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Frauen begegnen Jesus

1. Der Weg in die Tiefe                                                             Die Frau am Jakobsbrunnen
(Joh.4,5-42)

Das Gespräch am Jakobsbrunnen- niemand war dabei außer Jesus und die Frau aus Samarien. Wurde es nacherzählt, wurde es aufgeschrieben?
Wir können nur vermuten. Es ist eine Erzählung, der man gut zuhören kann, aber auch manches bleibt unverstanden. Es begegnen sich hier zwei fremde Menschen, ein Mann und eine Frau. Sie kommen aus einer Welt, in der man von einander nur Schlimmes gehört hat. Die Bösen - das sind immer die andern: die Juden auf der einen Seite, die Samariter, die Heiden auf der anderen. Man kann sich den Gegensatz zwischen den verfeindeten Völkern von damals ähnlich dem vorstellen, der heute zwischen Israelis und Palästinensern herrscht. Da sind kalte, eiserne Mienen, wenn sie sich sehen. Ein Gespräch kommt nicht zustande, kein Wort, das Verstehen und menschliche Begegnung ausdrückt. Es sind Szenen, die uns aus dem Alltag nicht unbekannt sein dürften: wenn das Reden miteinander schwerfällt, wenn man kein Wort mehr hervorbringt, einfach weil die Anwesenheit des andern lähmt.
Jesus durchbricht diese Regel, in dem er seinen Wunsch nach einem Becher Wasser äußert. Dieses Grundbedürfnis ist die Brücke zum andern. Da sind wir uns alle gleich. Dahinter  ist  aber mehr verborgen. Augustinus sagt: Er dürstet nach ihrem Glauben. Aber auch dieses Wort bedarf einer Erläuterung. Der Glaube, den Jesus meint, ist etwas anderes, als dass man fest gefügte Sätze für wahr hält. Es geht ihm um einen Kontakt, um Vertrauen und Nähe. Aus anderen Stellen, wo Begegnungen Jesu mit Menschen beschrieben werden, geht hervor: Mit Glauben meint Jesus ein Echo auf das , was er sagt und wer er ist; es geht um eine Atmosphäre des Vertrauens, in der Menschen ihre innerste Not öffnen und wo Jesus selbst sein wahres Wesen zeigen kann. Denken wir an jene bekannte Szene von der Sünderin beim Gastmahl. Jesus hat die Zärtlichkeiten dieser Frau nicht abgelehnt, sondern er hat sie sogar dafür gelobt.; er hat sie als das verstanden, was sie ausdrücken sollten: als Dankbarkeit, als Nähe, als Liebe.
Hier am Jakobsbrunnen geschieht Ähnliches: Es ist eine Begegnung, die in die Tiefe des Herzens führt, sowohl bei der Frau wie bei Jesus. Das Gespräch wird immer dichter, bis es zu dem Punkt kommt, der beide im Innersten berührt. Es hört sich an wie ein gemeinsamer Weg, wie ein Hinabsteigen in den Brunnen. Sie treffen sich in der Tiefe, an der Quelle der Seele. Um im Bild vom lebendigen Wasser zu bleiben: Es kommt etwas ins Fließen. Die Quelle wird geöffnet. Blockierungen werden aufgehoben. Jesus ist zugleich der, welcher den alten Ängsten, Vorurteilen, Hemmungen überlegen ist und sich ein Gespräch mit dieser Frau in Freiheit und Ungezwungenheit leisten kann.
Es fällt auf, dass Jesus auf die Fragen der Samariterin auf eine Weise eingeht, die immer wieder neue Fragen stellen lässt. Die Samariterin wird damit konfrontiert, dass hinter dem Vordergründigen etwas steht, das auf etwas Kostbares, Geheimnisvolles schließen lässt. Es wird ihre Neugierde geweckt. Der Fremde wird interessant. Da ist dieses Wort vom lebendigen Wasser und von dem, der es geben kann.
In der Frau regt sich der Wunsch nach diesem Wasser, aber sie hat nicht begriffen, was damit gemeint ist. In diesem Augenblick stellt Jesus die Frage nach ihrem Mann. Zunächst scheint die Frage mit dem vorausgehenden nichts zu tun zu haben. In Wirklichkeit spricht Jesus eine ganz tiefsitzende Wunde an. „Fünf Männer hast du gehabt!" Es wäre verkehrt zu meinen, dass Jesus hier eine moralische Schwäche ansprechen will. Eher könnte es so gewesen sein: sie wurde fünf Mal verheiratet und vier Mal verstoßen. Sie wurde wie eine Ware immer wieder weitergegeben. Sie hat nie die Erfüllung der Liebe gefunden. Als Jesus diese Wunde berührt, wird etwas in ihr lebendig. Etwas völlig Neues bricht in ihr auf. Es ist wohl das erste Mal, dass sie sich verstanden und angenommen fühlt. Das ist etwas von dem Wasser, von dem Jesus gesprochen hat. Jesus hat sein großes Geschenk nicht näher erklärt, aber es ist in der Art des Gesprächs und der Begegnung bei der Frau angekommen. Das Gemeinte ist verständlicher geworden. Jesus hat sein wahres Wesen gezeigt und das ist Güte, Verstehen, Zuwendung in einem Maße, das alle Enttäuschung aufhebt und die Wunden eines leidvollen Lebens heilt. Er ist die geheime Erwartung, worin sich alle Hoffnungen gesammelt haben auch die der Samariter. Diesen Inhalt dürfen wir mit den Begriff „des Messias"(der Gesalbte, der Christus") verbinden.
Was die Frau erlebt hat, muss sie im Dorf weitererzählen. Es muss die Freude gewesen, die sie dazu trieb und die sie früher so nie gekannt hatte. Und die Leute werden davon angesteckt. Sie möchten selbst die Quelle der neuen Stimmung erfahren und lernen Jesus selbst kennen. Sie können sich selbst überzeugen und werden nicht enttäuscht.

Die Erzählung vom wunderbaren Wasser, das aus dem Felsen fließt, sollte das Bild sein für das, was in der Begegnung mit Jesus geschehen ist und immer noch geschehen kann. In der Trockenheit der Wüste, in einem verödeten Dasein ereignet sich das Unerwartete: neue Hoffnung wird geweckt und neue Perspektiven werden geöffnet. Es lohnt sich wieder zu leben. Eines sollte uns bewusst werden: wir können selbst die Quelle im andern erschließen, sogar zur Quelle für den andern werden, wenn wir an die Tiefe unseres eigenen Herzens angeschlossen sind.

