Das große Ziel: Simorg, der König der Vögel!

Donnerstag 29.Oktober 19.30

 Haus der Kirche Ingolstadt

 „Da sahen sie das Abbild Simorghs auf der Erde. Als die dreißig Vögel genauer hinschauten, sahen sie, dass sie selbst Simorgh - Dreißig Vögel waren. Aus Erstaunen wurden sie verwirrt. Sie hatten es nicht gewusst, bis sie es geworden waren. Sie sahen sich als den richtigen Simorgh, der Simorgh selbst waren die dreißig ewigen Vögel. Als sie nach Simorg schauten, war jener Simorgh der Simorgh hier. Als sie sich anschauten, waren sie, die dreißig Vögel, er. Und wenn sie beide betrachteten, waren sie beide genau ein Simorgh Dieser eine war der andere und der andere war dieser. Niemand hat in der ganzen  Welt jemals davon gehört Alle waren in Erstaunen versunken. Sie blieben in Gedanken gedankenlos.

Weil sie nichts von nichts hatten, fragen sie Gott ohne Sprache. [1]

Die  Vögel stellen fest, dass jeder von ihnen selbst der gesuchte König  ist. Es ist der Funke Gottes, der aus jedem strahlt. Was sie suchten, ist in ihnen selbst. Jeder kann König werden, wenn er sich mit sich selbst auseinandersetzt und den   Weg in die eigene Tiefe nicht scheut.

Wer ist Simorg?

Im Märchen vom König der Vögel die Rede , der dann jeder der dreißg und alle zusammen selbst sind. Ein Rätsel, wie der Satz „Weil sie nichts von nichts hatten, fragen sie Gott ohne Sprache." Hier taucht zum ersten Mal das Wort „Gott" auf. Wir dürfen sagen: Mit „Simorg" meint der persische Dichter jene Wirklichkeit, die Gott genannt  wird. Es geht ihm um die Erfahrung nicht um eine philosophische, abstrakte Definition. Man kann sagen: Simorgh ist eine Umschreibung für diese Erleben. Im normalen Gespräch ist es eher peinlich, wenn von Religion oder Gott  gesprochen wird. Man kann mit Gott  nicht argumentieren. Bei dem evangelischen Theologen Paul Tillich (1886-1965) finden mit seiner Definition: „Gott ist das grundlegende Symbol für das, was uns unbedingt angeht."[2] „Glaube ist das Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht."[3]

Diese Aussage bedeutet, dass Gott mit der Existenz des Menschen unauflöslich verwoben ist. Im Vorgang, in dem einen etwas „angeht", ist das Ich nicht mehr aktiv, sondern empfangend und erleidend. Es geschieht etwas mit einem.

Damit dürfen wir die Spur Gottes in der Perspektive der Betroffenheit suchen. Ich darf an die Aufführung des Theaters „Die Konferenz der Vögel" erinnern. Die Zuschauer, waren  am Ende ergriffen. Es war ein Geschehen, das sie zutiefst berührt hat. Aus Zuschauern wurden Teilnehmer.

Sie wurden auf dem Inneren Weg mitgenommen. Man könnte sagen zum „Simorg" geführt. Das Theater war entgegen der Kritik in der Zeitung im tiefsten Sinne religiös.                                                                                            

Es ist der Hinweis darauf: Wenn die offizielle Religion wieder Bedeutung gewinnen will, dann muss sie sich in einer Atmosphäre den Menschen anbieten, die etwas von dieser Ergriffenheit ausstrahlt.

Wir sind dann auf dem Weg zu dem, was Simorgh genannt wird,  wenn wir im Kern unseres Wesens, am Sitz der Gefühle, der Motive und der Interessen getroffen sind. Was damit gemeint ist, kann an der Glaubensgeschichte einer Frau, Lehrerin für Altenpflege, verständlich werden:

Ich darf noch einmal an jene Szene erinnern, in der sie in einem Seniorenheim einem demenzkranken alten Mann ihre volle Zuwendung schenkt, ihn bei seinem Namen nennt, ihre Hände in die seinen legt, ihm voll in die Augen schaut. Es entwickelt sich eine Begegnung, von der beide, sogar die anwesenden Heimbewohner zutiefst ergriffen sind. Sie singen aus Freude und Dankbarkeit zusammen „Großer Gott wir loben Dich."

