Macht und Ohnmacht in der Kirche
Erfahrungen von Ohnmacht in der Kirche.
An vielen Orten: klagen die Leute: wir bekommen keinen Pfarrer mehr, unsere Pfarrei wird mit anderen zusammengelegt. In unserer Kirche ist nur alle 3 Wochen ein Gottesdienst. Die Leute treffen sich nicht mehr. Es geht alles auseinander. Wir können gar nichts tun....
Eine junge Frau hat ihr Theologiestudium absolviert, zur gleichen Zeit ein junger Mann in ihrem Alter. Dieser hat sich für das Priestertum entschieden. Er wird in der Pfarrgemeinde die erste Rolle einnehmen. Sie kann im besten Fall als Pastoralreferentin angestellt werden, aber dann die zweite Rolle spielen. Die entscheidenden Fragen sind: Wer predigt am Sonntag? Wer steht am Sonntag vor den Leuten? Wer kann sich vor den Leuten darstellen? Wessen Wort gilt? Dies ist für eine Frau ausgeschlossen. Eine Frau unserer Zeit mit Bildung , Selbstbewusstsein und dem Anspruch auf Selbstbestrimmung hat ihren Platz in der Kirche nicht gefunden.Sie fühlt sich diskriminiert. Ein anderes Beispiel: Ein/er Pastoralreferent/in zerbricht die Ehe. Sie hat zwei Kinder. Nach geltendem Recht verliert er/ sie den Arbeitsplatz, wenn sie einen Partner kennen lernt und ihn heiratet. Sie müsste ein ganzes Leben allein bleiben. Noch ein anderer Fall,der Unverständnis und Anlass zum Aufbegehren weckt, tief auch in das Gemeindeleben eingreift. Ein Pfarrer hat eine Frau kennengelernt als Partnerin der Arbeit wie im privaten Bereich. Er will offiziell dazu stehen das heißt heiraten. Er muss aus dem Amt ausscheiden. Kaum jemand in der Pfarrei hätte etwas gegen den Schritt des Pfarrers. Oft genug gab es Sammlung von Unterschriften, die nichts brachten...
Sprache der Macht Die Oberen1 (und die Unteren) „Die Leviten lesen!" 2 Ins Gebet nehmen! Abkanzeln! Da haben wir nur noch wenige, über die wir verfügen können!" Die demütigende Liebe, die herablassende Barmherzigkeit. „Den haben wir katholisch gemacht". Formen der Macht
Es gibt in den Evangelien verschiedene Formen der Macht, die sich vom Ansatz her unterscheiden: a) „Weißt du nicht, dass ich Macht habe, dich zu kreuzigen und Macht habe, dich frei zu lassen? (Joh19,10), sagt Pilatus zu Jesus.
b)„Sie staunten über seine Lehre; denn er lehrte, wie einer, der Macht hat, nicht wie die Schriftgelehrten" (Mk,1,32). .„Eine neue Lehre mit Macht!" sagen die Leute nach der ersten Predigt in Kapharnaum (Mk1,27). c) „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden", sagt der auferstandene Jesus, als er die Apostel aussendet (Mt28,18).
Die Macht des Pilatus gehört zu der Art von Macht, wo Menschen über Menschen herrschen, ihnen ihren Willen aufzwingen, dazu die Mittel haben, die entsprechenden Sanktionen, das heißt Bestrafungen auszuführen. Es ist die Ordnung, die auf Befehl und Gehorsam aufgebaut ist, milder gesagt auf Gesetze, Regeln, Anordnungen und . deren Befolgung. Der eigene Wille wird unterdrückt zugunsten des Höhergestellten, der die Ordnung des Staates, der Kirche, einer Gemeinschaft vertritt und aufrechterhalten will. Das kann so weit gehen, dass Entscheidungen, die den persönlichen Bereich des einzelnen, die Ausübung des Berufes, der Aufenthaltsort, oft auch die freie Meinungsäußerung betreffen, ohne dessen Zustimmung gefällt werden. Im Extremfall verfügt der Inhaber dieser Macht über Leben und Tod des Untergebenen, wie es Pilatus vor Jesus gesagt hat. In der Geschichte der Kirche hat es diese Form der Machtausübung gegeben und sie gibt es in abgeschwächter und abgewandelter Form immer noch. Darüber herrscht die große Klage. Es läuft auf die Frage hinaus: Wer trifft die Entscheidungen? Wer macht die Gesetze?