2.Der überraschende Freispruch (Joh 8,1-11)                                                            Die Ehebrecherin und Jesus

 Man kann sich die Situation leicht vorstellen, die uns aus manchen tragischen Geschichten aus dem Orient bekannt ist: eine junge Frau, gegen ihren Willen verheiratet mit einem Mann, der ihr fremd ist, hat endlich die Liebe  gefunden. Von diesem Mann, dem ihr ganzes Herz gehört, trennt sie aber das eiserne Gesetz der Ehe, der Familie, der Religion, der Gesellschaft. Wer als Frau dieses Gebot übertritt, fällt aus dem Rahmen eines menschlichen Umgangs. Sie gilt als Niemand und muss mit der grausamsten Strafe rechnen.                                         Dass sich Jesus für eine Frau einsetzt und eine Lösung findet, welche die Härte des Gesetzes und der Ankläger unterläuft, macht den Mann aus Nazareth besonders für Kritische sympathisch und glaubwürdig. Dafür bewundern wir ihn und sind ihm dankbar.   Die Frage bleibt, wie sich ein solches Handeln in unsere Gegenwart übertragen lässt. Es braucht mehr als Sympathie für die Frau und moralische Entrüstung gegen die Ankläger.                                                                                                 Am Schluss der Szene stehen nicht mehr die einen gegen die andern, sondern nur noch zwei, welche  sich von Mensch zu Mensch begegnen: auf der einen Seite eine maßlose Güte und auf der andern Erleichterung, dem Tod entronnen zu sein, überfließende Dankbarkeit und Freude. Es dürfte wahrscheinlich sein, dass die Frau nach dieser Begegnung ihr Leben so annehmen konnte, wie immer die Bedingungen waren. Es ist eine Lösung des Dramas, wie man sie sich besser nicht vorstellen kann.                                                                                                    Der Weg dahin beginnt damit, dass Jesus die Männer, die mit fanatischem Eifer die Einhaltung des Gesetztes überwachen und ihre Aufmerksamkeit nur auf andere richten, mit sich selbst konfrontiert und ihren Blick nach innen lenkt. Betroffen, schweigend, nachdenklich, mit gesenktem Kopf verlassen sie den Schauplatz.  Wahrscheinlich sind sie auf der Suche nach der eigenen Verfehlung durchaus fündig geworden.  Es spricht für sie, dass sie der Aufforderung Jesu folgen.                                                                                                                                                  Die Wende von außen nach innen erweist sich als die Lösung der so heiklen Situation, in der Menschlichkeit und Gesetz scheinbar unversöhnt gegenüberstehen. Indem Jesus die Ankläger zum Eingeständnis führt, dass auch sie  in Sünde und Unheil verstrickt sind, löst er eine Bewegung aus, welche zum Freispruch führt.  Das Gute ereignet sich weniger dort, wo  man  empört, entrüstet, zornig auf andere deutet, sondern wo man der eigenen dunklen Seite, dem Schatten der  selbstverständlichen, hohen Ideale   ins Auge schaut.  Der berechtigte Zorn allein bleibt meistens beim Aufschrei stecken. „Wenn die andern doch so wären, wie ich sie mir vorstelle und vor allem so wie ich selbst bin, dann wäre alles in bester Ordnung!"  Davon sind meisten überzeugt.  Immer sind es die andern, die das Gute verhindern!  Aber so denkt auch die Gegenseite. So wiederholen sich Szenen in der Ehe, in der Politik, innerhalb der Kirche. Es läuft immer wieder darauf hinaus, dass man sich gegenseitig blockiert.                                                                                                                                        Wenn Jesus die Gesetzeslehrer mit sich selbst konfrontiert, sollten wir uns fragen, welche Elemente unserer eigenen Lebensgeschichte unbewältigt sind, welche Schwächen, Verfehlungen, Verwundungen, unerfüllte Wünsche und Sehnsüchte uns heute noch quälen.  Wenn wir schon an den andern, an der Kirche, an der Gesellschaft, an der großen Welt nichts zu ändern vermögen, so kann uns doch niemand daran hindern, alles daran zu setzen, dass sich in uns selbst etwas verändert. Entscheidend ist die Wahrheit, dass in uns selbst eine Instanz ist, die uns bessern will, ein Kern, welcher zum größeren, vernünftigeren Menschen heranwachsen will. Voraussetzung ist, dass wir uns diesem lebendigen Punkt in uns zuwenden, unser Denken einmal anhalten und die innere Kraft in aller Stille wirken lassen. Deshalb ist es klüger, Kritik an sich heranzulassen und zu prüfen, was daran richtig ist, als sofort wütend zurückzuschlagen.                                                                                                                            Damit übernimmt wenigstens eine Seite die volle Verantwortung für sich selbst und lässt die Einsicht zu, dass man für seine eigene Angst, seinen eigenen Zorn, sein eigenes Unvermögen selbst zuständig ist.  Es ist erwiesen, dass Gereiztheit und Wut die Wahrnehmung verzerren und weder eine klare Sicht noch ein gerechtes Urteil zulassen. Wer aus dieser Gestimmtheit handelt, wird die Welt nicht besser machen. Hilfreicher ist die Einsicht, dass alles, was uns an den andern als furchtbar, ungehörig und unmöglich stört, etwas mit uns selbst zu tun hat.                                                                                                                                      Dabei ist der Blick nach innen schon der erste Schritt zu einer Lösung im Außen. Wir betreten eine Welt mit ungeahnten Möglichkeiten, die in uns selbst liegen. Wir sehen dann nicht nur Dunkles und Arges, vielmehr verbirgt sich hinter dem Schatten ein Licht, das auch die äußere Situation anders darstellt und die Fähigkeit verleiht, sie zu bewältigen.                                                                                             So hat es Paulus erlebt, als ihn ein Licht heller als die Sonne umstrahlte und sein ganzes Leben umwarf.  Er darf erfahren, dass es eine Kraft gibt, die ihn ganz und gar verwandelt. Ihm geschieht es, dass er sein Leben ganz von Neuem beginnen kann, als ob er noch einmal erschaffen wäre.  Nachdem er Christus begegnet ist, bleibt davon eine dauernde und nachhaltige Wirkung.  Er musste erkennen, dass der, dessen Anhänger er verfolgte, lebt und stärker ist als er.  Es war das Ereignis seines Lebens, von dem er sagen kann: „Seinetwegen habe ich alles aufgegeben. Ich erachte alles für   Verlust sogar für Mist (Phil 3,8).   Christus in der Tiefe seines Herzens zu erfahren und die Kraft seiner Auferstehung ist für ihn das einzig lohnende Ziel. Alles andere fällt im Hinblick darauf total ab.                                                                                                                                 Kehren wir zurück in den Tempel zu Jerusalem, wo Jesus zusammen mit der Frau allein bleibt. Eines sollte uns deutlich werden: die Kraft, die in Jesus wirkt, ist nicht auf ein Jenseits begrenzt. Sie ist so mächtig, dass sie eine verfahrene, ausweglose Situation auch heute im Hier und Jetzt meistern kann. Es lohnt sich, sie zu suchen und die volle Aufmerksamkeit darauf zu verwenden. Uns ist verheißen, dass es in uns und um uns heller wird, dass sich auf wunderbare Weise neue Wege auftun.

