Keine Sünden, aber Probleme! 

Gedanken zur Umkehr

 

Dazu ist es hilfreich, von den konkreten Erfahrungen eines Beichtpriesters auszugehen. Blicken wir zurück auf die Zeit vor 50 Jahren, als die Beichte noch geschätzt war, weil sie von Schuldgefühlen wie vom Schutt des Alltags befreite. Die Lossprechung, die ganz auf die kirchliche Amtsvollmacht des Bindens und Lösens (Mt 16,19; Joh 20,23) aufgebaut ist, war als der wichtigste Teil des Bußsakraments anerkannt. Ihre Gewährung oder Verweigerung hatte darüber entschieden, ob man zur Kommunion gehen darf und damit der Zutritt zum Allerheiligsten gewährt wird. Sie wurde als die offiziell ausgesprochene Versöhnung mit Gott, welche das Schicksal im Jenseits bestimmt, angenommen.
„Leicht wie ein Engel schlüpfte ich aus dem Beichtstuhl", erinnert sich eine Frau, als sie von ihrer Kindheit erzählte. An den hohen Festtagen - Weihnachten und Ostern - standen in einer Klosterkirche Schlangen an einem Beichtstuhl, zehn bis fünfzehn Personen und dies oft mehr als eine Stunde oder noch länger. Klosterkirchen wurden zu Beichtzentren. Die Aussage: „Der Beichtstuhl eines Klosters ist der Ort der Anonymität und Intimität zugleich, wo Geheimnisse geoffenbart werden in der Gewissheit, dass sie wie in ein Grab gesagt sind", klingt heute fast wie ein Mythos.
Allerdings war das Bekenntnis der allermeisten in der Form des einmal gelernten Beichtspiegels. Was sich dahinter an echter Schuld oder Not verbarg, konnte man als Beichtpriester im besten Fall ahnen. Es musste schnell gehen, um nicht die Wartenden allzu sehr zu belasten. So kam es, dass auf die formelhafte Anklage nur ein allgemeiner Zuspruch und die Formel der Lossprechung folgten. Doch gingen die Beichtenden mit dem Gefühl weg, ihre Pflicht erfüllt zu haben und das Fest im rechten Sinn begehen zu können. Vor mir taucht das Bild eines pensionierten Oberstudiendirektors auf, der mit höchster Ergriffenheit nach abgelegter Beichte zur heiligen Kommunion schritt. Wenn bei weniger Andrang tiefer gehende Probleme z.B. Gefährdung der Ehe, Selbstmorddrohung oder -Versuch offengelegt wurden, war man mit einer rein theologischen Ausbildung überfordert. Nach 50 Jahren ist der Andrang schwer zurückgegangen. Die traditionelle Beichte greift noch bei den Personen, deren Denken sich noch voll und ganz im alten Rahmen bewegt. Es nehmen Personen weite Anfahrten für eine Beichte auf sich. Man soll die ernste Absicht und den guten Willen derer, die zu diesem Sakrament noch einen Zugang haben, durchaus würdigen.
Die größere Zahl derer, die noch kommen, gehört der älteren Generation an. Sie haben eigentlich nichts, was man ernsthaft als Sünde bezeichnen kann. Auch sie meinen, ein Gott wohlgefälliges Werk zu verrichten, vor allem einer Pflicht nachgekommen zu sein. Viele sagen ganz offen, sie wüssten nicht, was sie beichten sollten, oder, was noch häufiger ist, es sei immer dasselbe, was sie vorbringen und es gebe keinen Fortschritt. Eine Frau über 70 klagt darüber, dass sie schon seit 60 Jahren beichte und ihre Ängste immer noch habe und furchtbar darunter leide. Man darf aber mehr als die Macht der Gewohnheit dahinter sehen. Im Grunde ist es doch die Sehnsucht, in eine religiöse Atmosphäre einzutauchen, und das Bedürfnis nach innerer Reinigung. Das Bild von der Seele als einem Spiegel, auf dem sich Staub ansetzt, wurde von Teresa von Avila geprägt. Gläubige, die im Bewusstsein einer Schuld zur Beichte kommen, werden immer weniger, jedoch werden es mehr, die froh sind, mit jemand reden zu können. Seltener sind jüngere Erwachsene, die eine Ausrichtung in ihr Leben bringen wollen.