Was die Kirche anbelangt sind es die kirchlichen Vorgesetzten, der Pfarrer vor Ort, das bischöfliche Ordinariat, der Bischof, die Bischofskonferenz, der Vatikan, der Papst. Entscheidungsträger sind immer Kleriker, Männer mit Weihe. Dies stößt bei Menschen mit modernem Demokratieverständnis auf Widerstand. Dabei muss gesagt werden, dass auch deren Spielraum sehr begrenzt ist.Es wird in Frage gestellt, dass Entscheidungen theologischer und disziplinärer Art an das Weihesakrament gebunden sind und diese Weihe nur Männern vorbehalten ist. Dagegen wird von Mitgliedern, die Interesse und Sorge um die Kirche tragen, Mitbestimmung eingefordert. „Wir sind Getaufte, wir sind Mitglieder der Kirche, wir leiden an den Missständen, und wir können gar nichts daran ändern" so äußern sich Gläubige, schließen sich in Gruppen zusammen und verlangen ihr Recht. Es hat sich viel Unmut, Unzufriedenheit und Zorn angehäuft. So haben sich schon vor 25 Jahren Gläubige zur Kirchenvolksbewegung zusammengeschlossen, in jüngster Zeit ist es die Frauenbewegung Maria2.0. Es geht um die „Gleichberechtigung der Frau, die mit gleicher Würde und mit gleichen Berufungen gesegnet und geliebt ist als Gottes Kind, wie jeder Mann." Verlangt wird der Zugang zu den Weiheämtern, der Voraussetzung für Mitbestimmung ist und die volle Gleichberechtigung schafft. „Gefordert wird die Abschaffung bestehender männerbündischer Machtstrukturen", ebenso die Verpflichtung zum Zölibat.
Keiner soll herrschen
Eine Lösung scheint zur Zeit unmöglich. Was ist im Sinne Jesu, dürfen wir fragen. Gerade das Eigene und Neue an in seiner Einstellung ist, dass nicht die einen über die anderen herrschen. Keiner soll über den andern herrschen, sei es nur im absoluten Rechthaben. Keiner sollte über dem andern stehen und den andern seinen Willen aufdrücken im guten Glauben, dass er es nur gut meine, schließlich die Verantwortung trage, ohne zuzugeben,dass er doch größer sein will als der andere. Genau diesen Streit gab es schon bei den ersten Jüngern. Als sie von Jesus darauf angesprochen wurden, zeigte sich, dass sie noch sehr wenig verstanden hatten von dem, was sein innerstes Anliegen ist. Echte Größe zeigt sich auf ganz andere Weise. Dem Streitgespräch ging die Äußerung Jesu voraus, dass der Menschensohn leiden und auf diese Weise seinen Auftrag erfüllen müsse. Nicht der ist groß, der sich selbst groß macht und möglichst vielen seinen Willen aufzwingt, sondern der, welcher sich zurücknehmen kann, der die Eigenart, die Grenzen, den Raum und den Willen des andern wahrnimmt und respektiert. Deshalb sollten sie sich nicht „Vater", noch „Meister," noch „Führer"(Mt23,8) nennen lassen. Es sollte kein Machtgefälle, keine Oberen und keine Unteren, sondern nur Gleichgestellte, keine Väter und Söhne, nur Brüder geben. (Mk 9,32-35, Mt 18,1-5). Diese Absicht Jesu gilt es, als Grundlage zu nehmen, wenn von Gleichberechtigung und von geschwisterlicher Kirche gesprochen wird.
Die Macht Jesu
Nun wird Jesus nach seiner Rede in Kapharnaum eine Macht zugesprochen (Mk1,27). Sie ist ganz anders als die des Pilatus. Es ist keine politische und militärische Macht, sie zwingt niemand durch Befehl und Gehorsam. Sie ist seine persönliche Ausstrahlung. Die Zuhörer sind ergriffen, sogar hingerissen. Es werden keine Emotionen gegen die Reichen oder die Fremden geweckt, sondern es herrscht eine Stille, dass man ein Blatt hätte fallen hören. Sie bringen vor Staunen den Mund nicht mehr zu. Es ist, als ob Lasten abfallen würden. Zutiefst aufgewühlt und beeindruckt erzählen sie die Neuigkeit weiter, daheim in der Familie, auf dem Marktplatz, in der Gastwirtschaft. Es wird weitergesagt in der ganzen Gegend. Scharen von Menschen von überall her suchen ihn auf, bleiben Tage lang bei ihm ohne an das Essen zu denken. Sie hatten nie damit gerechnet, dass sie solange bei ihm bleiben würden, sodass der mitgenommene Vorrat längst aufgebraucht ist. Die Nähe Jesu ließ sie nicht mehr weggehen. Man darf an den Pfarrer von Ars denken, zu dem Menschen von weither kamen, oft Tage lang anstanden, um ein gutes Wort von ihm zu hören und etwas von seiner Atmosphäre zu spüren. Es ist die des Heiligen, die auch heute noch an heiligen Stätten wahrgenommen werden kann. Jesus muss sie in der intensivsten Form ausgestrahlt haben besonders, wenn er vom Gebet aus der Einsamkeit des Berges kam. Deshalb drängten sich die Leute um ihn und versuchten, ihn zu berühren „Es ging eine Kraft von ihm aus, die alle heilte." (Lk6,19). Jesus hat Macht über andere, aber nicht die Macht derer, welche andere unter Druck setzen oder zu eigenen Zielen verführen.