 

3.  Erlösende Blicke-erlösende Berührung

Die Sünderin beim Gastmahl der Frommen (Lk 7, 36  - 50)                                                                                              

         Allzu lang kennen wir diese Erzählung schon, sodass uns der aufregende, sogar skandalöse Charakter nicht mehr auffällt. Würden wir diese Geschichte in unsere Zeit übertragen,  wäre sie  ein Skandal, der durch alle Medien ginge. Es steht aber tatsächlich geschrieben: Diese Frau, eine stadtbekannte Sünderin, d.h. eine Prostituierte, berührt mit ihren Haaren die Füße Jesu und salbt sie mit wohlriechendem Öl. Jesus nimmt das gerne entgegen und spricht sogar von einem Erweis der Liebe, der ihm sehr angenehm ist. Das Wesentliche daran ist wohl, dass Jesus nicht nur am Leib, sondern zutiefst auch in der Seele berührt wird, dass sich hier eine ganz tief - menschliche Begegnung ereignet.                                                                                                                              Wir dürfen annehmen, dass schon vor dem Mahl eine Begegnung mit Jesus stattgefunden hat. Denken wir an einen Blickkontakt, den diese Frau scheu und verschüchtert mit Jesus aufnahm. Es ist durchaus möglich, dass der Blick Jesu sie bis ins Innerste traf. Darin lag eine unendliche Güte.   Wenn wir davon ausgehen, dass die Augen die Fenster der Seele sind, hat diese Frau das Innere Jesu, seine Gesinnung und sein Fühlen  wahrgenommen. Das muss für sie so beglückend schön gewesen sein, dass für sie  eine neue Welt aufging; dass sie sich angenommen, geborgen wusste, dass ihr inneres Chaos verschwand, dass sie eine Seligkeit spürte, die alles Elend vergessen ließ.                                                                                                                                           Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch Jesus diese Frau bewusst wahrgenommen hat als eine Unbekannte, als Leidende, Heilsbedürftige. In diesem Moment hat sich gewiss noch nicht alles gewandelt. Aber in  ihr ist  etwas Neues, bisher Unbekanntes aufgebrochen, für das es sich lohnt, alles daran zu geben. Sie rafft  ihre letzten Pfennige zusammen, um ein Sünd - teures ÖI zu kaufen, sie riskiert  die bösen, ablehnenden Blicke der Gäste.  Sie muss diesen Jesus noch einmal sehen, seine Nähe spüren, ihn berühren und ihm ihren Dank und ihre Liebe ausdrücken.                In  der Erzählung heißt es: sie trat von hinten heran und weinte. Es wurde immer so verstanden, dass sie ihre Sünden beweinte. Weinen kann vieles bedeuten: Es ist immer ein Ausdruck dafür, dass jemand die  Fassung verliert, dass Gefühle stärker sind als die  Kontrolle.  Es kann  Schmerz, Trauer aber auch Freude bedeuten oder alles zusammen.                                                                                                                   Die Frau wird von einer beglückenden, inneren Bewegung ergriffen, die Spannung fällt ab, alle Bitterkeit ihres Lebens, ihr Ausgestoßen sein und ihre Entwürdigung. Sie fühlt sich in einer umfassenden Geborgenheit aufgefangen. Wahrscheinlich ist, dass sie vor Glück weint. Anders sind die Gesten der übergroßen Dankbarkeit nicht zu erklären; es sind ihre angestauten Gefühle, die überfließen, als sie mit ihren Haaren Jesus berührt, seine Füße mit dem kostbaren Öl salbt und sie unaufhörlich küsst.                                                                                                              Was sich zwischen Jesus und dieser Frau ereignet, macht anschaulich, was Paulus im Galaterbrief sagt: Der Mensch wird nicht durch die Werke des Gesetzes gerecht, sondern allein durch die Gnade und den Glauben an Jesus Christus (Gal2,16). Was die Frau erlebt und darstellt, das ist Gnade: dieser Jubel, diese Freude, diese Dankbarkeit.  Die Erzählung endet damit, dass Jesus ihr Tun, ihre Gesten als Ausdruck ihres Innern lobt und damit ausdrückt, dass er selbst der Beschenkte ist. „Dein Glaube hat dich gerettet"(Lk7,49).                                                                                           Dabei tritt die andere Seite, nämlich das Gesetz, konkret in der Gestalt des Pharisäers auf. Wir dürfen uns unter ihm  keinesfalls einen Heuchler vorstellen, sondern einen durchaus ernsten, um die Erfüllung des Gesetzes bemühten Menschen. Er vertritt  den Typ des pflichttreuen und korrekten Mannes, der gewiss Achtung verdient. Jedoch: Wie ist es mit Güte, mit Verständnis für solche, die anders sind?  Wenn von ihm Kälte ausgeht, wenn Gefühle nicht zählen, wenn in seiner Nähe selbst ein Lächeln noch gefriert?  Mit einem solchen Menschen möchte man nicht gerne leben.                                                                                                                         Nach all dem, wie der Pharisäer mit dem Namen Simon  in der Geschichte geschildert wird, war er eher ein solcher Typus von Mensch. Er hat keinen Sinn für die Not und Dankbarkeit dieser Frau, für deren Gefühle und deren Ausdruck, auch nicht für das, was in Jesus vorgeht. Er ist eben nicht gerecht, d.h. recht vor Gott, weil er das, was Gott in der Tiefe des Herzens wirkt, nicht kennt und deshalb nicht verstehen kann.  Deshalb stellt ihn Jesus zur Rede.                                                                      In den Schreiben des Paulus  ist häufig von „gerecht werden" die Rede. Dies ist für die meisten unverständlich. Die Szene aus dem Evangelium sagt uns, dass es um die Erlösung der Gefühle geht. Sie  können erstarrt und tot sein oder voller Gewalt aber blind und  uns  in die Irre führen. Erlöste Gefühle jedoch sind lebendig und rechte Gefühle, die wir zulassen, denen wir trauen dürfen und von denen wir leben können. Sie sind die wichtigste Kraft, die uns trägt.  Eines sollte uns bewusst werden: Was Paulus mit Rechtfertigung meint, ist keine leere Rede von „übernatürlichen", unverständlichen Dingen, sondern hat seinen Sitz in der Mitte unseres Herzens. Wenn dieses geordnet, wenn „das Herz am rechten Fleck ist," dann darf man den Gefühlen die Freiheit geben.  Dann wandelt sich die Atmosphäre einer Szene. Da ist die Sünde vergeben und ein  neues Leben kann beginnen.