Sie selbst verstand nicht, was geschehen war. Sie sagt wörtlich:

„Ich war in die Liebe eingetaucht, wie in ein umhüllendes Licht-wir beide waren eingetaucht. Diese göttliche Kraft floss zwischen uns hin und her, das spürte ich deutlich. Ich ließ zu, was da war: meine Sprachlosigkeit und eine tiefe innere Nähe und gleichzeitig die Wahrnehmung, dass ich vor Dankbarkeit und Freude hätte weinen können.

Ich merkte, wie stimmig und stärkend auch für mich selbst das Singen des Liedes „Großer Gott wir loben dich" war. „Für mich wie eine heilige Messe"..

 

Die beschriebene Szene, in der alle zusammen von etwas Unsagbarem ergriffen sind, erinnert an die Ankunft der Vögel beim Simorgh. Es war eine Verbundenheit mit allen in dem Raum spürbar. Sie alle sind Simorgh, aus allen leuchtet die eine göttliche Kraft!                                                                                                                        Damit soll gesagt sein: Es gibt eine Wirklichkeit, die man nicht von außen erkennen, im Letzten nicht beschreiben und begreifen, sondern nur erleben kann. Und diese Wirklichkeit ist Liebe, Verbundenheit in der Tiefe, Nähe in Freiheit jenseits von Erotik und Sex, sogar im Alter und in der Demenz!                                                                                                                                            

 Voraussetzung ist allerdings, dass jemand den inneren Weg geht, wie es im persischen Märchen dargestellt ist. Diese führen über die Täler der Suche, der Erkenntnis, der Einsamkeit, des Nichts, des Todes und des Staunens. Die erwähnte Person, Lehrerin für Altenpflege hatte ein entscheidendes Stück dieses Weges schon hinter sich. An ihrer Geschichte kann deutlicher werden, was mit „Innerer Weg" gemeint ist.                                                                                                                    Sie machte einen spirituellen Entwicklungsprozess durch, der sehr ungewöhnlich klingt. Sie stammt aus einer katholischen Familie. Wie so viele andere war sie in jungen Jahren aus der Kirche ausgetreten, weil sie kein religiöses Bedürfnis spürte. Als sie mit klassischer Kirchenmusik in Verbindung kam, war sie zutiefst berührt. Zeichen dafür waren die Tränen, die sie nicht mehr zurückhalten konnte. Sie wusste aber nicht, was da in ihr bewegt wurde. Sie spürte nur intensiv: diese Musik hat mit Liebe zu tun!                                                                                                                            Das Erlebnis war für sie äußerst kostbar Es zu verharmlosen oder zu entwerten hätte sie sehr verletzt. Es wurde für sie zum Beginn ihres inneren Weges. Die entscheidende Wende geschah dann in Indien am Ganges. Sie mischte sich unter die Pilger und umkreiste weinend und betend die Stupas. Obwohl sie von den Gebeten und Gesängen nichts verstand, fühlte sie sich bei Gott aufgehoben wie in der tiefsten Heimat. Sie schreibt dazu: „Ich habe mich selbst entdeckt! Das war und ist eine unendlich kostbare Erfahrung für mich!"[4] Aus Ergriffenheit und Dankbarkeit musste sie immer wieder weinen, ja sogar jedes Mal, wenn sie an Gott dachte. Dies wirkte sich auch auf die Einstellung zu ihrem Beruf aus. Seitdem empfindet sie ein tiefes Verstehen für Menschen mit Demenz, gerade für solche, die sich einsam, verloren und ausgeschlossen fühlen. Begegnungen mit ihnen gestalteten sich so ergreifend, dass so etwas wie göttliche Liebe spürbar wurde. In ihrem Buch  „Ich will dich doch erreichen, Begegnungen mit demenzkranken Menschen ermöglichen"[5] berichtet sie nicht nur von ähnlichen Szenen, sondern gibt konkrete Anleitungen für Pflegepersonal und Angehörige, wie man mit Respekt und Würde mit Menschen umgeht, die ihren Verstand zum Teil verloren haben. Dazu sei gesagt: Es kann jeden treffen:  die eigene Mutter, die so komisch wird, den eigenen Vater, einen selbst.

