Gott ist tot-

außer man entdeckt ihn neu

in der eigenen Seele

 

Der Unglaube an Gott - sprich Atheismus - scheint unüberwindbar, trotz der guten Argumente dagegen. Jedoch ist Gott nicht Ergebnis der Argumente. Die Spur Gottes liegt vielmehr in der existentiellen Betroffenheit. Wir öffnen dann einen Weg zu Gott, wenn wir die Menschen in ihrem Gefühl, in ihrer Not und in ihrem Denken und Streben ernst nehmen, und auch die Einwände der sogenannten und wirklichen Atheisten. Wir gelangen sogar zu einer tieferen und umfassenderen Gotteserkenntnis und soweit, dass wir die Kritik der Moderne als die Reinigung unseres Gottesbildes sehen lernen. Die Überwindung des Aberglaubens ist die große Leistung des modernen Denkens. Wir brauchen keine Angst mehr zu haben vor bösen Geistern. Jedoch ist mit dem Abzug der Dämonen auch der Glaube an Gott geschwunden.

Der Unglaube unserer Zeit - sprich Atheismus - scheint unüberwindbar, trotz der guten Argumente dagegen. Die brisanteste Frage ist deshalb:  Wie kann das Religiöse wieder die Bedeutung erlangen, die ihm eigentlich zusteht?     Wie werden Menschen wieder religiös?

 

Gott neu entdecken

 

1. Nietzsche, der tolle Mensch. -

Gott ist tot -

Friedrich Nietzsche gilt mit dem Ruf „Gott ist tot" zum bekanntesten Gottesleugner. Den Allerwenigstens ist bekannt, dass hinter seinem provozierenden Spruch eine gnz andere Seite verborgen ist.

Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittag eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: "Ich suche Gott! Ich suche Gott!" - Da dort gerade viele von denen zusammenstanden, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein großes Gelächter.  ... Der tolle Mensch sprang mitten unter sie  und durchbohrte sie mit seinen Blicken. "Wohin ist Gott?" rief er, „ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet, - ihr und ich. Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir das gemacht?  Wie vermochten wir das Meer auszutrinken?    Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns?  Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden?

Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittag angezündet werden? Hören wir noch Nichts von dem Lärm der Totengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch Nichts von der göttlichen Verwesung? - auch Götter verwesen! Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unseren Messern verblutet-wer wischt das Blut von uns ab?" Der Text ist von einem Menschen, der beim Thema „Gott" nicht „nichts" empfindet. Es sind Wortschöpfungen aus Trauer, Triumph und Verzweiflung. Nietzsche hat gespürt, was mit „Gott" gemeint ist. Er ist im Grunde seines Daseins bis zum Letzten aufgewühlt. Für ihn ist Gott nicht etwas Unbedeutendes, Langweiliges, Uninteressantes, den man ruhig vergessen kann. Dieses Aufgewühlt sein wird bei denen die von Berufs wegen von Gott reden vermisst. In der Öffentlichkeit erscheinen die Kirchen als Vertreter moralischer Appelle. Wenn an hohen Feiertagen aus Predigten von Bischöfen zitiert wird, dann fast immer als Anmahnung. ( er mahnte, forderte auf, betonte, warnte), anstatt dass man Menschen spürten würde, die von Gott berührt sind, die wie Nietzsche mit Gott gerungen haben und seine gewaltigen Aussagen nachempfinden..