 

4 Das heimliche Leiden   

Die blutende Frau  ( Mt,9,20-22; Mk,5,21-43; Lk 8, 42-48)

Menschen drängen sich um Jesus, um ihn, von dem alle reden, den alle sehen sogar berühren wollen. Darunter ist auch eine Frau,die sich in der Menge versteckt und sich nicht offen zeigen getraut im Gegensatz zu jener, die als Sünderin verrufen, beim Gastmahl der Frommen offen auf Jesus zutritt.Sie hat ein Leiden,für das sie nichts kann, das sie aber von allen isoliert.Sie verliert Blut, wo immer sie sich befindet. Das ist nicht nur peinlich für sie, es ist ein Vorgang, der unter das Gesetz des Mose fällt.(Lev15,19-33). Es ist jener Fall, in dem eine Frau als unrein erklärt wird und nicht nur sie, sondern alles, was oder wen sie berührt,  alle Gegenstände, alle Kleider, das Lager, auf dem sie sich ausruhen will. Es ist ein Leiden im ganz intimen Bereich, worüber man nicht spricht höchstens unter Vertrauten. Es ist beschämend, erniedrigend und ausstoßend!. Allein schon,dass sie ihr Schicksal allein tragen muss, vermehrt das Leiden. So vollzieht sich nun auch die Art ihrer Heilung.  Sie kann nicht laut um Erbarmen schreien wie die kanaanäische Frau(Mt, 15,22) und der Blinde von Jericho(Lk18,35-43), sie ist gezwungen, sich heimlich die Erlösung von ihrem Leiden zu holen.Es fällt auf, dass sie auf das Berühren ihr volles Vertrauen setzt. Es ist gerade die Handlung oder das Geschehen, das mit den schlimmsten Konsequenzen belegt ist; denn  alles, was sie berührt wird „unrein". Eigentlich müsste sie jetzt von dem, den alle bewundern, den größten Abstand einhalten. Sie, die Unreine, kann doch nicht den Heiligen unrein machen!!

Hier geschieht schon das erste Wunder: Man darf sich vorstellen, dass von Jesus eine überwältigende Güte ausgeht, die  ihre Ängste und  Hemmungen zunichte macht, gerade deshalb, weil sie in ihrer Angespanntheit und Not am ehesten dafür empfänglich ist. Indem sie den Zipfel seines Gewandes anfasst, schließt sich ein Kontakt in der Tiefe zwischen ihr und dem Meister. Die Berührung des Gewandes bewirkt, dass beide im Innersten berührt sind. Damit kann die heilende Kraft fließen.

Begegnungen  dieser Art gibt es auch heute noch. Es gibt Frauen und Männer, die wie Inseln in einer kalten Welt Ähnliches ausstrahlen.  Dabei ist es oft die bloße Stille in ihrer  Nähe, die gut tut und ermuntert, über sich selbst sogar über das Geheimste zu sprechen. Alte Wunden brechen auf und heilen von selbst in einer Atmosphäre, in der ein verzweifelter Mensch sich verstanden und  in allem bejaht weiß, wie immer seine Geschichte gelaufen ist..

Für Jesus soll dieser Vorgang nicht anonym bleiben.Er will  in das Gesicht dieses Menschen sehen. Da vollendet sich die Begegnung.Für die Frau bedeutet das: Sie muss sich zeigen und  alles offenbaren, was sie bisher verbergen musste, nicht nur, was unter das  Gesetz fälltt, noch mehr ihre Not und warum sie  gewagt hatte, so zu handeln.Der Meister nimmt ihr innigstes Vertrauen.wahr und damit ihre Nähe und vermittelt ihr, dass jetzt alles gut ist.  

Auch unsere Zeit ist voll von Menschen mit einem geheimen Leiden,das Lebenskraft und Energie abzieht. Es ist das für die Kirche so belastende Thema des Missbrauchs. Man fordert Entschädigung und Psychotherapie. Hilfreich ist es für die  Opfer, dass sie wie die Frau im Evangelium einen Menschen finden, ob Seelsorger/in oder Psychotherapeut/in , bei dem eine Atmosphäre entsteht, die dem im Evangelium gleicht. Es offenbaren sich Schicksale, die dem der Frau im Evangelium sehr nahekommen.

Wer immer missbraucht wurde,  als Kind, als Mädchen oder Junge fühlt sich selbst als „unrein", erniedrigt, zum Gebrauchsgegenstand gemacht für die niedrigsten Gelüste eines Fremden,als „geschändet", wie man früher sagte. Noch dazu kommt: Das Opfer muss das eklige Erlebnis für sich behalten. Wer würde es schon glauben, wenn es der beste Freund des Vaters ist, ein im Ort angesehener Mann, oder der eigene Vater oder der Hausarzt? Damit muss es diese Last immer bei sich tragen mit ihren Konsequenzen. Verwundungen dieser Art haben meist  die Fähigkeit zu rechten Entscheidungen verdorben und immer wieder die Spur gelegt zu einer langen, unglücklichen Geschichte von misslungenen Partnerschaften, von bitterbösen Anfeindungen, mit denen sie leben muss, von Entäuschungen mit den eigenen Kindern und vieles andere, was das Leben verdunkelt.

Bei der Bemühung um solche Menschen müsste im Mittelpunkt stehen:                                              Was wirkt heilend?                                                                                                                        Dies führt zu der grundsätzlichen Frage: Wie kann Vertrauen entstehen?                                                                                                                                                                                    Man kann es nicht verordnen, nicht im Gehorsam ausführen, nicht lehren und nicht lernen, auch nicht mit Eifer herbeireden. Es ist ein Geschehen, das menschlichem Wollen entzogen ist. Es muß sich von innen her bilden. Und doch kann man einiges dafür tun. Dies geschieht, wenn man sich um  Authentizität, um Echtheit bemüht und bereit ist, in aller Ehrlichkeit  auch die dunklen, nicht so schönen und nicht bewältigten Seiten seines Lebens anzuschauen und dazu in aller Demut zu stehen. Das heißt auch, Kritik annehmen, nicht unbedingt jede, wohl aber  kritische Fragen aufgreifen, sie  sich zu eigen  machen und weiterführen.

Ein anderer, nicht zu übersehender  Weg dazu ist, sich absichtslos der Stille auszusetzen und sich dem tiefsten Grund des Herzens zu öffnen.

