2.Sonntag der Osterzeit C

Liturgische Texte zum Tag: www. erzabtei-beuron.de/schott/

Evangelium Joh 20, 19 - 31


Der Atem - das Leben Gottes

Wir wären froh, wenn uns in unseren Zweifeln so klar und eindeutig wie dem Thomas die Antwort gegeben würde. Wir müssen uns abquälen mit unseren Dunkelheiten, mit Verlassenheit, Ängsten und Unsicherheiten und warten oft lange vergebens auf eine klare Sicht, wo wir auch so überzeugt wie Thomas „Mein Herr und mein Gott" sagen könnten.
Jedoch eine Spur, um aus unseren verengten und verschlossenen Räumen in die weite und wunderbare Welt der ersten Christen vorzudringen, wird uns in den kurzen Worten aufgezeigt, in denen es heißt: „Jesus hauchte sie an und sprach zu ihnen: Empfanget den HI. Geist!" (Joh 20,11).

Ganz offensichtlich wird hier, dass der Geist Gottes etwas mit dem Atem zu tun hat, so wie wir ihn tagtäglich in uns spüren. Deshalb lade ich Sie jetzt ein, für eine Minute nur auf Ihren Atem zu achten.  Stille -

Sie werden bemerkt haben, dass Sie sich selbst verändern, sobald Sie Ihren Atem bewusst wahrnehmen. Die Aufmerksamkeit geht vom Kopf in den Leib, in Brust und Beckenraum, von außen nach innen. Der Fluss der Gedanken kommt zum Stillstand, wir werden ruhiger. Der Atem führt uns in die Innenräume unseres Leibes und wenn wir es lang genug üben in die der Seele.
Es öffnen sich die Augen des Herzens, unsere inneren Wahrnehmungsorgane für die Welt, in die Jesus eingetreten ist. Wir werden die Nähe Jesu des Auferstandenen, in uns selbst spüren; denn wir dürfen diesen Christus nicht in einem räumlich entfernten Jenseits suchen, sondern in den uns unbekannten Tiefen unseres Herzens. Dies meint Paulus, wenn er sagt: „Ich lebe - nein - nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir (Gal 2,2o); an anderer Stelle spricht er, man brauche Christus nicht vom Himmel holen oder aus der Erde herauf, vielmehr gelte es, auf die Stimme des Herzens zu achten, weil in ihm Christus zu finden ist  (Vgl. Röm 10,58).

Wer mit dem Atem sich bewusst nach innen wendet, kommt in die Räume, die dem Hastigen, dem Oberflächlichen, dem Geschäftigen und auch dem Nur-Kritischen verschlossen sind. Wir erreichen jenen Punkt in uns selbst, wo die Gefühle und Antriebe ihren Sitz haben. Wenn wir dort einmal angelangt sind, werden wir nicht mehr von falschen Vorstellungen in die Irre geleitet, nicht mehr vom Ärger über andere gequält, von Gefühlen der Minderwertigkeit erniedrigt. Dann haben wir so viel Kraft in uns, dass wir andere lassen können, wie sie sind. Dann tragen wir in uns die Gewissheit, dass alles gut wird. Wir brauchen nicht mehr mit großer Mühe unsere bösen Empfindungen unterdrücken, sondern sie verschwinden nach und nach: die Angst vor der Zukunft, die Sorgen, die Verletzungen und enttäuschten Erwartungen.

Es gibt heute durchaus viele, die sich ernsthaft um diesen Weg nach innen bemühen. Es sind Übungen, bei denen man nur in absoluter Stille sitzt, atmet und betet. Das Auffallende daran ist, dass diese Veranstaltungen äußerst beliebt und begehrt sind. Es ist erstaunlich, wie erfüllt, wie froh, mit welch strahlender Freude die Teilnehmer das Meditationshaus    verlassen.
Wer einen solchen Weg länger geht, der sieht, hört, denkt und redet allmählich anders. Er wird geprägt vom Kraftfeld des Auferstandenen. Diesen kann man nicht sehen, außer man lässt sich voll und ganz in diesen Raum ziehen und sich die Augen des Herzens öffnen. Wer seinen kritischen Verstand zum ausschließlichen Maß aller Dinge macht, sperrt sein wahres Wesen aus, hält sich draußen und sieht gar nichts.

Die Geschichte vom Zweifler Thomas ist die eines solchen Menschen. Er war nicht dabei, als den andern die Begegnung mit dem Auferstandenen widerfuhr. Sie waren einfach überwältigt von dem, was da geschah, und sind immer noch zutiefst aufgewühlt, als sie davon erzählen. Sie können es nicht in Worte fassen, was sich ereignet hat und das Erlebte nicht einem, dessen Herz verschlossen ist, vermitteln. Das Eigentliche muss jedem selbst geschehen. Es ist ähnlich wie bei der Liebe zweier Menschen. Sie ist größer als der kalte, „objektiv" urteilende Verstand. Die persönliche Begegnung, welche das Herz aufschließt, führt in eine Welt, die dem kalten Intellekt verschlossen, aber voller Größe, Schönheit, Glück und Staunen ist. Wer über den Atem, wer vom Geist geleitet, in sein Inneres gefunden hat, für den kommen die Dinge, die uns Zorn, Ärger, Angst und Verzweiflung verursachen, zur Ruhe.

Wenn wir auf dem Grund unseres Herzens angekommen sind, kommen wir auch einander nahe. Wir atmen dieselbe Luft, werden vom selben Geist, vom Innersten her inspiriert. Hier ist Christus, das Zentrum, das alle anzieht, ohne die Freiheit zu nehmen. So wie sich die Türen nach innen öffnen, so tun sie sich auch für einander auf. Von den ersten Christen heißt es: „Sie waren ein Herz und eine Seele" (Apg 4,22,34). Sie konnten ihr Hab und Gut gemeinsam haben, weil ihr höchster Wert, die Erfahrung des Auferstandenen allen gemeinsam war.
Der Weg zueinander beginnt mit dem Weg nach innen. Wir stellen dann überrascht fest, dass wir auf viele stoßen, die mit uns unterwegs sind. So könnte der Tag von Ostern für uns zum Tag der großen Wende werden, wo neue überwältigende Freude aufbricht.