Es ist eine Macht, die heilenden Kräfte weckt, welche dem einzelnen die Freiheit lässt, seine Entfaltung fördert, den andern groß und nicht klein macht. Am deutlichsten wird es bei den Jüngern, die als einfache Fischer zu Figuren wurden, welche die Weltgeschichte bewegten.
Das Versprechen Jesu „Ich werde euch zu Menschenfischer machen"(Mk1,17) hat sich bewahrheitet. Davon berichtet als erste die Apostelgeschichte. Das überzeugende Auftreten der Apostel - ihr Freimut-versetzte die oberste jüdische Behörde in Staunen, „als sie erfuhren, dass sie ungelehrte und bildungslose Leute seien" (Apg4,17).
Die Macht, die Jesus dem Petrus verleiht, ist ganz auf die persönliche Beziehung und auf die ganz eigene Geschichte mit Jesus aufgebaut. Dafür stehen die Worte: „Petrus, liebst du mich?....... Weide meine Schafe!"(Joh21,17). Er ist kein Papst, der einer Weltkirche vorsteht und deshalb entsprechende Aufmerksamkeit und Ehren empfängt. Es steht keine Institution dahinter. Er ist ganz auf sich selbst gestellt. Er kann nur mit dem überzeugen, was er unmittelbar in sich trägt. Dies hat sich bei der Rede an Pfingsten, bei der Heilung des Gelähmten und bei der ersten Begegnung mit einem heidnischen Hauptmann als großer Erfolg erwiesen.
Im Ringen um Gleichberechtigung, um Verteilung der Macht, um gerechten Ausgleich in der Institution Kirche, im Streit um Positionen, um Ämter ist die Art von Macht zu berücksichtigen, die Jesus ausgestrahlt und die er Petrus verliehen hat.
Der Mann der Macht und der Mann der Ohn-( ohne-) Macht
Papst Innozenz II und Franziskus
Ein anschauliches Beispiel von äußerer und innerer Macht ist die Begegnung des
heiligen Franziskus mit Papst Innozenz III. Dieser hatte in der vorausgehenden Nacht einen Traum, in welchem die große Lateranbasilika, die Hofkirche des Papstes ins Wanken gerät und einzustürzen droht. Da kommt ein Mann und stützt mit seinen bloßen Schultern die wankenden Mauern, er ganz allein. Als Franziskus vor dem Papst erscheint, erkennt ihn dieser als den Mann, der die Kirche vor dem Einfallen bewahrt hatte. Die Szene ist in der großen Franziskuskirche in Assisi dargestellt.
Warum aber träumt der Papst vom drohenden Einsturz, wo doch damals die schönsten Kathedralen unter großer Teilnahme der Bevölkerung gebaut wurden, wo religiöse Aufbrüche, Ordensgründer und Mystiker die Länder überschwemmten, wo das Wort des Papstes selbst einen Kaiser absetzen konnte?
Träume kommen aus dem Unbewussten, aus dem Bereich der Seele, der dem klaren Verstand verborgen ist. Sie decken eine Wahrheit auf, die im Gegensatz zu dem steht, was das Bewusstsein für gut und richtig hält und woran kaum einer denkt. Damals hatte die Entfaltung äußerer, politischer Macht der Kirche ihren Höhepunkt erreicht. Aber gerade darin liegen die große Schwäche und der Keim des Untergangs. Macht und Gewalt sind das Gegenteil von der bedingungslosen Liebe, welche Jesus den Menschen bringen will. Damit ist der Papst von der Sendung und Verheißung Jesu meilenweit entfernt. So ist denn auch die Kirche des Mittelalters, die solche Züge trug, 300 Jahre später in der Reformation eingestürzt. Der verbliebene Rest ist seit der Aufklärung des 17.Jahrhunderts weiter am Schwinden zumindest in den Ländern, wo rationales Erwachen und modernes Denken weiter voranschreiten.