2. Gott auf dem Rückzug oder die Rücknahme der Projektion.

Der sogenannte Atheismus ist nicht Ergebnis logischen Denkens, sondern eher einer inneren Entwicklung, einer inneren Umschichtung des Wahrnehmens und Empfindens. Nicht wenigen geschieht es, dass plötzlich alles, was mit dem Religiösen gemeint ist, wie weggeblasen erscheint, dass alles zerronnen ist, was einem früher heilig war und wofür man sich einmal begeistern ließ. Es ist wie so häufig in einer Partnerschaft: Man empfindet plötzlich nichts mehr für den andern. Die Liebe scheint gestorben zu sein. So ist es auch mit dem Religiösen. Es ist etwas mit einem selbst geschehen. Man wird in einen Prozess hineingenommen, der d sich in der Menschheitsgeschichte seit Jahrtausenden vollzogen hat. Die Erfahrung des Heiligen hat sich von den äußeren Dingen und von bisherigen Vorstellungen zurückgezogen.

Dazu sagt der Psychologe C.G.Jung: „Zuerst in fernen Zeiten(was man jedoch noch an den heute lebenden Naturvölkern beobachten kann), lag der Hauptteil des psychischen Lebens anscheinend außen in menschlichen und nicht menschlichen Objekten: er war projiziert, wie wir jetzt sagen würden. Durch das Zurückziehen der Projektionen entwickelte sich langsam die bewusste Erkenntnis. Die Wissenschaft begann merkwürdigerweise mit der Entdeckung astronomischer Gesetze, also mit der Zurückziehung der fernsten Projektion. Das war eine erste Phase der Entseelung der Welt. Ein Schritt folgte dem andern: schon in der Antike wurden die Götter aus den Bergen und Flüssen, aus den Bäumen und Tieren entrückt"[1]

Im Mittelalter gab es noch einen Sternenhimmel, über dem Gott saß. Das Göttliche wurde in den Dingen, besonders in den Reliquien und geweihten Andachtsgegenständen verehrt. Die Gebeine eines Heiligen, vor allem ein Partikel des heiligen Kreuzes lockten Tausende von Pilgern an. Von der Stadt Wangen Im Allgäu wird berichtet: Als die Kapuziner um das Jahr 1610 eine Reliquie aus Rom in die Stadt überführten, strömten Zehntausend Menschen zusammen. Die Gebeine eines Heiligen waren ein großer Schatz einer Kirche und einer Stadt. Als die heilige Teresa von Avila gestorben war, war bei ihrem Körper ein wunderbarer Duft und es geschahen Heilungen.

Der große Rückzug von außen nach innen geschah zum ersten Mal in der Reformation.

Der Theologe Keller, der in Augsburg an der Barfüßerkirche das Predigtamt innehatte, zerbrach ein steinernes Kruzifix und bot die Trümmer den Leuten an. "Wer will eine Reliquie", fragte er. Die Abschaffung der Reliquienverehrung war eines der Anliegen und Ergebnisse der Reformation.

Bei der Säkularisierung vor zweihundert Jahren, die ja Ergebnis der Aufklärung war, wurde dann der Rückzug des Numinosen aus den Gegenständen, Gebäuden, Orten bis zum Exzess durchgeführt. So etwas wie Ehrfurcht vor den geweihten Dingen und Personen gab es nicht.

18.02.2021Wohin ging die numinose Energie, die von einem Gott im Himmel, von einer geheiligten Umwelt abgezogen wurde?

Wer die Geschichte des folgenden Jahrhunderts betrachtet, kann feststellen: Die Kraft des Numinosen wanderte in das Nationalbewusstsein, das übersteigert wurde, in die Fortschrittsgläubigkeit, in Ideologien, die absolute religiöse Bedeutung bekamen. Auch diese sind inzwischen geschwunden. Die Energie geht heute in das Ichbewusstsein, in die Selbstbestimmung, in eine Absolutheit der Lebensauffassung, die über alles verfügen will, über, über die Natur, über die Gene, über das Schicksal, über Leben und Tod. Alle Energie ist in das Ichbewusstsein gewandert, das sich maßlos überschätzt und den Intellekt für die einzige Quelle der Erkenntnis hält. Man will alles erklären und in den gewohnten Denkrahmen einordnen. Das Wort dafür heißt „Es ist nichts als"! Man glaubt den Schlüssel für alles gefunden zu haben, wenn es nur als wissenschaftlich gilt. Man lässt sich durch nichts innerlich berühren und aufwühlen nicht einmal durch die Liebe.

