Das Feuer des heiligen Franziskus

Neue Aufbrüche scheitern meist, sobald die Anfangsbegeisterung erlischt und die Probleme der Einzelnen zu Tage treten. Alles entscheidet sich daran, ob es gelingt, die Interessen und den Denk- und Handlungsrahmen des Einzelnen von Grund auf zu verändern. Es braucht eine Basis der spirituellen und ganzheitlichen, existenziellen Neuheitserfahrung. Erst dann hat ein gemeinsames Leben auf Dauer Bestand.
Der Name Franziskus birgt einen großen Schatz. Er führt jedes Jahr an die vier Millionen Pilger nach Assisi und löst selbst bei kritisch Denkenden und Kirchenfernen Zustim¬mung aus. Der zurzeit amtierende Papst hat ihn gewählt, um seine Einstellung zum Ausdruck bringen. Das »Pro¬gramm« des Heiligen wäre die Lösung für die Fragen, die um Frieden, Armut und Bewahrung der Schöpfung, ebenso um die geistige Orientierungslosigkeit der modernen Ge-sellschaft kreisen.
Als Franziskus öffentlich auftritt, sind die Leute hinge¬rissen. Es fällt wie Feuer in ihre Herzen. Bei Thomas von Celano heißt es wörtlich: »Er sprach in einfältiger Rede, aber sein Wort aus der Fülle des Herzens ergriff die Zuhörer. Es war wie brennendes Feuer, das in die Tiefe der Herzen drang und alle mit Bewunderung erfüllte.«21 Seine Art des
48 Redens und seine Erscheinung erregen Aufmerksamkeit. Die Zuhörer spüren: Er ist ergriffen von einer höheren Macht. Seine Gestimmtheit und Ausrichtung übertragen sich auf sie. Um ihn sammelt sich eine Gruppe von Gleichgesinnten, die in dieser Atmosphäre leben wollen. Das Leben der ersten Brüder wird so geschildert: »Von welcher Liebesglut waren die neuen Jünger Christi entflammt! Welche Lie¬be zu frommer Gemeinschaft war in ihnen lebendig! Voll Sehnsucht suchten sie zusammenzukommen, umso größer war ihre Freude, zusammen zu sein, schwer war dagegen die Trennung von einander, bitter das Scheiden, hart das Geschieden sein ... deshalb waren sie überall voll Zuversicht, von keiner Furcht befangen, von keiner Sorge zerstreut, und ohne Besorgnis sahen sie dem morgigen Tag entgegen.«22
In der Schilderung des franziskanischen Ursprungs taucht vieles von dem auf, wovon manche in ihrer Vision vom Kloster träumen. Wir dürfen an die spontane Herzlich¬keit denken, mit der die ersten Brüder einander begegnen, an die Freude und Heiterkeit im Umgang miteinander und an die Liebe, die einander anzieht. Es ist ein Zusammensein auf einer neuen Ebene. Der Funke, den Franziskus weckt, ist der Punkt, der allen gemeinsam und zugleich der innerste eines jeden ist. Es ist die Instanz, die Ergriffenheit bewirkt, den Einzelnen mit der Gemeinschaft verbindet und, wenn nötig, versöhnt. Sie schafft eine Atmosphäre, die frei ist von Rivalität und Eifersucht, von Sorgen und Kümmern um die Zukunft, aber erfüllt von Frohsinn und gegenseitiger Bejahung. Sie ist etwas, das aus dem Innersten kommt und wie von selbst gegenwärtig ist. Durch willentliche Anstrengung ist diese Gestimmtheit nicht zu erreichen. Gerade dies macht die Substanz des Heiligen von Assisi aus.
Das bedeutet: Die Kluft zwischen Individuum und Gemeinschaft, zwischen Nähe und Distanz zwischen Unabhängigkeit und Bindung, zwischen eigener Meinung und Unterordnung ist nicht un¬überwindbar. Die Lösung liegt gerade im ganz Eigenen, in der Echtheit und Authentizität des Einzelnen. Im Grunde ist es das, was mit dem Evangelium als der froh machenden Botschaft gemeint ist. Sich für dieses Leben zu entscheiden, ist die oberste Absicht des Franziskus. So besteht auch die Ordensregel, kurz zusammengefasst, in nichts anderem als darin,Evangelium unseres Herrn Jesus Christus zu be¬obachten. Aber warum ist das Ganze so mühsam, warum die Kompromisse, warum diese Abbrüche und warum so wenig überzeugende Ausstrahlung bei denen, die sich auf den Heiligen berufen?
Schauen wir genauer hin, inwieweit im Verständnis der Regel falsche Akzente gesetzt werden. Franziskus hat nicht zuerst die Bibel gelesen und dann sich vorgenommen, arm zu sein. Es begann bei ihm mit einer existenziellen Erfahrung, die ihn zutiefst getroffen und der Beginn einer umfassenden Wandlung wurde. Sie verschob alle Interessen und Werte. Erst dann hörte er das Evangelium von der vollkommenen Armut (Lk 9,3) und erkannte es als das für ihn passende Programm. Ebenso war es bei seinen ersten Gefährten. Das Evangelium lebte schon in ihnen, bevor sie dessen Auftrag vernahmen. Wenn nun diese Voraussetzung fehlt, sehen wir uns Forderungen gegenüber, die selbst für gutwillige Nachfolger des Heiligen zu hoch sind oder einfach abschrecken. Allein schon der Ausdruck »Beobachten, des Evangeliums« könnte zum Schluss verleiten, es sei eine Sache des Willens und entsprechender Anstrengungen.
Eines ist zu berücksichtigen: Die Regel des heiligen Franziskus als solche ist nur der Rahmen eines vollen Le¬bens, von dem die ersten Brüder beseelt waren. Der Grün¬der sah sich gezwungen, der schon bestehenden, aus allen Nähten platzenden Gemeinschaft eine Ordnung zu geben. Sie geschah auf der Grundlage der Dynamik des Ursprungs. Wenn diese aber nicht mehr vorhanden ist, erstarrt die Regel zum bloßen Appell und zur willentlichen Leistung. Dies führt zu unsäglichen Diskussionen, zu schlechtem Gewissen und Spannung untereinander. Von einer spontanen, aus¬strahlenden Freude ist dann nicht mehr viel zu spüren. Man darf an die Streitigkeiten denken, die den Orden zu Leb¬zeiten des Heiligen und später noch mehr befallen haben.
Es ist also wichtig, herauszustellen, dass in den Anfän¬gen des Ordens das »Beobachten des Evangeliums« erst der zweite Schritt ist. Zuvor hatte Franziskus selbst erst seine Entwicklung durchgemacht und darin andere angesteckt. Ohne die Neuheitserfahrungen, Umbrüche und bewältigten Ängste seiner Geschichte wäre die Gründung einer neuen Gemeinschaft nicht möglich gewesen.
Die Dynamik des Ursprungs
Der erste Schritt auf der Suche nach einem lebendigen Christsein lautet also: Wie kann die Dynamik des Ursprungs geweckt werden?- 5i

 

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