Der Mann der Ohne-Macht
Der unbekannte Mann, der am nächsten Tag vor dem Papst erscheint, ist derselbe, der im Traum die Kirche stützt. Der Kleidung nach ist er kein Mönch, kein Kleriker, kein Edler, kein Bürger einer Stadt, kein Gelehrter, eher einer aus dem Armenviertel oder von weither draußen im Land, einer von denen, die nichts zählen, die man nicht beachten muss. Er ist ein Niemand, der Glück hatte, überhaupt eine Audienz zu bekommen.
Was aber selbst dem Papst auffällt, ist die Art seines Redens und Auftretens, die Atmosphäre, die er verbreitet, die Aufmerksamkeit, die er erregt. Da ist etwas Friedvolles und Gütiges und zugleich Aufrüttelndes. Er bringt sein Anliegen mit einer Sicherheit und Überzeugung vor, die aufhorchen lässt.
Der Papst ist anscheinend von diesem Auftreten berührt. Es dürften ihm Zweifel im Hinblick auf seine Machtpolitik gekommen sein. Stattdessen wird ihm bewusst, dass dieser Mann die Macht hat, die Kirche zu retten.
Franziskus löst einfach so, wie er ist, eine gewaltige Wirkung aus. Seine Überzeugungskraft stützt sich nicht auf Vollmachten der Obrigkeit, auf Rang, Namen, Titel oder auf gelehrtes Wissen. „Sein Wort war wie ein brennendes Feuer, das in die Herzen der Zuhörer fiel", so berichtet der Biograph Thomas von Celano. Es war ein Funke, der übersprang. Das Entscheidende war, dass er das Herz, den Sitz der Gefühle, der Wünsche und der geheimen Sehnsucht erreichte und deren Ausrichtung umkehrte. Was man bisher für erstrebenswert gehalten hatte, wurde bedeutungslos. Es taten sich völlig neue Perspektiven auf. Es war eine innere Glut in ihm, die eine solche Ausstrahlung hervorbrachte.
Die Vision von Kirche
Er war ein Mann, wie ihn unsere Zeit brauchen könnte. Es geht um die geistige Macht, welche stärker ist als die Strömungen der Zeit mit ihren hohen Ansprüchen nach unbeschränkter Freiheit und nach Lebenssteigerungen und mit ihrem Suchen nach Lösungen.
Die Anziehung neuer spiritueller Bewegungen und des Psychomarktes liegt darin, dass sie den Menschen auf ihre bedrängenden Fragen Antworten zu geben versuchen.
Wo finde ich einen Ausweg aus meiner verworrenen Lebenssituation, aus den misslungenen Beziehungen, aus Einsamkeit und verödetem Dasein, aus der Angst vor der Zukunft? Den sogenannten modernen Menschen beeindruckt nicht, was Vertreter der Institution Kirche sagen, sondern er sucht die Begegnung von Mensch zu Mensch, nach Worten, die aus der Echtheit der Überzeugung kommen und ihn in der Tiefe des Herzens erreichen.
Die Kirche Jesu müsste der Ort sein, wo solches geschieht. Das wäre die große Vision und müsste Priorität vor anderen Strebungen haben.
Dazu tragen alle bei, die eine Atmosphäre schaffen, wo man aufatmen und sich öffnen kann, wo Menschen mit ihrer Geschichte ernst genommen und verstanden werden, ohne dass man ihnen kluge Lehren vorhält oder neue Anstrengungen fordert. Titel und Rang als solche greifen nicht, wenn es um die innersten Belange geht, um Sinn und Ausrichtung des Lebens. Was auch bei Nichtkirchlichen ankommt, ist die Authentizität der Person, die getragen ist von einer unmittelbaren Gotteserfahrung, von einer inneren Glut, wie sie der heilige Franziskus hatte.
Dessen Originalität und Ausstrahlung lassen sich nicht herbeireden, wohl aber kann sich jeder der Dynamik einer Entwicklung öffnen, in der er seinen eigenen Weg findet wie Franziskus den seinen. Es gilt, jenen Kern in sich zu entdecken, der einen über sich selbst hinauswachsen lässt. Wir tragen das Bild Gottes als eigentätige Dynamik in uns, als eine Macht, die uns von innen her gestaltet und stärker ist als die Widerstände unserer Umgebung. Alles entscheidet sich darin, welche Art von Macht neu verteilt wird, die des Pilatus oder die Macht Jesu.