Die Aufklärung ist erst in den letzten Jahrzehnten voll und ganz bis zum letzten Dorf durchgedrungen. Das heißt es entstand ein Lebensgefühl, welches etwas Größeres, das über einem steht, nicht anerkennt.  Man kann den religiösen Feiern nichts abgewinnen. Es sind leere Worthülsen, sowohl was die Liturgie betrifft, wie die Worte des Predigers. Man sollte aber beachten, inwieweit das Organ für das Religiöse der Hörenden aber auch bei den Sprechenden verloren gegangen ist.

 

 

3.  Gott ist innen, in dem, was das Ureigenste trifft

Wo ist Gott, wenn er nicht oben im Himmel ist, auch nicht in den liturgischen Feiern, noch in den heiligen Orten und Gegenständen? Dazu müsste uns ja Jesus, der von Gott Kunde gebracht, hat Auskunft geben können.

Als Er  in Kapharnaum zum ersten Mal auftritt und das Reich Gottes verkündet, ist das Echo so:

„Da erschraken alle und einer fragte den andern: Was hat das zu bedeuten. Hier wird mit Vollmacht eine ganz neue Lehre verkündet. Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl. Und sein Ruf verbreitete sich rasch im ganzen Gebiet von Galiläa" (Mk1, 27).                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Die Zuhörer erschrecken, sind zutiefst aufgewühlt, bleiben nach dem Gottesdienst stehen und bringen ihre Verwunderung zum Ausdruck. Jesus brachte sie aus der Fassung. Es ist die Art, wie er spricht und die Atmosphäre, die er hervorruft. Man hätte ein Blatt fallen hören. Das Wort von Jahwe, dessen Name man nicht aussprechen darf, löst tiefste Erschütterung aus, es trifft sie im Kern ihrer Person. Das, was mit Gott gemeint ist, ist unmittelbar zu spüren. Dies ist der Punkt, wo etwas Neues beginnt.  Einstellungen, Werte, Interessen und Gewohnheiten werden weniger durch Wille und Vernunft verändert als durch ein stärkeres und tieferes Gefühl, durch eine überzeugendere Erfahrung, die ergreift, durch  ein Erleben und Wort, das für diesen Menschen bedeutsamer ist.Nur das Bedeutsame erlöst" erkannte Jung. Jesus trägt in sich eine existentielle Kraft, die in der Begegnung mit ihm, in seiner Rede, in seinem Blick, in seiner Berührung spürbar wird. Diese Kraft, die aufhorchen lässt, aufwühlt, erschüttert, aufschreien und Gott loben lässt wird als göttliche Vollmacht-griechisch exousia- bezeichnet. Das heißt das Göttliche an Jesus dürfen wir weniger in den außerordentlichen Taten, in den Wundern sehen, sondern in der Kraft und Tiefe der Ausstrahlung seiner Persönlichkeit.                                                                                                                                        Menschen werden anders, lassen alles liegen und stehen, um in seiner Nähe zu sein. Gerade auf dieser Ebene sollten die Jünger sein Werk fortsetzen. Die Verheißung Jesu „Aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird"(Apg1,8 ) hat sich an Pfingsten erfüllt.  Die Reaktion der Juden auf die Predigt des Petrus ist die unmittelbare Wirkung. „Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz, und sie sagten zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, Brüder?" (Apg2,37). Weil Petrus aus der Kraft des Heiligen Geistes spricht, trifft er die Zuhörer ins Herz. Sie sind zutiefst betroffen und lassen sich taufen.        Der Auferstandene verspricht  die Kraft, Menschen zu wandeln, damit auch die Gesellschaft zu verändern und  der Erde ein neues Aussehen zu geben.  Im griechischen Urtext heißt Kraft   dynamis. Davon kommt unser Wort Dynamik. Damit in Zusammenhang steht noch ein griechisches Wort, das zurzeit im Mittelpunkt fast aller wirtschaftlicher und politischer Diskussionen steht: nämlich Energie. Im Epheserbrief finden wir das Wort energeia . Es bedeutet das Wirken Gottes in Kraft und Stärke-(Eph 1,19), welche sich gegen alle Strömungen sogar gegen Untergang und Zerfall durchsetzt, wie es sich an der Auferstehung Christi erwiesen hat. Energie und Dynamik sind demnach zentrale Begriffe, mit denen wir unseren Glauben erst recht verstehen lernen.                                                                                                                                                   

