9.Sonntag im Jahreskreis C

Liturgische Texte: www.erzabtei-beuron.de/schott

Evangelium Lk 7. 1 - 10

+ Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas

Als Jesus diese Rede vor dem Volk beendet hatte, ging er nach Kafarnaum hinein. 2 Ein Hauptmann hatte einen Diener, der todkrank war und den er sehr schätzte. 3 Als der Hauptmann von Jesus hörte, schickte er einige von den jüdischen Ältesten zu ihm mit der Bitte, zu kommen und seinen Diener zu retten. 4 Sie gingen zu Jesus und baten ihn inständig. Sie sagten: Er verdient es, dass du seine Bitte erfüllst; 5 denn er liebt unser Volk und hat uns die Synagoge gebaut. 6 Da ging Jesus mit ihnen. Als er nicht mehr weit von dem Haus entfernt war, schickte der Hauptmann Freunde und ließ ihm sagen: Herr, bemüh dich nicht! Denn ich bin es nicht wert, dass du mein Haus betrittst. 7 Deshalb habe ich mich auch nicht für würdig gehalten, selbst zu dir zu kommen. Sprich nur ein Wort, dann muss mein Diener gesund werden. 8 Auch ich muss Befehlen gehorchen und ich habe selber Soldaten unter mir; sage ich nun zu einem: Geh!, so geht er, und zu einem andern: Komm!, so kommt er, und zu meinem Diener: Tu das!, so tut er es. 9 Jesus war erstaunt über ihn, als er das hörte. Und er wandte sich um und sagte zu den Leuten, die ihm folgten: Ich sage euch: Nicht einmal in Israel habe ich einen solchen Glauben gefunden 10 Und als die Männer, die der Hauptmann geschickt hatte, in das Haus zurückkehrten, stellten sie fest, dass der Diener gesund war.

Die Wahrheit der andern oder das religiöse Neuland
 

Heute begegnen wir einem Mann, der die Grenzen der Religion und des Volkes überschreitet. Der römische Hauptmann, der in seiner Heimat mit Jupiter, Mars, Merkur und Venus vertraut ist, achtet die Überzeugung der unterworfenen Bevölkerung, lässt für ihren Gott eine Synagoge bauen und gewinnt damit ihre Herzen. Man könnte dies eine politisch kluge Maßnahme nennen; denn damit hat er keinen Aufstand zu befürchten. Dass er aber ein Mann von echter Menschlichkeit ist, zeigt er in der Art, wie er sich um seinen Sklaven sorgt, der gewiss kein Römer ist. Es muss ihn sehr berührt haben, dass dieser höchst gefährlich erkrankt ist. Aus seinem guten Herzen fasst er den Entschluss, das Letzte zu versuchen, um seinen Diener zu retten. Er schickt zum Wundertäter der Juden und bittet um Hilfe, in einem Lande, wo die Eroberer auf dessen Bewohner nur verächtlich herabschauen und beim geringsten Anlass dreinschlagen. Man darf die Situation von damals mit der von heute in den besetzten Gebieten vergleichen, wo sich Palästinenser und Israelis unversöhnt gegenüberstehen, wo kaum ein freundliches Wort zu hören ist, wo jeder nähere Kontakt bestraft wird. Fast unglaublich muss es in den Ohren der damaligen Menschen klingen, dass ein Römer sich nicht für würdig hält, den Angehörigen eines besiegten Volkes zu empfangen. Man darf vermuten, dass der Mann aus dem Heidentum ein ganz tiefes religiöses Empfinden hat und etwas von dem wunderbaren Wesen dieses Jesus spürt. Fast möchte man an Pilatus denken, der nach dem Bericht des Johannes vor dem geheimnisvollen Galiläer Angst bekommt, während der Hauptmann seinem gesunden Gespür traut und in dem fremden Wundertäter etwas von einer absoluten Güte, Tiefe, Macht und Erhabenheit  wahrnimmt. Er hat das Gefühl, dieser Größe nicht gewachsen zu sein. Aus seiner militärischen Welt weiß er, dass es nicht die persönliche Anwesenheit braucht, vielmehr ein bloßes Wort genügt. Als er diese Gewissheit ausrichten lässt, ist offensichtlich ein Funke übergesprungen.