 

II

Simorgh bedeutet

Eine Erfahrung des erfüllten Ergriffen seins, welche dem eigenen Dasein Sinn verleiht auch in schwierigen Situationen, bei Verlust von Nähe und Anerkennung,  der Gesundheit, des klaren denkenden Bewusstseins, selbst im Angesicht des Todes. Es geht um Neue erfahrene Werte und neue Lebensperspektiven.

Es ist der Inhalt und die Substanz jeder Religion. Für die, welche auf dem Boden des Christentums aufgewachsen sind, heißt das, dass man den Wert, die Kraft, des Ursprungs des Christentums neu entdeckt.                                                                            Was war es, dass das Christentum .in den ersten Jahrhunderten die Menschen so angezogen hat, in einer Gesellschaft, deren Härte uns heute noch erschaudern lässt?                                                                                                                                           Es war die Simorgh-Erfahrung, welche das frühe Christentum prägte, welche durch Masseneintritt verloren ging, welche aber  im Laufe der Geschichte immer wieder auftaucht. Gewöhnlich sind es die Heiligen, die dann verehrt wurden.

Es gibt aber genügend andere, welche auch die große Erfahrung hatten. Einer davon ist ein russischer Pilgers aus dem 19.Jahrhundert, der seine Erfahrung mit dem Herzensgebet so schildert: „Das Herzensgebet erfüllte mich mit solcher Wonne, dass ich nicht glaubte, es könnte jemanden auf der Welt geben, der glücklicher wäre als ich  und ich konnte es nicht verstehen, dass es noch größere herrlichere Wonnen im Himmelreich geben würde. Dieses fühlte ich aber nicht nur im Innern meiner Seele, sondern auch die ganz Außenwelt schien mir wunderbar schön und alles verlockte mich zur Liebe und zum Dank gegen Gott. ".[6]

Dies muss es gewesen, warum der jüdische Rabbi Paulus aus Tarsus dreimal durch  die damals bekannte Welt zog und auf Anhieb seine Überzeugung, d.h  seine

Erfahrung, seinen Erlebnisraum weitergeben konnte. Was der Pilger aus Russland beschreibt, das ist eigentlich mit dem Christentum gemein, mit dem, was Paulus weitergeben wollte.                                                 

                                                 Brücke zu anderen Religionen

 

Die Simorgh-Erfahrung ist die Brücke zu den anderen Religionen, gerade zum heiß umstrittenen Islam. Farid du Din Attar ist ein moslemischer Mystiker, der in der Denkweise des Koran, der ja häufig zitiert wird, seinen Weg zu einem höheren Menschsein beschreibt. Er gehört zu den Sufis, der bekanntester Vertreter                                Jalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī, der in Verbindung mit dem Autor stand.                                    Weniger bekannt aber ist der persisch-irakischer Sufi und Dichter,                      Mansur Halladsch der vor allem in Bagdad wirkte. Er wird als Märtyrer der Gottesliebe bezeichnet. * 857 in aṭ-Ṭūr, in der Provinz Fars im heutigen Iran;                       † 26. März 922 in Bagdad durch Kreuzigung),.[1] Er ist vor allem für seinen Ausspruch „Ich bin die (göttliche) Wahrheit" (Anā l-ḥaqq أنا الحقّ) berühmt, für den er sterben musste. Er galt als Häretiker und Gotteslästerer, wollte aber nur sagen, dass er mit Gott eins geworden ist.  Ein anderer Spruch von ihm  lautet                                                                                    »Anderes nicht spricht die Zunge als meine Liebe zu Dir«. Selbst unter den  grausamsten Qualen der Hinrichtung hat er diese Einstellung bewahrt.

Das folgende Gedicht spricht davon:

Tötet mich, o meine Freunde,
Denn im Tod nur ist mein Leben!
Ja, im Leben ist mir Tod nur,
Und im Sterben liegt mein Leben.
Wahrlich, höchste Gnade ist es,
Selbst verlöschend zu entschweben.