4. Das Organ, Gott wahrzunehmen                                                                                                                

Wenn Menschen bei der Rede von Gott zutiefst berührt sind, dann heißt das:             Gott ist innen, in der existentiellen Betroffenheit. „Das Reich Gottes ist in euch!"(Lk17,21), sagt Jesus und wehrt damit äußere Erwartungen ab.  Es geht um das innere Organ, Gott wahrzunehmen und die Motivation, sein Leben danach auszurichten. Es ist die Frage: Welche Stelle nimmt Gott in der menschlichen Seele ein oder welche Bedeutung hat die Religion für die menschliche Existenz? Hier ist es hilfreich, einmal Stellungnahmen von einer ganzen anderen Seite als die der kirchlichen Tradition anzuschauen. Carl Gustav Jung, der als Psychologe die menschliche Seele erforschte, hat  ihr eine Beziehungsmöglichkeit, eine Entsprechung zum Wesen Gottes zugeschrieben.  „Wie das Auge der Sonne, so entspricht die Seele Gott". Er spricht vom Archetyp des Gottesbildes, welcher vom Archetyp der Ganzheit nicht zu unterscheiden sei. Ganzheit aber bedeutet Fülle des Lebens und nicht Minderung, Verkümmerung und dauerhafte Einschränkung. Fülle des Lebens ist die einzig legitime Begründung der Religion!  So ist der "religiöse Trieb" zugleich das Streben nach Erfüllung und Ganzheit, nach Entfaltung zum größeren Umfang der Persönlichkeit, nach mehr Authentizität und Intensität des Lebens.                                                                                                                             Das Religiöse ist somit der stärkste Antrieb der menschlichen Seele, welche alle anderen Emotionen einbindet, ohne sie zu unterdrücken. Voraussetzung ist allerdings, dass der Archetyp des Gottesbild geweckt ist. Jung beruft sich auf die Erfahrung von Patienten um die Lebensmitte, von denen kein einziger nicht vom Problem des Religiösen und der Sinnfindung umgetrieben wurde; ebenso auf die Erfahrung der christlichen und außerchristlichen Mystiker und auf seine eigene Lebensgeschichte. Sein Menschenbild richtet sich nicht nach der platten Aufklärung des 19.Jahrhunderts, welche das Religiöse weg zu erklären versucht, sondern nach den Überzeugungen früherer Jahrhunderte und anderer Kulturen, wo Menschen wie selbstverständlich religiös waren und das Heilige seinen Platz hat. Die Wirksamkeit des religiösen Archetyps ist allerdings an ein seelisches Erlebnis geknüpft, das man nicht machen kann. Für Menschen, die es erfahren haben, sagen, es sei wie ein   inneres Erwachen gewesen, es habe das Leben neu begonnen, ein neues Denken, ein neues Empfinden. Ganz neue Perspektiven hätten sich aufgetan, zu neuen Interessen und Ziele fühlte man sich hingezogen. Von Franziskus wird berichtet:                                                                                                                     „Auf einmal blieb er hinter den andern zurück. Er sang nicht mehr, er war in tiefes Sinnen versunken. Denn plötzlich hatte ihn der Herr berührt. Und eine solche Süße erfüllte sein Herz, dass er weder reden noch sich bewegen konnte". ...Damit begann für ihn der Prozess einer neuen Ausrichtung seines Lebens. Dieses Erlebnis konnte er nicht mehr übergehen...