Die Beichte: das vergessene Sakrament
Es darf nicht verschwiegen werden, dass die Beichte in der bisherigen Form in eine unübersehbare Krise geraten ist, sogar total in Frage gestellt wird. Einmal ist es der Mangel an Beichtpriestern, welcher die Erfüllung der Osterpflicht aller unmöglich macht. Man wird sagen: Wer beichten will, kann es immer noch, selbst wenn man sechzig Kilometer fahren muss. Es gibt noch Klöster, wo dies möglich ist. Man kann dort vor den hohen Festtagen immer noch einen Andrang vor den Beichtstühlen sehen. Dies kann manchen sonst entmutigten Seelsorger trösten. Zu bedenken ist jedoch, dass die Nachfrage aus einem großen Einzugsgebiet stammt und nicht den allgemeinen Trend wiedergibt.

Das Sakrament ohne Kraft

Das Sakrament, das theologisch so hoch bewertet wird, ist in der Praxis im Hinblick auf die Gesamtheit der Getauften so viel wie bedeutungslos geworden. Die wenigsten Katholiken spüren eine Verpflichtung oder ein Bedürfnis zum Bußsakrament. Die Frau, die einst wie ein Engel den Beichtstuhl verließ, hat schon längst wie andere ihres Alters ihre katholische Vergangenheit abgelegt. Der tiefere Grund liegt darin, dass sich das Lebensgefühl der Menschen unserer westlichen Welt einschneidend verändert hat. Der Schwerpunkt der Identität hat sich vom Kollektiv, von der sozialen Zugehörigkeit hin zur eigenen Person verschoben. Als Ausdruck des modernen Lebensgefühls gelten die Begriffe Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung, Autonomie und Individualisierung. Es geht um mündig werden, kritisches Denken, freie selbstbestimmte Entscheidungen und Ablehnung von ungeprüften Normen und Autoritäten. Das Empfinden, „wer bin ich?", war vor 50 Jahren wesentlich mehr davon bestimmt, welcher Familie, welcher Berufsgruppe, welchem Stand, welchem Ort, welchem Volk und welcher Religion man angehört. Man hatte sich mit Kirche ganz anders identifiziert, man war froh, einer so großen, weltumspannenden, uralten Institution anzugehören wie der katholischen Kirche. Der Aufbruch des Konzils hatte die Weltpresse in Atem gehalten. Deshalb nahm man auch ihre Gebote ernst. Weil diese so hochgesteckt sind, vor allem was das sechste Gebot anbelangt, hatte man immer ein schlechtes Gewissen und fühlte sich als Sünder. Als Vertreter der Kirche wird man mit dem Vorwurf belastet, sie habe den Menschen Jahrhunderte lang Angst eingejagt. Von manchen wird Sigmund Freud zitiert, der die Beichte zu den Zwangsritualen zählt, die man als Erwachsener ablegt. So tut man sich schwer, überhaupt noch von Geboten zu reden und gar noch von solchen, die dem Lebensgefühl des modernen Menschen widersprechen. Nichts scheint heute auf mehr Ablehnung zu stoßen als eine von außen kommende, durch irgendwelche Prinzipien scheinbar begründete Einmischung in das Privatleben, genauer in den Intimraum, in den Bereich der Gefühle. Sie wird als seelenlose, ideologische Reglementierung empfunden, welche einem die Lust am Leben verdirbt.
Selbst moraltheologische Überlegungen, welche die Strenge mildern, seien sie noch so tolerant, vermögen das Bild von Kirche als einer lebensfernen und lebensfeindlichen Institution nicht zu verändern. Die wohlgemeinten Bemühungen interessieren nicht, weil sich der Konflikt mit Kirche schon längst auf seine Weise gelöst hat. Im seelischen Haushalt der meisten spielt die Kirche als Norm gebende und kontrollierende Instanz keine Rolle mehr. Dies ist das eindeutige Ergebnis der Vatikanumfrage von 2014 . Wenn die Instanz und ihre Normen nicht mehr anerkannt sind, dann gibt es keinen Grund, bei ihr nach Versöhnung nachzusuchen. Sollten tatsächlich Schuldgefühle aufkommen, gelten sie im Lichte einer pragmatischen Psychotherapie eher als Zeichen psychischer Schwäche. Verarbeitung nicht Vergebung ist dann das Stichwort. Das Sakrament, das die große Vergebung von Gott bewirken soll, kommt in den therapeutischen Überlegungen gar nicht, in den theologischen Diskussionen kaum vor. Man darf eher von einem vergessenen Sakrament reden. Nach all dem, was an Fehlentwicklung im Bereich des Christentums gelaufen ist und heute zur Klage Anlass gibt, kann man nicht behaupten, dass die in unserer Zeit praktizierte Form des Bußsakramentes die Forderung nach „fundamentaler Umwandlung der Denkungsart" erfüllt.

