22. Sonntag im Jahreskreis C

Liturgische Texte: www.erzabtei-beuron.de/schott

Der Bettler beim Gastmahl

Oberflächlich betrachtet gibt uns Jesus eine kluge Tischregel, durch die man zum gefälligen und gern gesehenen Gast wird. Es hat mit Einschätzung, mit Anerkennung, Beliebtheit und Berühmtheit zu tun, mit jenen begehrten Zielen, welche in den Umfragen unserer Zeit  zum Ausdruck kommen. Aus einer tieferen Sicht geht es um eine neue Einstellung zum Leben, die uns die Nähe Gottes schenkt. Die Rede Jesu läuft darauf hinaus: Wenn ein Mensch von Gott ergriffen ist, verlieren Fragen nach Rang und Namen ihre Bedeutung.

Hierher gehört eine Erzählung vom heiligen Franziskus, die sich recht stachelig anfühlt. Der Mann aus Assisi war durch sein Auftreten und seine Erfolge berühmt geworden, sodass man auch am Hofe des Papstes von ihm sprach. Aufgrund dessen wurde er von seinem Freund, dem Kardinal Hugolino zu einem Essen mit den Honoratioren der Stadt Rom, den  Kardinälen und vornehmen Persönlichkeiten eingeladen. Plötzlich war er verschwunden. Er kam wieder mit einem Sack voller Schwarzbrote, die er im Armenviertel gebettelt hatte, und „gab sie jedem der Gäste mit heiterem Gesicht”, so wird es berichtet. Darüber war sein Gastgeber, der Kardinal nicht wenig verlegen. Wie passt das verdorrte Brot, noch dazu ein schwarzes auf den sauber gedeckten Tisch mit ganz anderen Gaben? 
Das war mehr als der Bruch der Etikette. Ein gesellschaftskritischer Betrachter unserer Zeit sieht darin die reine Provokation! Die feinen Herren sollten auch einmal spüren, wie das Brot der Armen schmeckt! So könnte man die Absicht des Franziskus verstehen. Die Gäste reagieren aber gar nicht empört; einige aßen es, andere nahmen es ehrfürchtig in die Hand und hoben es pietätvoll auf. Offensichtlich verstehen sie die heilsame Herausforderung. Sie können es dem Heiligen nicht übel nehmen. Als der Kardinal mit Franziskus allein ist, spricht er ihn auf dieses Ereignis an. 
„Warum hast du mich heute so bloßgestellt, dass du als Gast in meinem Haus auf den Bettel gehst? Du hast hier doch alles!” „Hoher Herr, ich habe euch damit um so mehr Ehre erwiesen, als ich den Höchsten ehrte, dem die Armut wohl gefällt, besonders, wenn sie freiwillig ist.”

Für Franziskus ist ein Brot, das um der Liebe Gottes willen gegeben wird, eine Kostbarkeit; er spürt darin unmittelbar die Liebe Gottes, die alles übertrifft und selbst die Gefahr überwindet, das Wohlwollen des Gastgebers wie der hohen Gäste zu verlieren. Sie ist ihm Peinlichkeit und Aufregung wert. Als Bettler im Armenviertel ist er der Unterste, im hohen Saal der Vornehmen ist er der erste, der austeilt, auf den alle schauen, der die Szene beherrscht. Er tut es mit heiterem Gesicht. Er hat es nicht nötig, unsicher oder verschämt zu sein. Er kann es sich leisten, die Regeln eines Festmahls zu durchbrechen und so zu handeln, dass die Rangordnung umgekehrt wird. Er selbst wird zum Geber und mit ihm die Armen.

Hier ist auch der Schlüssel zur Rede Jesu vom ersten und letzten Platz. 
Nichts wäre verkehrter als zu meinen, es ginge um die rechte Tischordnung oder um einen klugen Rat, wie man aufsteigt. Was Jesus in sehr zugespitzten Worten ausdrückt „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt. Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden” (Lk 14, 11), lässt sich kurz so zusammenfassen: Es gibt eine Art da zu sein, zu denken und zu fühlen, bei der man auf die Reihenfolge von oben nach unten nicht mehr angewiesen ist. Wer ganz und gar von Gott ergriffen ist, für den wird  die  Rangordnung als solche bedeutungslos. Auf dieser Grundlage bildete sich um Franziskus eine Gemeinschaft, aus welcher sein Orden entstand. So hat sich dann auch der Einritt in diesen vollzogen. Als Zeichen, dass Herkunft, Besitz, Titel, Namen nicht mehr zählen, legt jeder seine Standeskleidung ab, nimmt  den Ordenshabit und wird Bruder genannt. Keiner, der vom wahren Geist des Heiligen ergriffen ist und ein Amt inne hat, fühlt sich mehr als die anderen. Gleichheit und Ebenbürtigkeit aller ergeben sich aus der Kraft, die aus dem Innersten kommt und nicht vom verliehenen Titel. Dies ist umso eher möglich, je mehr die Atmosphäre von der Kraft Gottes geprägt ist. Die Leiter einer Gemeinschaft sollten sich nicht priores, das heißt Obere nennen. Denn wenn es Obere gibt, dann auch Untere.

Ein Zeitgenosse berichtet: Sie - die Personen um den heiligen Franziskus -  leben nach der Form der Urkirche, von der es heißt: „Die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,32). Dies ist immer noch der Traum derer, welche die Kirche erneuern und Leben im ursprünglichen Sinn suchen. Damit verbinden sich aber tiefgreifende Auseinandersetzungen, bei so vielen Enttäuschungen und Resignation. Man versucht, die eigene, berechtigte Sicht der Dinge in den Raum der Kirche einzubringen und scheitert. Man muss immer wieder klein beigeben und den letzten Platz einnehmen.
Jeder, welcher diese bittere Erfahrung  gemacht hat, darf sich aber sagen: Niemand kann mich daran hindern, die Kraft des Ursprungs in mir selbst zu wecken! Damit hat es bei Franziskus begonnen und zum großen Ergebnis geführt.