5.Gott: das Symbol für das, was mich unbedingt angeht.

Jungs Aussage über den religiösen Charakter der Seele wird bestätigt vom evangelischen Theologen Paul Tillich, der den Satz geprägt hat: "Gott ist das Symbol für das, was mich unbedingt angeht".                                   (Paul Tillich Ges. Werke,  Bd VIII,S142)                                                                                                                                      „Glaube ist das Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht."(GW,VIII 66)                                      „Alles Reden über göttliche Dinge ist sinnlos, wenn es nicht im Zustand letzter Ergriffenheit geschieht."(ebenda 118 )                                                                                                                              Gott ist in der Tiefe des Seins, sagt der  spirituelle Schriftsteller Marcel Légaut. Das heißt Gott ist psychologisch auf der Ebene zu finden, wo wir zuinnerst berührt, betroffen, existentiell engagiert sind. Es sind die wichtigsten Ereignisse im Leben eines Menschen: Geburt, Hochzeit, Tod, wo dieses innere Engagement am stärksten ist. Deshalb wird bei diesen Anlässen von den meisten die religiöse Atmosphäre bzw. das Ritual der Kirche gesucht. Aber wie ist es sonst während des Jahres?                                                                                                                               Wie kann das Religiöse auch im ganz normalen Leben zum Zug kommen und es prägen?

Überall dort, wo Menschen in ihrem tiefsten Anliegen, in ihren Ängsten, im Misslingen ihres Lebens, in Einsamkeit und Überforderung, ernst genommen und verstanden werden, kommen sie in Kontakt mit ihrer Tiefe, mit ihrem wahren Selbst. Dies kann sein im seelsorglichen Gespräch. Für viele ist dies -so kann ich aus Erfahrung als Seelsorger seit mehr als dreißig Jahren sprechen- der Beginn eines Prozesses, der sie zu einem beglückenden Glauben führte. Es muss nicht immer das Gespräch sein. Es ist die ganze Art der Verkündigung und des Gottesdienstes, ob sich eine beglückende Tiefe öffnet oder nicht. Entscheidend ist, ob der Verkünder von dem, was er sagt, ergriffen ist. Ergriffensein überträgt sich von selbst und prägt die Atmosphäre. Wenn sie als ergreifend, überzeugend wohltuend, bergend und beglückend erlebt wird, tun sich Antworten auf die bedrängenden Fragen wie von selbst auf. Die viel beklagte Gleichgültigkeit gegenüber Kirche ist gegenseitig. Wenn Menschen die Erfahrung machen müssen, dass sie mit der ganzen Last ihrer seelischen Not im Raum Kirche einfach nicht vorkommen, entsteht ein Graben voller Enttäuschung und Bitterkeit. Die Menschen von heute sind religiöser bzw. bereitwilliger, das Religiöse zu erfahren, als wir meinen. Es gibt  ein Bemühen um existentielle Tiefe, um Authentizität und Sinn, Lebenserfüllung außerhalb der Kirche.

Es seien noch einmal die Suchbewegungen außerhalb des kirchlichen Rahmens erwähnt, die so häufig belächelt, entwertet oder bekämpft werden.   Kontemplation /Meditation, östliche Wege zur Erleuchtung, transpersonale Psychologie sind für viele zum festen Begriff geworden, denen man die Echtheit der Suche und die Tiefe ihrer inzwischen davon geprägten Persönlichkeit nicht absprechen kann.