Die Sünde, die ihren Namen verloren hat
Es wäre aussichtslos, Menschen mit dieser Einstellung mit dem Sündenkatalog zu konfrontieren. Die Auffassungen darüber gehen weit auseinander. Man hat deshalb kein schlechtes Gewissen, noch weniger das Bedürfnis, es zu reinigen. Und doch gehört „die Vergebung der Sünden" zu den zentralen Aussagen des Neuen Testaments und des Christentums. Jesus hat sogar dafür sein Blut vergossen. Wir hören dies in jeder Messe. Es ist Grund genug, um sich damit auseinanderzusetzen.
„Sünde" ist im Denken der meisten in weite Ferne gerückt. Das Wort, mit dem früher Filme anlockten, ist im Sprachgebrauch abhandengekommen. „Ich bereue nichts" sagte ein Mann, der in verschiedenste Dreiecksgeschichten verwickelt war und keinen Anlass sah, sein Verhalten gegenüber seiner Ehefrau und seinen anderen Frauen zu hinterfragen. Soll man ein Gefühl bereuen, das einen beglückend überwältigte und das sogar wie eine Kostbarkeit empfunden wird - ein Erlebnis, das man nicht missen möchte? Eines ist sicher: Von einer Reue als Schmerz der Seele über eine begangene Tat, wie sie die kirchliche Dogmatik einfordert, ist man in einem solchen Fall meilenweit entfernt. Die Zeit ist vorbei, in der man sich wegen Kleinigkeiten die Vergebung in der Beichte holte. Eigentlich müsste ja eine sündenfreie Zeit angebrochen sein, wo Menschen ohne Konflikte, in tiefem Frieden und in vollster Harmonie miteinander leben. Ein Blick in das alltägliche Leben zeigt ein ganz anderes Bild. Da sieht man in den politischen Auseinandersetzungen, am Arbeitsplatz, im privaten Bereich eher Schlachtfelder. Menschen entwerten und entwürdigen einander. Es ist häufig ein Hauen und Stechen um das bloße Überleben.
Sünde ist keine Erfindung, sie ist auch nicht abgeschafft, sondern sie ist Tatsache, aber sie hat andere Namen und wird vorzüglich als Auswirkung wahrgenommen und nicht als eigene Tat, für die man die Verantwortung übernimmt. Die Menschen fühlen sich nicht mehr „sündig", wohl aber gibt es genug, die sich als enttäuscht, betrogen, gedemütigt, klein gemacht, erniedrigt, entwertet bezeichnen würden, von wem immer dies geschehen sein mag, von Mitarbeitern, vom Lebenspartner, vom Arbeitgeber, von den Behörden, von der Politik oder von den eigenen Eltern. Es läuft immer darauf hinaus, dass dunkle Emotionen, Enttäuschung, Zorn und Hass den Blick für die Wirklichkeit verstellen, die Absichten in die falsche Richtung lenken und das anderen antun, was einem selbst angetan wurde - vorausgesetzt man hat dazu die Gelegenheit

Keine Sünden, aber Probleme!