Hier kommt eine ganz andere Seite des Islam zum Vorschein als die, welche uns täglich vor Augen geführt wird, als Terror und Fanatismus. Auch der Islam hat seine Heiligen. Deshalb ist die Aufführung des Theaters „Die Konferenz der Vögel" ein wesentlicher Beitrag zum Verstehen einer uns fremden Religion und Kultur und zur Versöhnung mit deren Vertreter.Der Autor aus Persien hätte sich gut mit Meister Eckehart und mit dem heiligen Franziskus verstanden, wenn sie einander begegnet wären. Hinter deren Aussagen und Schöpfungen steht auch eine Erfahrung, die im Märchen Simorgh genannt wird. Der Verfasser des uns  bekannten Sonnengesangs, ist an einem Punkt, in dem er dem Geheimnis Gottes und der Schöpfung  nahegekommen ist, und zugleich die Barrieren zwischen den Menschen überschreitet, hin zu den Ärmsten, zu den Aussätzigen, und auch zu den Moslems.

Simorgh und Zen

Zu einem tieferen Verständnis, was mit Simorgh gemeint ist führt uns die Praxis der fernöstlichen spirituellen Wege, speziell das Zen. Es zeigt sich wieder, dass die spirituell Erfahrenen aus dem westlichen Kulturkreis d.h.aus dem Christentum den Zenmeistern Asiens  in der Tiefe und Echtheit der Erfahrung nahe kommen und sich gegenseitig befruchten.  Namen dafür sind Thomas Merton, Karlfried Graf Dürckheim, Hugo Enomya Lasalle, Willigis Jäger, Johannes Kopp und andere.                   Sie haben Zen nach Europa gebracht und damit auch aufgezeigt, auf welche Weise man den Innenweg geht, nämlich über die absolute Stille, über den Atem, über die Wahrnehmung des Leibes.                                                                                                                           

Wo es einem die Sprache verschlägt

Angelpunkt und Ziel der von Zen angestrebten Lebensein­stellung ist die Erleuchtung. Im Japanischen werden dafür die Begriffe satori und kensho verwendet.Satori bedeutet »Verstehen«, kensho kann mit »Wesensschau« übersetzt wer­den. Es geht aber nicht um ein Schauen im herkömmlichen Sinn, als ob wir etwas sehen würden. Es ist vielmehr so, dass mit uns etwas geschieht. Wir werden wie von einer höhe­ren Macht ergriffen, die zugleich das eigene Wesen, unsere wahre Natur ist. Es ist eine Erfahrung von unschätzbarer Kostbarkeit und Schönheit. Man hat das Empfinden, dort angekommen zu sein, wonach man sich immer gesehnt hat, wo man ganz selbst ist und alles Bisherige nur Schein und Äußerlichkeit war.

Den bewussten und reflektierten Vollzug des  inneren Weges  hat sich C.G. Jung zur Aufgabe gemacht. Er nennt die Entwicklung zum größeren Umfang der Persönlichkeit Individuation, Der wesentliche Punkt dabei ist die Erfahrung des Numinosen. Über die Zen- Geschichten sagt er:»Man hat das Gefühl, hier ein wirkliches und kein eingebildetes oder vorgegebenes Ge­heimnis zu berühren, das heißt, es handelt sich nicht um mystifizierende Geheimniskrämerei, sondern um ein Er­lebnis, das allen die Sprache verschlägt.«81 Er  emp­fiehlt, bevor man mit dem westlichen Denken an Zen-Ge- schichten herantritt, »sich vom fremdartigen Dunkel der Zen-Anekdote tief beeindrucken zu lassen und sich immer wieder vor Augen zu halten, dass das satori, wie es auch die Zen-Meister wollen, ein mysterium ineffabile ist«80, das heißt ein Geheimnis, das nicht ausgesprochen, das ergreift, aber nicht begriffen werden kann. Es würde dem entsprechen, was mit Simorgh gemeint ist.

 

 


[1] Farid du Din Attar, Die Konferenz der Vögel, ,Wiesbaden 2008, 175

[2] Paul Tillich G. W, Bd VIII, S. 142

[3] Ebd. S. 66

[4] Rosmarie Maier, Ich will dich doch erreichen, Begegnungen mit Demenzkranken ermöglichen, München 2009, 72

 

[6] Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers, hgg. Von Emmanuel Jungklausen, Freiburg 1984116