6. Gott ist dort, wo ich ganz ich selbst bin.                                                                                                                                                                     Wenn "Gott innen ist", dann hilft alles, was nach innen, das heißt zur Tiefe und Echtheit der Existenz führt, ihn zu finden. Gemeint ist nicht eine folgenlose Innerlichkeit, sondern die Wandlung der Motivation, die Öffnung des inneren Auges für die Wirklichkeit Gottes und die Not der Menschen, die Überwindung der "Schwerhörigkeit für Gott". Es geht um die Sensibilität für das, was echt und authentisch ist. Authentizität überzeugt. Sie ist der Einklang von Wort und Emotion, von Überzeugung und Ausdruck, die erlebte Tatsache, dass der ganze Mensch dahintersteht. Gott ist dort, wo ich ganz ich selbst bin. Die frohe Botschaft lautet deshalb:                                                    Ich darf ganz ich selbst sein!                                                                                          Wenn ich das bin, kann ich auch anderen Menschen am meisten bedeuten, ihnen nahekommen und ihnen helfen. Die Veränderung, die wir uns wünschen, beginnt nicht mit neuen noch schwereren Anstrengungen. Hilfreicher ist es, sich zu fragen: Was bedrückt mich? Was bereichert mich? Was bringt mich weiter?                                         Damit ist eingeschlossen, dass man der Angst, der Trauer und dem Schmerz nicht mehr ausweicht, dass man lernt, den Wert guter, entlastender Gespräche zu schätzen, ebenso den der Stille, die für einen wohltuend werden kann. Die erfahrenen Werte ziehen einen in ihre Richtung immer weiter. Daraus wird ein Prozess, der einen von sich aus weiterbringt, (lat.procedere = voranschreiten), ein innerer Weg, ein Wachstum der gesamten Persönlichkeit. Vom heiligen Franziskus heißt es: Die Süße zog ihn weiter und weiter."                                                                                              Gott neu entdecken ist das große Abenteuer unserer Zeit. Das Entscheidende dabei ist: Gott ist innen, in der Tiefe der eigenen Existenz, in der existentiellen Betroffenheit. Wir können Gott nicht beweisen aber das Organ für Gott wecken. Gott ist nicht Ergebnis der Argumente, sondern eines Weges in die Tiefe und zur Echtheit des eigenen Wesens. Es zeigt sich dann ein neues Gottesbild: nicht mehr das am Rande, sondern in der Mitte der Existenz. Nicht mehr eines, das unser Leben einengt, sondern eines, das unserem Dasein volle Entfaltung, Blüte, Wachstum und Reife bringt.

Schluss

Gibt es Gott oder nicht? Streitgespräche darüber enden fast immer ohne Ergebnis. Die Kritiker sagen: Warum soll ich an einen Gott glauben, den man nicht beweisen kann, der im Jenseits thront und die Welt ihrem Schicksal überlässt; der mir das Denken und die Gefühle verbietet, der mir mein gesundes Selbstbewusstsein nimmt? Menschen, die Gott erfahren haben, sagen: "Ich bin zutiefst berührt und beglückt, seitdem fühle ich mich frei zum Denken und zu den schönsten Gefühlen". Gott ist nicht beweisbar, aber erfahrbar. Gott ist nicht eine Instanz außerhalb von uns, er ist in der Tiefe unseres Herzens; er ist dort zu finden, wo wir zutiefst betroffen und berührt sind, im schwersten Leid und in der höchsten Freude: die Liebe, die Geburt eines Kindes, beglückende Erlebnisse und schmerzende wie der Verlust eines lieben Menschen. Wir öffnen dann einen Weg zu Gott, wenn wir uns selbst und die Menschen in ihrem Gefühl, in ihrer Not und in ihrem Denken und Streben ernst nehmen, sogar die Einwände der sogenannten Atheisten. Wir entdecken Gott mitten in unserem Leben als die Kraft, die uns erfüllt und verwandelt.Verstehen und Verstanden werden, den Wert der Stille entdecken können Schritte sein, die uns dem großen Unbekannten näher bringen

 


 

[1] C.G.Jung,GW Bd 11,90)