Man hat keine Sünden mehr, aber Probleme, keine Schuldgefühle, aber zerreißende Konflikte. Man spricht von emotionalen Verwicklungen, in die so viele durch oder ohne persönliches Verschulden hineingeraten. Man hat sich von den Vorgaben der Kirche in Bezug auf den intimen Bereich befreit. Die gewonnene Freiheit hat jedoch allem Anschein nach der Gesellschaft, die der Kirche entlaufen ist, gar nicht das erhoffte Heil gebracht. Beziehungen auf Dauer sind schwieriger geworden, umso häufiger werden bittere Enttäuschungen. Knapp die Hälfte der Ehen wird geschieden oder sie werden gar nicht geschlossen. Man lässt sich von den Gefühlen tragen, aber man ist ihnen auch ausgeliefert. Freiheit ohne die entsprechende Reife führt in Sackgassen. Es werden Bindungen eingegangen, die nicht gelingen können. Es ergeben sich dann Katastrophen, die im besten Fall in einer psychologischen Beratungsstelle landen, meistens vor dem Jugendamt und vor dem Scheidungsrichter. Den Trennungen folgen oft Kampf um die Kinder, Verletzungen und es bleiben Wunden. Es ist viel Leid, das besonders die Kinder trifft, die dem ganzen Geschehen hilflos ausgeliefert sind. Die Not unserer Zeit schreit aus den Schlagzeilen entgegen. Auf der Titelseite einer Illustrierten - ausliegend im Wartezimmer eines Arztes - ist zu lesen: „Sie (eine bekannte Schauspielerin) kämpft um ihre Kinder";-(anderer Name): „Mein Ex-Mann will mich fertig machen"-„Scheidung von ...." - „Der große Betrug!"
Hier zeigen sich Schicksale, aufgeladen mit Enttäuschung, Bitterkeit, Wut, Ausweglosigkeit, schlaflosen Nächten.
Im Grunde suchen doch die meisten eine letzte Gewissheit in einem Partner und in Menschen, die einem nahe stehen, und einen letzten Grund jenseits der Tagesmeinungen. Enttäuschungen von Seiten des Menschen, dem man einmal volles Vertrauen schenkte, ebenso das Scheitern in beruflichen Aufgaben führen zu fortdauernder, existentieller Verunsicherung, sehr häufig zu existentiellen Katastrophen. Man spricht von Lebenskrisen, Depressionen, Burn-outs.
Was die Menschen bedrückt, sind nicht die Schuldgefühle, sondern eher die Ausweglosigkeit verfahrener Situationen, wo man nicht mehr weiterweiß, wo keine Aussicht auf eine glückliche Veränderung besteht.
Paulus verwendet für Sünde das griechische Wort hamartia, was „Verfehlung" heißt (Röm 6-7). Es bedeutet, dass man die Wahrheit seines Lebens, sein Ureigenstes verfehlt, damit jene Befindlichkeit, die einen zutiefst erfüllt, frei macht und beglückt. Im Tiefsten und Letzten geht es um den erfahrbaren Grund der Existenz, um den geistigen, göttlichen Kern jenseits der Emotionen, welcher Authentizität, Hoffnung und unüberwindbare Liebe in sich birgt. Fehlt die Verbindung dazu, dann geschieht das, was Sünde als Trennung von Gott genannt wird. Es äußerst sich darin, dass man sich selbst und den andern nicht versteht, dass man aneinander vorbeiredet und vorbeigeht, gegen einander denkt und handelt, dass man um sich Schutzwälle von Vermutungen, Unterstellungen, falschen Ansichten oder Ideologien aufbaut. Wer selbst verbittert, missgestimmt und voller Ängste ist, sieht die Welt auch mit diesen getrübten Augen, vermutet nur in den andern die Ursache seines Unheils und unterstellt ihnen entsprechende Absichten. Die Klugheit und die Vorsicht können es erfordern, dass man das Böse in der Welt aufdeckt, auf Missstände hinweist, dass man Kritik übt an bestehenden Verhältnissen, vor allem um jenen gerecht zu werden, die keine Möglichkeit haben sich bemerkbar zu machen. Aber der entscheidende Fortschritt ist nicht, dass man anderen ihre Bösartigkeit nachweist, sondern es wird sich nur dann etwas auf Dauer bessern, wenn man seinem eigenen Schatten auf die Spur kommt. Wir betreiben gerne Gesellschaftskritik, Kirchenkritik, Bibelkritik, aber kaum Selbstkritik. Denn die ist weitaus schwieriger und unangenehmer und kostet einmal echte Selbstüberwindung, und die Fähigkeit zur Selbstreflexion, damit aber auch ein Stück Intelligenz.
Die Umkehr beginnt dann, wenn ich aufhöre, andere zu beschuldigen, sondern in mir die Frage zulasse: Was ist mit meinen Affekten? Gegen wen richten sie sich? Welches Feindbild finde ich vor? Was ist hinter meinem Schatten, der in den Feind projiziert wird. Im Grund der Wunsch nach Anerkennung, nach Geltung, die mir verwehrt wird, oder sogar die Gier nach Macht? In einer tieferen Schicht ist es die eigene Verunsicherung, die Angst vor Sinnverlust, die Angst vor einem kollektiven, weltanschaulichen und sozialen Zusammenbruch, die außerordentlich starke, gegen jede vernünftige Überlegung gerichtete Emotionen hervorbringt.