Denn Absichtslosigkeit und Stille , in die man sich einübt, bilden die Atmosphäre, in der wesentlich Vertrauen wachsen kann. Zum andern ist der tiefste Grund, der in der Stille berührt wird, allen gemeinsam. Kommt er auf diese Weise zum Wirken, dann entsteht der Raum, in dem man sich öffnen kann, wo das bisher geheim Gehaltene Worte und Namen findet und nach außen treten darf. Dann ereignet sich  etwas von dem Prozess, den Jesus „Glaube" nennt und der die Frau geheilt hat.

               

 

 

 

 

    5.  Der Trost für die Trostlose

       Die Auferweckung des Sohnes (Lk 7,11-17)

 

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Wir begegnen in der Erzählung von der Totenerweckung einem Ereignis, von dem die meisten nur die Seite des Schmerzes und der Trauer kennen. Die andere Seite, die des Trostes scheint unerreichbar und ist mit Worten allein gar nicht zu vermitteln. Es gehört zu den schwersten Schicksalsschlägen, das eigene Kind, den Sohn, die Tochter zu verlieren. Es ist wie, wenn einem ein Teil von einem selbst, gerade der wichtigste und schönste von einem selbst, abgeschnitten würde. So sagen es Mütter, Väter, die davon betroffen sind. Ich denke an einen Mann, dessen Frau und Kind bei einem Autounfall ums Leben kamen. Es ist eine Wunde, die in manchen Fällen ein ganzes Leben lang nicht heilt.                                                                                                    Es ist ja auch so, dass ein Sohn, eine Tochter nicht nur ein neues Lebensgefühl, eher noch einen neuen Lebensinhalt darstellt. Der Schwerpunkt der Interessen, der Planungen und der Hoffnung verlagert sich bei der Geburt eines Kindes. Es ist so, als ob man bisher eher am Rand eines Kreises gestanden hätte, dass man jetzt aber in die Mitte gerückt ist.                                                                                                       Wenn nun das Ereignis eintritt, das es nie geben darf, wenn die unfassbare Schreckensnachricht eintrifft, dann ist das wie ein Erdbeben, ein erschüttert werden bis in den Wurzelboden der Existenz. Wenn die Mitte nicht mehr trägt, bricht die Hoffnung auf neues Leben und auf Zukunft zusammen.                                                                                                        Es soll hier der Schmerz all der Mütter in unseren Tagen gewürdigt werden, die dieses grausame Schicksal erleiden mussten, deren Kind geraubt, geschändet und ermordet wurde, deren Name durch die Zeitung geht. Wir sollten bei den Nachrichten von Anschlägen und blutigen Kämpfen auch das Leid der Mütter und Väter mit hereinlassen.                                                                                                                         In früheren Zeiten sah man in der Mutter Jesu, die den geschundenen, toten Körper ihres Sohnes auf dem Schoß hält, ein Bild des eigenen Schmerzes und fand auch, so dürfen wir annehmen, den Trost, der weiter leben ließ. So gibt es gerade in den Wallfahrtsstätten viele Darstellungen dieses Motivs.                                                                                                              Die Frage bleibt: Wie finden Betroffene, ob Verwandte, Freunde, wir selbst den Trost, der nötig wäre?                                                                                                                                          Hilfreich ist in jedem Fall, wenn man Menschen mit einem solchen Schicksal nicht allein lässt, ihnen nicht ausweicht, ihnen seine Anteilnahme und Nähe zeigt,  einen Teil des Schmerzes auf sich nimmt und auf sich wirken lässt.                                                                                  Der Trost, der uns heute geschildert wird, die Auferweckung eines Toten scheint für uns einfach ausgeschlossen. Es wäre ein Zurückdrehen der Ereignisse. Und das Wort von der Auferstehung erreicht die vom Schmerz Versteinerten nicht. Dazu müssen sie erst einen langen und beschwerlichen Weg gehen.                               Wie war das bei den ersten Christen?                                                                                                                     Es ist wahr: Die Überwindung des Todes ist die Grundüberzeugung aller Schriften des Neuen Testaments, das heißt der frühen Christen.                                                                                Die Erfahrung, dass Jesus lebt, anders, intensiver, auf eine Weise, die menschliches Leben verschwindend klein erscheinen lässt, hat die Jünger  zutiefst ergriffen  und gewandelt.  Davon klingt noch etwas nach, wenn wir bei Paulus lesen:                                                        "Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinen Leiden; sein Tod soll mich prägen.
So hoffe ich, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen.
 Nicht dass ich es schon erreicht hätte oder dass ich schon vollendet wäre. Aber ich strebe danach, es zu ergreifen, weil auch ich von Christus Jesus ergriffen worden bin"(Phil 3,10-12).                                                                                                                                                     
Die Grundüberzeugung von der Überwindung des Todes ist nicht nebenbei zu haben. Es ist ein Eintauchen in eine Lebenstiefe, die dem Sterben nahe kommt. Paulus erwähnt vorher, dass er zunächst auf der ganz anderen Seite stand, dass er ein Verfolger der jungen Kirche  war. Dann ereignete sich für ihn etwas, das seine innere Welt erschütterte und umdrehte. Alles, was ihm bisher wichtig war, erscheint ihm nun als unbedeutend, als nichtig, als Verlust, sogar als „Dreck", weil die Erfahrung von Christus, dem Auferstandenen alles übertrifft. Er hat einen  völlig neuen Lebensinhalt  entdeckt, für den  es sich lohnt, alles daran zu geben. Paulus hat die Erfüllung seiner Sehnsucht und Suche gefunden, noch unbeschreiblich mehr, als er sich erträumt hatte.                                                                                                                                    Die Geschichte des Apostels weist alle, die in einer Sackgasse stecken, darauf hin, dass ein neues, ungeahntes Lebensziel möglich ist, das kein Schicksal entreißen kann. Allerdings ist  es nicht damit getan, dass wir die Erzählung von der Auferweckung des jungen Mannes und der Auferstehung Jesu lesen. Es werden  langsame und mühsame Schritte eingefordert, die uns nach und nach weiterbringen. Eines sollte uns auch in schwerem Leid bewusst werden: Je tiefer wir erschüttert werden, umso größer ist die Chance einer totalen inneren Wandlung ähnlich der des Paulus. Anscheinend war es für ihn notwendig, dass er aus seinem bisherigen Rahmen seines Denkens und seiner Werte hinauskatapultiert wurde. Nur auf diese Weise konnte er zu dem werden, als der in die Geschichte einging.                                                                           Wir sollten bei allem Leid und aller Traurigkeit die Verheißung Jesu aus der Bergpredigt nicht vergessen:"Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden"(Mt 5,4). Es ist nicht das Leiden als solches, das hier gepriesen wird. Es ist die Chance, an den Punkt zu gelangen, an dem das Leid nicht mehr greifen kann.

 

                                 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                       6.

