30. Sonntag im Jahreskreis C

Liturgische Texte: erzabtei-beuron.de/schott


1.Lesung Sir 35, 15b - 17.20 - 22a

2.Lesung 2 Tim 4, 6 - 8.16 - 18

Evangelium Lk 18, 9 - 14



Eifer ohne Erleuchtung oder erleuchtende Einsicht

Zwei Figuren werden uns heute vor Augen geführt: der Pharisäer, der uns so bekannt ist, dass er zum Schimpfwort wurde, und der Zöllner, der von Jesus gelobt wird. Wie von selbst gehört diesem unsere Sympathie, während die Gestalt des Frommen eher alte Feindbilder wach ruft. Wir sollten mit unserem Urteil aber vorsichtig sein. Wenn wir uns allzu schnell auf die Seite des armen Sünders stellen, dann halten wir uns doch für die Besseren und dann ist genau das eingetreten, wogegen Jesus ankämpft: Die gedankenlose und selbstsichere Selbsteinschätzung.

Nicht jeder Eifer ist erleuchtet und Gott wohlgefällig. Entscheidend ist, ob man auch weiß, was man tut. Es ist ja gerade so gewesen, dass die Frommen, die sich für das religiöse Leben verantwortlich fühlten, die schlimmsten Gegner Jesu wurden. Dies ging bis zur radikalen Vernichtung. Seine Worte am Kreuz bringen es klar zum Ausdruck: "Denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 24,34 ) Vor dieser Unwissenheit sind auch seine Jünger nicht verschont geblieben. Jesus hat ihrem  blinden Eifer Einhalt geboten, als sie den Samaritern Feuer vom Himmel wünschten.

Die Jünger der späteren Geschichte ließen sich allerdings nicht davon abhalten. Dies wird uns von anderer Seite ständig um die Ohren geschlagen. Wir müssen beschämt zugeben, dass unerleuchteter Eifer in seiner Kirche großes Unheil angerichtet, sogar unschuldigen Menschen das Leben gekostet hat. Wichtig ist dabei auch die Einsicht, dass keine Generation, ganz gleich in welchem Jahrhundert davor sicher ist. Der Gedanke, dass guter Wille gerade im religiösen Leben blind sein kann, sollte uns wach rütteln. Der Auftrag lautet: „Weiß ich auch, was ich tue? Wie kommt das, was ich sage, bei den anderen an? Welche Auswirkungen hat es? Kann ich mich selbst kritisch mit den Augen der andern betrachten?“ Wir werden an das Wort aus der Bergpredigt erinnert: „Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders und den Balken in deinem eigenen Auge beachtest du nicht? Du Heuchler! Zieh erst den Balken aus deinem Auge, dann sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!“ (Mt 7,3-5) Die Einsicht in das eigene Innere nimmt die Aufmerksamkeit und Verbesserungssucht vom andern, lockert den Druck, den man auf ihn ausübt, und gibt ihm die Chance, auch bei sich einzukehren und sich nicht mehr verteidigen zu müssen.

Es beginnt eigentlich mit dem, wovon heute die Rede ist. „Zwei Männer gingen in den Tempel, um zu beten“ (Lk 18.10). Was hat sie dazu getrieben? Man darf annehmen, dass sie es selbst nicht recht wussten, genauso wie wir in Verlegenheit kämen, wenn uns ein Fernsehreporter fragen würde: „Warum gehen Sie in die Kirche?“ Wir würden wahrscheinlich sagen: „Weil ich ruhiger werde. Weil ich es so seit meiner Kindheit gewohnt bin. Weil ich nachher zufriedener bin“. Aber irgendwie spüren wir, dass das nicht alles ist. Da ist noch ein Gefühl, das noch viel tiefer liegt und das man schlecht in Worte fassen kann und dem nahe kommt, was manche so beschrieben haben: „Es geht mir darum, einmal ganz tief einzutauchen in eine Atmosphäre, die mir gut tut. Ich möchte einmal ganz tief im Innersten berührt sein. Ich möchte einmal wegkommen von den verwirrenden und quälenden Eindrücken des alltäglichen Lebens.“

Wir dürfen annehmen, dass solche geheimen, nie ausgesprochenen Überlegungen bei Kirchgängern vorhanden sind gerade bei solchen, die außerhalb der Gottesdienstzeiten den sakralen Raum aufsuchen. Im Blick auf die Geschichte der Frömmigkeit dürfen wir auch an den Bauernburschen Hans Birndorfer aus dem Rotttal denken, der als Bruder Konrad allen Altötting- Wallfahrern bekannt ist. Von ihm wird berichtet, dass ihn Kirchen fast magisch anzogen. Er nahm den Fußweg von sechs Stunden auf sich, um am Sonntag nach dem Wallfahrtsort „Maria Hilf“ ob Passau zu pilgern, dort zu beichten und zu kommunizieren. Er ging dann nüchtern, wie er gekommen war, wieder nach Hause. Es muss ihn etwas bewegt haben, das er Außenstehenden nicht sagen konnte. Schließlich ging ihm auf, dass sein Platz genau dort sein musste, wo er sich in heiligen Räumen bewegen konnte: im Kloster.

Wir sind sicher auf keiner falschen Spur, wenn wir die Freude eines heiligen Franziskus und eines Johannes Birndorfer zusammen sehen und mit dem in Beziehung setzen, was Jesus vom Zöllner sagt: „Er ging als Gerechter nach Hause zurück“ (Lk 18,14). Das Wort „gerecht“, das häufig in der Heiligen Schrift vorkommt, ist mehr als sorgsames Beachten des Gesetzes. Gewöhnlich wird es als „recht sein vor Gott" bezeichnet. Wenn wir davon ausgehen, dass Gott die Liebe und die Freude ist, heißt das nichts anderes, als dass wir mit der Liebe übereinstimmen, dass wir von Wohlwollen und Bejahung des Lebens und aller lebenden Wesen getragen sind. So dürfte es beim heiligen Franziskus und beim heiligen Bruder Konrad gewesen sein. Deren Frömmigkeit war davon geprägt, dass sie von Gott berührt waren. Das hat sie verwandelt. Das war etwas so Schönes, Erhabenes und Kostbares, dass sie auf alles andere verzichten konnten. So war es wahrscheinlich auch beim Zöllner, der als „Gerechter nach Hause ging“ (Lk 18,14). Er war damit meilenweit vom frommen Pharisäer entfernt, der, wie es aus seinen Worten erscheint, eher eine Bestätigung und eine Belohnung für seine Mühen suchte.

Blicken wir selbstkritisch in unser Inneres, wird sich zeigen, dass jeder von uns etwas vom Pharisäer in sich trägt, von seiner falschen Selbstgewissheit, von seiner Überheblichkeit, von seiner Verschlossenheit für das Schicksal anderer, von seinem Unverständnis für das, was mit der Botschaft Gottes gemeint ist. Wenn wir uns aber kritisch selbst anschauen, macht es uns betroffen, wir hören auf, uns selbst ins bessere Licht zu stellen. Wir sind an dem Punkt, an dem sich unser Inneres öffnet, wo uns Gott berühren kann.