Erbsünde: Wir erben die Schulden
Was mit „Sünde" ursprünglich gemeint ist, ist tiefer und umfassender als das, was einem als Verfehlung bei der Gewissenserforschung bewusstwird. Es hat mit jenem Bereich zu tun, der schon da ist, noch bevor wir anfangen zu denken. Die größte Rolle spielt die Atmosphäre, in die wir hineingeboren werden und in der wir aufwachsen. Niemand hat sich seine Eltern ausgesucht und die Art, wie man als Kind angenommen wurde, wie man miteinander umging, welche emotionale Nahrung man mitbekommen hat. Wir tragen die Schätze wie die Lasten unserer Ahnen und deren Welt in uns. Das alte Wort dafür heißt „Erbsünde". Wir erben nicht nur das Guthaben und sondern auch die Schulden unserer Eltern und Ahnen. Sie geben die Richtung unserer Überzeugungen und unseres Handelns vor, ob wir wollen oder nicht. Diese Gegebenheiten machen es aus, wie man mit dieser Welt zurechtkommt. An ihnen zu arbeiten ist umso schwieriger, weil sie nicht unmittelbar zugänglich sind. Guter Wille allein ist ihnen gegenüber machtlos, weil Gefühle ihre eigene Dynamik haben.
Es ist wie ein Netz, in das man sich verfangen hat. Man kann von Strömungen aus der Tiefe des eigenen Wesens so überschwemmt sein, dass man nur noch trübe Wasser sieht. Es gibt Situationen, wo jede Entscheidung ein Übel mit sich bringt und die Betroffenen zu zerreißen droht. So manche Liebe endet im Chaos eines Dreieckverhältnisses, dessen Auflösung in jedem Fall viele Verletzungen mit sich bringt. So manche Frau, mancher Mann steht vor der Frage: Die Spannung einer unglücklichen Ehe auszuhalten oder die schmerzliche Trennung zu vollziehen?
Es sollte deutlich werden, dass es eine Macht gibt, die über unseren vernünftigen Überlegungen und über unserem guten Willen steht. Kein anderer als Paulus, der vom grimmigen Verfolger zum Apostel Christi wurde, hat dies anhand seiner eigenen Geschichte erkannt. Er spricht von der Macht der Sünde und er weiß, was er sagt. „Nicht das Gute, das ich will, tue ich, sondern das Böse, das ich nicht will ...Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann bin nicht mehr ich es, der so handelt, sondern die in mir wohnende Sünde." (Röm 7,19,20). Er sieht sich als Gefangener, der sich selbst nicht befreien kann. Es ist die Erkenntnis, dass menschlicher Wille als der gute Vorsatz an seine Grenzen stößt, wenn es um „fundamentale Umwandlung der Denkungsart" geht. Weil jede Grundeinstellung in der Tiefe der Existenz verwurzelt ist, verändert kein gutes Zureden, keine Ermahnung und selbst eigenes Bemühen daran Entscheidendes.
Es braucht eine Erfahrung, die stärker und überzeugender ist als die alten Mechanismen, in denen man denkt und aufeinander reagiert. „Ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich aus diesem Leib des Todes befreien?" (Röm 7,24) ruft Paulus, weil er wie kaum ein anderer selbst erlebt hat, wie man dem Bösen ausgeliefert sein kann. Er fährt fort: „Dank sei Gott: durch Jesus Christus unsern Herrn!" (Röm 7,25). Dahinter steht seine Begegnung mit Christus, welche sich nach der Apostelgeschichte auf dem Weg nach Damaskus ereignet hat.