Gutes tun und gut tun     

Martha und Maria,( Lk 10,38‑42)

 

Dem Lesen  des Textes mag doch eine gewisse Sympathie für Martha aufsteigen. Hatte sie mit ihrer Klage nicht doch recht?  Warum sollte das Gebot des Dienens nicht auch für ihre Schwester gelten? Zurecht wurde Martha, seitdem man das Evangelium liest und auslegt, als sinnbildliche Figur für jene Lebenseinstellung angesehen, die sich behutsam und bescheiden um die äußeren, materiellen Dinge kümmert. Manche Frau, die mit Beruf und Haushalt alleingelassen und überfordert den so nötigen Betrieb im Haus aufrechterhält, kann sich in ihr wiederfinden. Darum soll einmal anerkannt werden, wieviel Mühe und Zeit es kostet, diese Verantwortung zu tragen. Meist werden die kleinen Dinge, die allzu selbstverständlich sind, unterschätzt: dass Tag für Tag das Essen auf dem Tisch steht, dass  Kleider und Wäsche da sind, dass das Haus so in Ordnung ist, dass man sich darin wohlfühlt und echt zu Hause ist..                                                                                                                                   Was ist nun mit Maria? Sie tut nichts! Sie sitzt da und hört Jesus zu. In den Augen ihrer Schwester hat sie das Gebot des Dienens und Helfens vergessen.                                                                                              Versetzen wir aber  uns einmal in die Lage Jesu!                                                                                 Er ging, so darf man annehmen, gerne nach Bethanien, wo er immer gastliche Aufnahme fand. Es ist  ein besonderer Ort für ihn. Dort hat er den Bruder der beiden Schwestern, Lazarus, von den Toten erweckt (Joh 11,4‑44). Es wird von einem Gastmahl berichtet, bei dem Maria Jesus salbte (Joh 12, 1‑3).                                                                                          Aber ging es Jesus bei dieser Einkehr um das Essen? War es nicht vielmehr der Raum das Verstehen, das er dort fand, der „Glaube", wie es im Evangelium heißt? Was wäre gewesen, wenn die beiden Schwestern in der Küche hantiert hätten und er allein in der Stube gesessen wäre? Keiner von uns hätte sich in einer solchen Situation wohlgefühlt. Was Jesus braucht, sind Menschen, die ihn verstehen, die aufgeschlossen sind für das Neue, voller Geist und Wachheit, wo persönliche Nähe und eine Atmosphäre des Vertrauens aufkommen kann. Denken wir noch einmal an das Gespräch Jesu mit der Frau am Jakobsbrunnen. (Joh 4, 1‑42).  Jesus tat damals etwas für einen jüdischen Rabbi sehr Unschickliches. Er sprach als Jude eine samaritische Frau an. Er hatte ein doppeltes Verbot durchbrochen. Einmal stand es einem Rabbi nicht an,  überhaupt eine Frau anzusprechen und zum andern war Feindschaft zwischen Juden und Samaritern. Jesus eröffnete im Gespräch jene seelische Tiefe, für die der Brunnen mit frischem Wasser das treffendste Symbol ist. Das Gespräch mit der Frau nimmt ihn so sehr in Anspruch, dass er darüber das Essen vergisst.: „Meine Speise ist es, den Willen meines Vaters zu tun und sein Werk zu vollenden." (Joh 4,34). Was Jesus im Haus von Bethanien stört und was er tadelt, ist eine äußere Geschäftigkeit, die ein Gespräch auf einer tieferen Ebene verhindert. „Martha, Martha, du machst dir Sorge und Unruhe um vieles. Eines nur ist notwendig."(Lk10,41-41). Damit meint Jesus zunächst sein Gespräch mit Maria, das ihm kostbar ist, weil es sein ureigenstes Wesen, sein letztes Geheimnis berührt. Wo Geschäftigkeit herrscht, kann keine menschliche Begegnung wachsen, noch Tief‑Religiöses sich entfalten. Das eine kann aber  nicht ohne das andere gedeihen. Sorgen und Kümmern kann auch gedankenlos machen und den Sinn für das Schöne, das sich von Menschen zu Mensch ereignet, verkümmern lassen. Ein Haus, eine Wohnung  kann  sauber und ordentlich sein und doch steril. Man kann sich nicht wohl fühlen, wenn keine Zeit zum Reden und keine Möglichkeit ist, einfach still füreinander da zu sein. Wer nur Pflicht und Arbeit kennt, ist dabei, innerlich zu verdorren. Man kann korrekt in allem sein, selbst im Religiosen, und doch um sich eine Atmosphäre der Kühle und Verschlossenheit verbreiten, wo man sich nicht öffnen kann, wo einem da Wort im Hals stecken bleibt. Andererseits kennt wohl jeder von uns Menschen, bei denen uns das Reden leicht fällt, die wir gerne einmal anrufen und denen wir gerne etwas erzählen. Menschliche Begegnungen sind kostbar wie der Schatz im Acker und die Perle, für die ein Händler alles gibt (Mt13,44-45). Aber sie sind nur dann möglich, wenn in uns die Quellen der Seele offen sind. Martha stellt in der Erzählung äußeres Tun dar, Maria inneres Erleben. Es geht um Gutes tun und einander guttun. Es ist nicht dasselbe, aber beides ist notwendig. Beide Frauen sollen in einem jeden von uns leben dürfen.

7.Die teure Salbung (MK14,3-9)                                                                   Momente der Kostbarkeit

