28. Sonntag im Jahreskreis C

Liturgische Texte: www.erzabtei-beuron.de/schott

1.Lesung 2 Kön 5, 14 - 17

2.Lesung 2 Tim 2, 8 - 13

Evangelium Lk 17, 11 - 19


Begegnung im Grenzgebiet


An diesen Sonntag werden wir mit Jesus durch ein Grenzgebiet geführt. Grenzen zu überschreiten hatte einmal etwas Aufregendes an sich. Die Älteren erinnern sich an die Nachkriegszeit, als die Wunden des Krieges noch nicht verheilt waren, als man sich von den andern Ländern abschottete, als der Massentourismus noch nicht üblich war, als man nur aus Erzählungen von der anderen Seite wusste.

Da war man neugierig, wie es auf der anderen Seite wohl aussieht, welche Menschen man antrifft, welche Gespräche sich entwickeln. Es hatte etwas von einer anderen Welt. Jesus trifft auf seiner Wanderung nach Jerusalem auf Menschen, die anders sind als seine Landsleute, Gott anders verehren, vor allem ablehnend denen gegenüber, die nach Jerusalem ziehen und sich als bekennende Juden ausweisen. Das Grenzgebiet ist voller Unsicherheiten. Manche Dörfer sind von den einen, andere von andern bewohnt, manche auch gemischt.   

Das bedeutet, dass man auch seelisch in ein Grenzgebiet geht, dass Ängste aufkommen, dass es Zusammenstöße gibt, dass herzliche Gastfreundschaft kaum anzutreffen ist, eher verschlossene, misstrauische Gesichter. Hier auf diesem Feld tauchen die Aussätzigen auf. Man darf annehmen, dass sie, überall abgewiesen und vertrieben, sich wenigstens im Grenzgebiet aufhalten dürfen. Für Jerusalempilger sind sie Träger einer kultischen Unreinheit, vor der die Unglücklichen selbst die  Vorbeiziehenden warnen.

Das Schicksal der Aussätzigen ist ein Herz zerreißendes Elend, wie es die Ärztin Ruth Pfau in Pakistan und Afghanistan angetroffen hat und in ihrem packenden Buch „Das Letzte wird die Liebe sein“ schildert. Als junge Ordensschwester und Ärztin entdeckte sie in den Elendsvierteln von Karachi viele Leprakranke, um die sich niemand kümmerte und die es in der Statistik der Regierung gar nicht gab. Sie war so betroffen von dem Leid der Ausgestoßenen, dass sie in der Sorge um sie ihre Berufung erkannte. In einer kleinen Hütte mitten im Slum errichtete sie eine provisorische Station zur Behandlung der Leprakranken. Es war in einem Gebiet jenseits der Zivilisation, wo die für uns selbstverständlichen Regeln des Zusammenlebens aufhören. Genau an einem solchen Ort dürfen wir die Aussätzigen vermuten, denen Jesus begegnet. Es ist nachvollziehbar, mit welcher Kraft, sogar Verzweiflung der Satz gerufen, ja geschrien wird: „Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns!“ (Lk 17,13) Es ist so etwas wie die letzte Hoffnung und der ganze Einsatz dessen, was ein Mensch aufzubieten hat. Wir kennen das Schreien des Blinden von Jericho, der in der Menge durch seine Stimme Jesus auf sich aufmerksam macht. Situationen wie diese, in denen Not und Verzweiflung antreiben, kann man auch als Grenzgebiet bezeichnen zwischen einem gesicherten, bürgerlichen Leben und einem, wo nichts mehr normal läuft, wo es um das bloße Überleben geht  und der volle Einsatz gefordert wird.

Hier können wir unser eigenes Grenzgebiet einmal wahrnehmen. Man spricht heute von Lebenskrisen und meint eine Situation, in der man aus der Bahn geworfen wird, aus dem Beruf, aus einer liebenden Verbindung, aus der Ehe und Familie, aus der Gesundheit, aus dem normalen Alltag. Der Schrei der Verzweifelten dürfte uns in Erinnerung bleiben und bei vielen einen Nachhall finden. Weil er aus dem tiefsten Herzen kommt, hat er das Herz Jesu erreicht und auch das eigene geöffnet. Das Wort Jesu konnte ankommen und heilen.

Die Heilung der Aussätzigen war mehr als eine körperliche Genesung. Damit verbunden war das, was wir heute Resozialisierung nennen. Der Weg zu den Priestern sollte die offizielle Anerkennung ihrer Gesundheit bedeuten. Damit konnten sie wieder in das normale Leben zurückkehren. Sie durften wieder heim in ihr Dorf, zu ihren Verwandten, zu ihrer Familie. Sie dachten an nichts anderes mehr. Bei dem einen, der zu Jesus zurückkehrte, war da noch etwas ganz anderes. Es war in ihm eine Freude aufgebrochen, die selbst die Heimkehr verblassen ließ. Er war innerlich ein anderer geworden: nicht mehr der ausgestoßene, verachtete Samariter, der in der Gruppe der Unglücklichen auch nur der letzte war. Es hat sich in der Begegnung mit Jesus wahrscheinlich das ereignet, was heute in der Sprache der neuen spirituellen Wege „Erleuchtung“ genannt wird. Wer sie erfährt, ist wie eingetaucht in eine Atmosphäre der Freiheit, der Nähe, des Glücks, wo alle Blätter leuchten und alle Menschen gut sind. Es ist so etwas Kostbares, als ob die ganze Welt einem gehören  würde. Wir können diese innere Gestimmtheit, die von Erleuchteten bezeugt wird, bei dem Geheilten gewiss nur vermuten. Aber der Dank, der ihn wohl einen weiten Weg noch einmal gehen ließ, kommt aus einem mit Glück erfüllten Herzen.