 Die Sünde der Gerechten
Noch ein wichtiger Aspekt kann im Verständnis von Sünde weiterführen. In seiner Abschiedsrede sagt Jesus: „Wenn er (der Beistand, der Heilige Geist) kommt wird er die Welt zur Erkenntnis führen von Sünde, von Gerechtigkeit und Gericht. Von Sünde, weil sie nicht an mich geglaubt haben."(Joh15,8-9). Einige Zeilen vorher steht: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Joh 14,6). Der Weg, den Jesus meint, ist eine innere Entwicklung, die in Träumen als unterwegs sein dargestellt wird. Wer sich von Christus treffen lässt, wird sich in seinem Sinn wandeln, über sich hinauswachsen und seinem Bild ähnlich werden. Glaube ist demnach, dieser Linie zu folgen. Jesus als die Wahrheit meint nicht nur den Inhalt dessen, was er sagt, ebenso auch die Einstellung der Wahrhaftigkeit. Das bedeutet
der ganzen Wahrheit, auch wenn sie noch so bitter schmeckt, ins Auge zu schauen und sich dem vollen Leben zu öffnen. Die Sünde des Unglaubens besteht demnach darin, sich dem inneren Weg zu verweigern, allem auszuweichen, was mit einem tieferen Betroffen sein, mit Verunsicherung, Zweifel, Suchen, Wachsen und neuem Denken verbunden ist, dass man sich dem vollen Leben in seiner Dichte und Tiefe verschließt, das große Angebot, von der Liebe als solcher ergriffen zu werden, ausschlägt und das große Abenteuer mit dem Leben und mit Gott vermeidet.
Es ist eine Einstellung, die gar nicht nach Sünde aussieht, weil sie ja durch alles, was bisher als richtig galt, bestätigt wird. So hat man ein gutes Gewissen, wenn man sich am Alten festklammert, brennende Fragen gar nicht zulässt oder schon für erledigt hält und mit überlegenem Lächeln alles zu erklären und zu beurteilen weiß. In Wirklichkeit aber wehrt man die Ängste ab, welche damit verbunden sind und damit auch neue Lebensimpulse und lösende Einsichten.
So ist es bei den Gegnern Jesu. Sie wollen sich nicht anrühren lassen von der Art, wie er auftritt, was er sagt und bewirkt, weil er ihre bisherige Sicht der Dinge in Frage stellt. Sie haben dafür die Erklärung, dass er von einem Dämon besessen ist und deshalb bräuchten sie ihn nicht ernst zu nehmen (Vgl. Mk 3,22, Joh 9,18). Jesus äußert seine Enttäuschung darüber in der Strafrede gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer (Mt 23,1-36). Im Hinblick auf die Dauerkrise der Kirche fällt es nicht schwer, die zu finden, an welche heute die harten Worte Jesu gerichtet sind.
In Wirklichkeit ist niemand davon ausgenommen, der von der Botschaft Jesu etwas hält. Die Kritik Jesu müssten allerdings diejenigen als erste auf sich nehmen, die von Berufs wegen Religion ausüben. Man unterdrückt nicht nur bittere, vielmehr noch rettende Wahrheiten. Eine gewissenhafte Selbsterforschung wird danach fragen, warum die neuen Wege, Menschen zu bessern, Konflikte zu lösen, der Religion neue Kraft zu verleihen, im kirchlichen Raum nicht ihrer Bedeutung nach geschätzt werden, sondern eher außerhalb anzutreffen sind.
Umkehr geschieht dann, wenn die Einstellung, die alles zu wissen glaubt, alles zu beherrschen sucht und nichts anderes gelten lässt, aufgegeben wird zu Gunsten einer Haltung, welche die Grenzen des eigenen Horizonts einsieht.
Ein Zeichen dafür ist, dass man nicht mehr unbedingt Recht haben, stattdessen recht sein will. Recht haben führt zu unlösbaren Konflikten, der Wille zum „recht sein" in die Tiefe der Existenz, zum Frieden mit sich selbst und mit denen, die mit uns leben.

 

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