Die Erzählung von der Salbung Jesu dürfen wir als einen Ort von kostbarsten Momenten betrachten.  Es ist die Stelle bei Markus kurz vor der Gefangennahme Jesu: „ Als  Jesus in Bethanien im Haus Simon des Aussätzigen  war und zu Tische lag, kam  eine Frau mit einem Gefäß von Alabaster, voll echten, kostbaren Nardenöls, zerbrach das Gefäß und goss es über sein Haupt. Einige sagten unwillig zueinander: „Wozu diese Verschwendung des Salböls? Man hätte dieses Salböl um mehr als dreihundert Denare verkaufen und den Armengeben können". Und sie schalten sie. Jesus aber sprach: Lasst sie! Was kränkt ihr sie? Ein gutes Werk tut sie an mir.  Denn allezeit habt ihr die Armen bei Euch und könnt, sooft ihr wollt, ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Diese tat, was sie konnte! Sie salbte im Voraus meinen Leib zum Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo immer das Evangelium verkündet wird auf der ganzen Welt, da wird auch gesagt werden, was sie getan hat, ihr zum Gedächtnis (Mk14,2-9).                                                                                                              Dem äußeren Ablauf nach scheint diese Erzählung keine große Bedeutung zu haben.  Sie kommt in theologischen Erwägungen kaum vor. Wer jedoch genauer hinschaut und  sich tiefer einfühlt, dem  offenbart sich  etwas von der inneren Welt, von den Gefühlen und Bedeutsamkeiten, die im Leben Jesu die große Rolle spielen. Die Szene ist zugleich eine Aussage darüber, was zwischen Jesus als einem Mann und einer Frau vor sich geht.                                                                                                                       Als die Frau das Gefäß zerbricht und den Inhalt über das Haupt Jesu ausgießt, tut sie etwas Ungewöhnliches, etwas was die Etikette der damaligen Zeit durchbricht. Die Rede ist von einem echten, kostbaren Nardenöl.  Es hat den Wert von dreihundert Denaren. Nach dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20, 1-16) bekommt ein Erntearbeiter für einen ganzen Tag einen Denar. Für dreihundert Denare muss einer also fast ein ganzes Jahr arbeiten. Wenn man sich vergegenwärtigt, was man heute in einem Jahr verdient und das für einen Abend ausgibt, dann ist die Verwunderung der Umstehenden, sogar der Vorwurf der Verschwendung nicht ganz unberechtigt. Umso wichtiger ist das Motiv, das die Frau veranlasst, solches zu tun. Sie spürt etwas so Kostbares in der Nähe Jesu, dass dieses teure Geschenk es ihr wert ist. Was als Verschwendung aussieht, macht nur sichtbar, was sie innerlich erlebt. Noch dazu ist zu beachten, dass im Orient damals und heute noch vielfach  der Schmuck einer Frau der einzige Besitz war, von dem sie leben kann, wenn sie von ihrem Mann verstoßen wird. Sie hat somit alles, was sie besitzt, daran gegeben um der einen Kostbarkeit willen.  Aus dem, wie Jesus reagiert, wird deutlich, dass er sie verstanden hat. Sie vollzieht das, was er mit dem Gleichnis vom Schatz im Acker deutlich zu machen versucht:  Es gibt eine Kostbarkeit, für die einer/ eine, der/die sie entdeckt hat, alles hergibt. Die Frau mit dem Öl ist eine von denen, die sie entdeckt haben. Bei dem Evangelisten Johannes(Joh 12,1-6) ist es  Maria, die Schwester Marthas, welche die so auffallende Geste vollzieht, sogar mit ihren Haaren die Füße trocknet. Dazu wird noch der Duft erwähnt, der das Haus erfüllt.                                                                          Die Reaktion Jesu ist zu beachten.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           In diesem Fall stellt er sich nicht auf die Seite der Armen, sondern auf die Seite der liebenden Frau..                                                                                                                                    Jesus verteidigt sie nicht nur, er setzt ihr Tun der Salbung beim Begräbnis gleich, der letzten Ehre und der letzten Liebe, die man nach jüdischem Brauch einem Verstorbenen erweist. Damit noch nicht genug. Was die Frau gespürt und was sie getan hat, gehört zu den Kostbarkeiten des Evangeliums, wenn es lebendig und verkündet wird.

...                                8.Geheimnisse der Nacht - Geheimnisse des Herzens

In jeder Nacht geschehen Dinge, die als Geheimnisse der Herzen gehütet werden, aber doch über Glück und Unglück, über Hoffnung und Verzweiflung bestimmen. Die Osternacht, die wir feiern, hat ihr besonderes Geheimnis. Wozu diese Nacht werden kann, mit welchem Morgen sie endet, erzählt uns die Geschichte von den Frauen am Grab.                                                                                                                                       Da ist Maria von Magdala mit einem Schicksal, das so außergewöhnlich ist, dass sich viele Legenden um sie gebildet haben.                                                                                                        Es heißt: Jesus hatte aus Maria von Magdala sieben böse Geister ausgetrieben (Mk 16,9, Lk 8,2). Wer sieben Teufel in sich trägt, in dem ist wirklich die Hölle los. Man stelle sich eine Frau vor, die gepeinigt wird von dunklen Gefühlen, die das Empfinden hat, ein Niemand, ein Nichts zu sein, vor aller Welt schuldig, zerrissen, von Hass und Ekel gegen sich selbst und gegen die Umgebung, so als ob sie nicht mehr atmen könne. Nacht war in ihr, bevor sie Jesus begegnete. Und seitdem war es Licht geworden. Ihre Seele blühte auf, ihr Herz begann zu singen vor Dankbarkeit und Freude. So tief ihre Nacht war, so hell war der Morgen, als sie von dem gütigen Blick Jesu getroffen und ihre Angst in seiner Nähe beruhigt wurde. Die christliche Überlieferung setzt sie mit jener Frau gleich, die bei einem Gastmahl Jesus mit ihren Haaren berührte und dabei vor Glück weinte (Lk 7,36‑50).                                                   Was in dieser Begegnung aufgebrochen war, war so stark, dass selbst die schrecklichen Ereignisse um den Tod Jesu sie nicht zerstören konnten. Sie hatte den Mut und die Kraft, unter seinem Kreuz zu stehen. Was in ihrer Seele aufgeblüht war, der Duft davon, das waren die wohlriechenden Öle und Kräuter. In diesem Duft lag ihr Dank, ihre Hingabe, ihre Leidenschaft, ihre Treue und ihre unzerstörte Hoffnung. Als sie zum ersten Mal Jesus sah, ging für sie das Licht der Freude und der Wärme und Lebendigkeit auf. Jetzt an diesem Ostermorgen wiederholt sich das erste große Wunder: sie kommt wiederum aus der Nacht der Trauer und darf etwas Neues, Unerwartetes erleben: Der Tote, der ihr alles bedeutet, steht als Lebender vor ihr.

Für sie ist die Sonne aufgegangen, überwältigender und leuchtender, als es sich je zwischen Menschen ereignen kann. Das Entscheidende geschieht, als sie mit ihrem Namen gerufen wird. Vorher waren ihre Augen blind, von Traurigkeit und Leid verschlossen. Dieser ganz persönliche Anruf ist es, der alles verändert.  Als sie ihren Namen wie nie zuvor ausgesprochen hört, ist für sie alles umgekehrt. Sie weiß sich in einem Augenblick endgültig aufgehoben in einer Liebe, wofür es keinen Namen gibt.. Es werden  Innenräume in ihr wach, die sie noch nie zuvor gekannt hatte.
Wenn wir je etwas verstehen wollen von dem, was mit Auferstehung gemeint ist, dann das eine: wir werden wie Maria mit unserem Namen gerufen, bejahend und verstehend; mit all dem, was unsere Lebensgeschichte ausmacht, mit all dem Leid, den Umwegen und Irrwegen, mit den Enttäuschungen und mit den Hoffnungen. Es wird uns gesagt, dass wir für immer, ohne Einschränkung vom höchsten Wesen erkannt sind  als Frau, als Mann mit der Gewissheit,  dass wir die sein dürfen, die wir im Innersten sind, einmalig und doch in der Nähe aller.
Wenn sich so etwas in einem Leben ereignet - wenn die tiefste Sehnsucht erfüllt wird - dann ist es  einfach Tag geworden im Leben eines Menschen.                                         

