeres Gefühl verändert.   Das heißt es sind nicht die guten Vorsätze,  nicht das Nachahmen edler Vorbilder, nicht das Streben nach hohen Idealen, was Menschen wandelt, sondern das tiefere, überzeugendere Erleben. 

Ein Wandlungsprozess, der innere Weg genannt,  beginnt mit einer befreienden Erfahrung, der eine existentielle Notsituation vorausgeht.

Die weiteren Fort- Schritte gelingen nur, wenn man den eigenen Schatten das heißt das Dunkle in einem selbst anschaut  und zu erhellen versucht.

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Menschen, die eine tiefgreifende Wandlung erlebten, sagen, der Wendepunkt in ihrem Leben war da, als es nicht mehr weiterging im Beruf, in der Zweierbeziehung, in der Familie; als sie gezwungen waren, sich hinzusetzen und zu schauen: Was ist? Der Blick in die eigene Tiefe statt auf die Schuld der anderen hat die Perspektive verändert und damit auch die Stimmung und die Atmosphäre. Gespräche mit einem einfühlenden Menschen haben das, was bisher so verwirrend, bedrückend und bedrohlich war, in Worte gefasst und damit emotionale Entlastung, tiefere Einsichten, einen neuen Blickwinkel für die Wirklichkeit gebracht. Die emotionale Entlastung hat das Grundgefühl des Misstrauens, des verletzt Seins, der Ausweglosigkeit aufgehoben.

Der zentrale Archetyp des Selbst übernimmt von innen heraus aufgrund des tieferen Erlebens die Führung und stiftet Ordnung, ohne etwas von der Lebendigkeit und dem schöpferischen Reichtum zu nehmen. Wenn die Spontaneität der Antriebe und Gefühle sich mit dem kritischen und ordnenden Denken von innen her versöhnt, entsteht etwas qualitativ Neues.

Mit sich selbst in Kontakt kommen, seine eigene Befindlichkeit wahrnehmen und gut unterscheiden, neugierig auf sich selbst  werden, über sich selbst reden, seine eigene Dunkelheit nicht ausklammern, das ist das geeignete Mittel, um  über sich selbst hinauszuwachsen. Wir dürfen auf den in uns angelegten personalen, geistigen Kern als Wesens- und Sinngrund vertrauen. Er will sich von selbst zum zukünftigen, größeren Menschen entfalten. Die Vorstellung vom neuen Menschen muss deshalb keine Fiktion bleiben. Er ist eine Möglichkeit für jeden, der sich den Herausforderungen des Lebens stellt Leider kommen  nur wenige  zu der Einsicht, dass dies das  Beste ist,  was man für sich und für die Menschheit tun kann.  Denn der Weg  zum neuen Menschen  beginnt bei sich selbst.

 

 

 

 

Anmerkngen:

 

 

1.nach Stefan Brunnhuber, Spirituelle Krisen,(Kongress 2003 in Bad Kissingen

2. Franziskus von Assisi, Legenden und Laude, hgb.von Otto Karrer, Zürich 1986

 

3. C.G.Jung GW XI, .

4.CG.Jung, GW.XI,37

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