Jesus spürt die Echtheit und Lauterkeit dieses Mannes. Er, der aus einem fremden Volk und aus einer anderen Religion stammt, hat verstanden, worum es Jesus geht. Trotz der räumlichen Entfernung sind sie sich innerlich nahe gekommen. Es ist eine Atmosphäre ins Schwingen geraten, die erfüllt ist von der Nähe Gottes und die trennenden Grenzen aufhebt. Es ist das, was Jesus Glaube nennt. Jesus fühlt sich gedrängt, diesen Glauben zu loben: „Ich sage euch: Nicht einmal in Israel habe ich einen solchen Glauben gefunden“ (Lk 7,9).

Für einen echten Israeliten muss dieser Satz wie eine gewaltige Provokation klingen. Kann es möglich sein, dass ein Heide Gott näher ist und mehr von der Liebe Gottes versteht als einer, der sich dem auserwählten Volk zurechnet?
Unter dieser Herausforderung stehen wir heute, wenn uns Glaubensgeschichten von Menschen unserer Tage erzählt werden. Es sind nicht wenige, die nach Indien gereist sind und dort nicht bei den dort lebenden Christen sondern bei den Hindus erfahren haben, was Religion bedeuten kann.

Eine junge Frau, von Beruf Altenpflegerin, war aus der Kirche ausgetreten. Religion sagte ihr nichts mehr. Als sie zufällig einmal Kirchenmusik hörte, erwachte in ihr eine Sehnsucht, die sie nicht recht beschreiben konnte, die sie aber zutiefst bewegte. Nach einiger Zeit reiste sie nach Indien, besuchte heilige Orte, übernachtete am heiligen Fluss Ganges und umwanderte betend und weinend Stupas, kuppelartige buddhistische Kultbauten. Sie spürte, wie sehr sie abends das Trommeln und Singen in den Tempeln berührte. Jedes Mal, wenn sie es hörte, wuchs ihre Sehnsucht danach. Sie schreibt in ihrem Buch: "In den Stunden, in denen ich mich am einsamsten und fremdesten fühlte, waren die Gebete und Gesänge das Einzige, was mir wirklich in der Tiefe Halt gab und wodurch ich mich mit den fremden Menschen verbunden fühlte. Obwohl ich kein Wort davon verstand und mir jedes Wort und jeder Rhythmus neu war, war es für mich tiefste Heimat". Weiter berichtet sie, dass sie sich behütet, aufgehoben, getragen und unendlich frei dabei erlebte. Oft habe sie aus Dankbarkeit und Ergriffenheit geweint und ein Aufgehoben sein in Gott verspürt. Sie habe sich selbst entdeckt. Das sei eine unendlich wichtige und kostbare Erfahrung für sie gewesen.

Es gibt keinen Grund, dieser Frau ihre Geschichte nicht abzunehmen oder sogar zu entwerten. Sie sagt uns sehr viel über die tiefste Sehnsucht von Menschen unserer Tage, gerade solcher, die sich von Kirche entfernt haben. Auch erfahren wir, dass es bei aller Einsamkeit einen Raum in unserer Seele gibt, in dem wir uns aufgehoben fühlen und sogar innigst mit anderen Menschen verbunden sind. Zudem muss es uns nachdenklich stimmen, dass es außerhalb der kirchlichen Reichweite religiöse Erfahrung gibt, die im Christentum der Tradition so nicht gefunden wird. Weiter gilt es zu beachten, dass die Begegnung mit fremden Kulturen uns dazu anspornen, ja sogar ein Weg sein  kann, die verschütteten, eigenen Schätze neu zu entdecken und wieder zum Leuchten zu bringen.       

Literatur: Rosmarie Maier, Ich will dich doch erreichen, Begegnungen mit demenzkranken möglich machen, München 2009