Der große Tag (Joh. 20,1 - 18)

Heute - der Ostern- ist der große Tag der Christen, der  alle Tage des Jahres, sogar alle Zeiten überragt, an dem Vergangenheit und Gegenwart gemessen werden. Es fällt auf, dass die Osterberichte und die Liturgie dem Beginn dieses Tages besondere Aufmerksamkeit schenken. Johannes betont, dass Maria von Magdala zum Grabe kam, als es noch dunkel war, ebenso ist den anderen Evangelisten wichtig zu sagen, dass es früh am Morgen war, als die Frauen zum Grab eilten.
Der Übergang von der Nacht zum Tag, von der Dunkelheit zum Licht hat unmittelbar mit dem zu tun, was mit Auferstehung Christi und unserer eigenen Auferweckung gemeint sein kann. Maria war die, aus der Jesus sieben Dämonen ausgetrieben hatte, in der es selbst einmal stockfinstere Nacht war. Es muss für sie wie das Aufgehen der Sonne gewesen sein, als Jesus in ihren Lebensraum eintrat und ihn hell machte. Wenn wir in unser eigenes Leben schauen; ist es nicht so, dass jeder Mensch, der in unseren näheren Bereich tritt und ihn beglückend ausfüllt, wie eine aufgehende Sonne ist? Wenn zwei Menschen einander als liebenswert und liebenswürdig entdecken, ist doch alles anders geworden. Es ist doch wie ein erweckt werden aus einem Schlaf, in dem unser Wesen bisher dahin dämmerte. Dasselbe können Eltern sagen, denen zum ersten Mal ein Neugeborenes entgegen lächelt.
Auf diesem Hintergrund dürfen wir den Bericht von der Begegnung Marias  mit dem Auferstandenen verstehen: Deshalb wurde auch Christus die Sonne der Gerechtigkeit genannt.                                    

Unsere Einwände kommen davon,   weil wir immer noch mit unserer Finsternis konfrontiert sind, sogar noch mitten darin stecken in unserer Unsicherheit, Verlassenheit, Traurigkeit wie Maria von Magdala.

Verheißen ist uns, dass es endgültig, ganz und gar  Tag wird. Die Auferstehung Jesu ist der Schlüssel für die letzte Frage des Menschen, die ihn immer wieder quält und umtreibt: Was ist nach dem Tod? Wird es ewig aus  ewig Nacht sein? Oder ist da noch etwas, das kommt? Das Undurchschaubare, das Endgültige, das Unumkehrbare ist es, das uns Angst macht.

 Die Erfahrung der ersten Christen ist die: es gibt einen Übergang von der Finsternis zum Licht, von der Nacht zum Tag; jetzt schon. Dies ist so sicher, wie es Lebensprozesse gibt, die uns wandeln:  vom Kind zum Jugendlichen, vom jungen Menschen zum Erwachsenen, vom Erwachsenen zum reifen, weisen, erfüllten Alter.

Die frühen Christen haben diesen Übergang erlebt, als sie Christus begegneten. Ihre Überzeugung ist, dass der Tod nur mehr der letzte Schritt von vielen schon getanen ist, von der Enge in die Freiheit, von der Verlassenheit in die Nähe und Geborgenheit, vom Schlaf zum Erwachen, von der Nacht in den Tag.
Das ist es, was Paulus mit den Worten sagen wollte: "Ihr seid mit Christus auferweckt" (Kol 3,1). Ihr seid schon wach geworden für die Wirklichkeit, die das Leben ausmacht, für die Dichte und Fülle, für die Kraft, die alles Äußere und Hinfällige     überragt.
In Maria von Magdala ist die große Sehnsucht und die große Liebe und die große Erwartung dargestellt. Wenn wir etwas von ihr haben, heißt das: wir freuen uns auf den nächsten Tag, wir sind gespannt, was auf uns zukommen wird, wir lassen uns überraschen. Dies wird Christus tun, dessen können wir gewiss sein.                                  Die Auferstehung Jesu hat niemand gesehen: wir können sie nur lesen auf dem Spiegel der Herzen derer, die mit ihm bis in den Tod hinein verbunden waren. Vor uns liegt eine Niederschrift von Ereignissen, die wir deshalb nur auf der Folie des Herzens, d.h. des glaubenden Gemüts entziffern können. Was sich nach dem Tod Jesu ereignet hat in jener Nacht, wo die Trauer zu Ende ging, lässt sich beschreiben mit den Worten: Es war wie der Duft der wohlriechenden Kräuter! Es war wie der frische, unverbrauchte, neue Tag! Wie die aufgehende Sonne, die das Leben in Bäumen und Gräsern und in den Gassen der Straßen weckt. Es war nicht nur wie, es war tatsächlich so, dass ein Grab sich öffnet und die Frauen keinen verwesenden Leichnam, sondern einen Mann in der Kraft und Schönheit der Jugend darin finden. Das, was das Wesen Jesu ausmacht, lebt und ist in diesen Bildern da, anwesend: das Überwältigende und Beglückende  seiner Erscheinung, das Licht, das von ihm ausging, wenn er sich einem Menschen zuwandte, wenn er mit seinem Sprechen ihre Herzen erhellte, die Kraft, mit der er die Kammern der Verzweiflung und der Ängste aufschloss und die Lasten abnahm. Die jugendliche Frische, die Erstarrtes aufbricht und Freude am Leben schenkt. Und doch heißt es: Er ist nicht hier. Sie sollten nach Galiläa gehen. Jesus bleibt verborgen hinter den Bildern. Um ihn selbst zu sehen, sollten sie zurückgehen zu ihrem ursprünglichen Vertrauen zu Jesus, zur ersten Begegnung in Galiläa, wo alles begann, zu dem ersten Morgen, als sie Jesus fanden. Das unerhört Neue ist so überwältigend, dass sie damit noch nicht umgehen können. Es ist aber ein Schrecken, der aus Lethargie, Hoffnungslosigkeit und Resignation aufweckt. Ein offenes Grab, von einer anderen Macht geöffnet, als die wir kennen, soll uns herausreißen aus der Gleichgültigkeit, aus der Oberflächlichkeit, mit der wir unseren Tod und die Botschaft der Auferstehung zudecken

Das Geheimnis dieser Nacht lautet: es wird endgültig Tag in dieser Welt und in unseren Herzen; kein Grab schließt sich für immer; in der Nacht wird das Licht geboren, das milde Licht auf dem Antlitz Jesu.