Allerheiligen

Liturgische Texte: www.erzabtei-beuron.de/schott

1.Lesung Offb 7, 2 - 9 - 14

Evangelium Mt 5,1 - 12



Wo das Heilig-werden beginnt

„Es ist eine seltsame Freude in mir, dass alles so gekommen ist, und so ist es wohl gut. Sonst könnte in mir keine solche Kraft und Freude und Sicherheit sein.“
Dies schreibt Etty Hillesum, eine junge jüdische Frau aus Holland, die 1943 Opfer nazistischen Rassenwahns wird und bei dem schrecklichen Schicksal zu einem tiefen Glauben findet, in ihr Tagebuch.
Genau um diese seltsame Freude geht es. Es ist ein anderes Wort für „selig“, das auch mit „O das Glück“ übersetzt wird. Im Grunde ist es das zentrale Thema, wenn wir von den Heiligen reden und sie verstehen wollen.
Sie werden uns gewöhnlich als Figuren dargestellt, die übermenschliche Taten vollbracht haben. Von heroischen Tugenden ist bei einer Heiligsprechung die Rede: Mutter Teresa hat in Kalkutta die Sterbenden auf der Straße aufgelesen und ihnen zu einem würdigen Tod verholfen. Damian de Veuster hat als Missionar auf der Insel Molokai in der Südsee sein Leben den Aussätzigen gewidmet und wurde dabei selbst Opfer der Krankheit. Der heilige Franziskus ging am Beginn seines neuen Lebens ebenfalls unter die Aussätzigen.

Von jedem Heiligen wird etwas Auffallendes und Außergewöhnliches berichtet und sei es nur, dass die Person ihre Krankheit oder ein anderes schweres Schicksal in bewundernswerter Geduld, in stiller, ausstrahlender Freude ertragen hat. Wir bewundern solche großen Gestalten, und können sie, wenn es nötig  ist, als gutes Beispiel verwenden.
Der Gedanke allerdings, selbst Ähnliches zu tun, kann gar nicht aufkommen. Denn da fühlen wir uns total überfordert. So hat der heilige Franziskus viele Bewunderer, aber wenig Nachfolger. Wir müssen uns fragen, woran das liegt. Es hilft wenig, dem Zeitgeist, der Genusssucht und Oberflächlichkeit der Menschen von heute die Schuld zu geben. Besser ist es, genauer hinzuschauen, wie es bei den Heiligen begonnen hat. Am Anfang steht keineswegs eine heroische Selbstüberwindung, keine übermenschliche Tat, die alle in Staunen versetzt.

Bei Etty Hillesum sind es ihre Not, ihre Schwäche und ihre Neugier, die sie zu einem Psychotherapeuten führen. Damit beginnt für sie ein Weg zu einer spirituellen Tiefe, zur Echtheit und übermenschlichen Reife, mit der sie dem Grauen im Lager begegnen kann.
Die „seltsame Freude“ trotz allem Schrecklichen ist nicht Ergebnis ihrer guten Vorsätze sondern eines persönlichen Wachstums, das sie zusammen mit ihrem Therapeuten erleben darf.
Dabei entspricht das Verhältnis der beiden keineswegs den therapeutischen, noch den bürgerlichen, schon gar nicht den kirchlichen Regeln. Wenn aber diese junge Frau miterleben muss, wie willkürlich und grausam mit ihren Eltern, Verwandten, Freunden und Bekannten umgegangen wird, und sie dennoch aus voller Überzeugung in ihr Tagebuch schreibt: „Das Leben ist schön, reich und voller Sinn“, muss in ihr eine Kraft sein, die stärker ist als das größte Elend. Wir dürfen sogar sagen: Es ist etwas von dem, was im Prozess der Heiligsprechung „heroische Tugend“ genannt wird.
Gewöhnlich werden die Heiligen als die Vorbilder hingestellt, denen wir nacheifern sollten. Aber das Schicksal dieser Frau kann man nicht nachahmen. Es braucht vielmehr einen Weg, wie man zu dieser „seltsamen Freude“ hinfindet. Wie kann die Kraft geweckt werden, dass wir unser Leben, das auch schwer und verschlungen sein mag, ähnlich wie sie meistern?

Dafür gibt sie einige Hinweise. Den entscheidenden Schritt tut sie, als sie sich mit Neugier und Wahrheitsliebe ihrer inneren Seite zuwendet, die von Unsicherheit, Schwäche und Leidenschaft geprägt ist. Dies ist die große Wende in ihrem Leben. So ist es auch beim heiligen Franziskus, als er auf die Stimme der Träume hört und vom schon begonnenen Kriegszug heimkehrt. Der Einstieg des Heiligen in sein neues Leben  ist nicht die Wiederherstellung des Kirchleins St. Damiano, sondern dass er sein Inneres ernst nimmt.
Ähnlich  ist auch beim heiligen Ignatius, als er nach der Lektüre verschiedener Literatur seine Stimmung beobachtet und erkennt, dass er den Sitz seiner Gefühle auch beeinflussen kann. Bald entdeckt er, dass er von dieser bisher unbekannten Seite regelrecht angezogen wird und zwar in einer solchen Wucht, dass er alles, was ihm bisher wichtig war, aufgibt.

In diesen Tagen gehen wir an die Gräber unserer Angehörigen und werden nachdenklich. Wir wenden unseren  Blick nach innen. Uns wird bewusst: keiner von uns wird diesem Schicksal entrinnen. Die Frage darf uns beschäftigen: Wofür habe ich gelebt? Was ist die Summe meines Lebens?
Das Ergebnis richtet sich nach der Art, was ich wissen will. Ich kann fragen: Was habe ich von meinem Leben gehabt? Dabei kommt meistens heraus: Außer ein paar schönen Ereignissen war das meiste Arbeit, Anstrengung und viel Enttäuschung.
Man kann sich auch die Frage stellen: Wie bin ich dabei geworden?
Zufrieden, gütig, gelassen, vertrauenswürdig, ein Mensch, der trotz Enttäuschung auf ein erfülltes Leben zurückblicken kann, der innerlich groß ist, der großzügig und verständnisvoll Menschen mit anderer Art und anderem Schicksal beurteilt; bin ich jemand, der an Schicksalsschlägen gereifter, reicher und gütiger geworden ist, der Sicherheit, Verstehen und Wohlwollen ausstrahlt, der eine Atmosphäre verbreitet, in der man sich gut fühlt und zu Hause sein kann, der sogar etwas von der seltsamen Freude einer Etty Hillesum in sich trägt?
Diese Eigenschaften werden bei der Heiligsprechung unter diesen Namen nicht erwähnt, aber die großen Gestalten sind davon geprägt, ob sie nun als Heilige verehrt werden oder nicht.