Perspektivenwechsel möglich?
1.TaufeBerufung ohne Erfahrung
„Jeder Christ ist aufgrund von Taufe und Firmung berufen, das Heilige in seinem eigenen Leben immer weiter zu entfalten und eben dadurch Welt und Kirche im Geiste Jesu Christi mitzugestalten." [1]
Das Rundschreiben will den Weg von der Volkskirche, die vielerorts ja so nicht mehr existiert, zu einer Kirche des Volkes aufzeigen. Zwei Stichworte fallen. Es braucht zukünftig einen Perspektivwechsel und einen Mentalitätswechsel. Die Taufberufung aller Christen spielt dabei, so die Verlautbarung, eine ganz entscheidende Rolle. Eingeschlossen sind damit die im Schreiben der Bischöfe betonten Charismen. Das heißt aber nichts anderes als dass die Initiative des einzelnen geweckt werden soll. Soll sie echt sein, kann sie nicht auf Aufforderung von oben im Gehorsam erbracht werden, sondern muss aus innerstem Antrieb und eigener Überzeugung geschehen. So war es bei den großen Heiligen. Nur wenn eine eigene Erfahrung und Entscheidung dahintersteht, hat ein Wort, ein Aufruf,eine Aktion die Kraft, zu überzeugen und Neues zu gestalten. Nehmen wir den Perspektivenwechsel auf der existentiellen Ebene ernst, heißt das, dass wir nicht von der verkündeten Lehre und deren Forderungen ausgehen, sondern von der Situation und Sicht des einzelnen, das heißt was der einzelne wahrnimmt, empfindet, denkt und fühlt, zusammen mit seiner Lebensgeschichte und seinen Möglichkeiten. Deshalb steht als erstes die Frage an: Wie kommt der zitierte Satz aus der bischöflichen Verlautbarung beim ganz gewöhnlichen Kirchenbesucher an? Wird bei ihm ein volles Ja ausgelöst, das ihn zu einer Änderung seines Lebens und zum überzeugten Handeln bewegen wird? Oder nimmt er bei diesem Satz eher Unsicherheit und Druck wahr? Deshalb gilt es, jeden Begriff genauer aufzuschlüsseln.
„Berufen": ausgesondert! Was ursprünglich „berufen sein" bedeutet hat, kann am ehesten bei Paulus im Brief an die Römer aufgehen. Er bezeichnet sich als „berufener Apostel" (Rö,1,1)..Er bekam seinen Auftrag als Apostel nicht durch den Kreis der Jünger, sondern durch ein Bekehrungserlebnis, das in der Apostelgeschichte dreimal geschildert wird. Es war eine Erfahrung, die ihn umgeworfen hat, von der er sagt, dass alles bisherige im Hinblick auf die Begegnung mit Christus Mist ist(Phil 3,8). Auf dieser Grundlage konnte er den Auftrag ausführen, den er unmittelbar von Christus empfangen hat. Seine Taufe war die Besiegelung dieses Umkehrprozesses. Nun kann der gewöhnliche Christ nicht auf ein solches Erlebnis zurückblicken, ja nicht einmal auf die Taufe, an die er sich nicht erinnern kann und für die er sich nicht entschieden hat. Ganz anders war es bei den Christen der ersten Jahrhunderte, deren Aussagen als Grundlage der theologischen Diskussionen dienen. Sie empfingen als Erwachsene nach einem Wandlungsprozess die Taufe. Das Ergebnis dieses Vorgangs wird beschrieben als „ von neuem geboren aus Wasser und Geist(Joh3,3) „neue Schöpfung"(2Kor5,17), gerettet durch das Bad der Wiedergeburt( Tit3,5). Es geht hier um reale Erfahrungen, welche zu den Wortneuschöpfungen führten. Damit sind nicht nur Verstand und Wille neu ausgerichtet, sondern der ganze Rahmen des Denkens, Fühlens und Handelns. Dieser Vorgang lieferte die entscheidende Motivation für eine neue Einstellung zum Leben. Wenn sich in unserer Zeit kirchliche Verlautbarungen auf diese Aussagen berufen und entsprechende Forderungen stellen, müsste berücksichtigt werden, dass der Prozess einer bewussten Entscheidung bei den allermeisten nicht stattgefunden hat und erst erbracht werden müsste. Kaum wird gesehen, dass die Taufe in ihren Ursprüngen im Erleben und in der Lebensgeschichte des einzelnen eine andere Funktion hatte als heute. Es besteht deshalb berechtigter Zweifel, ob die Motivierung über die Taufe den gewünschten Erfolg bringt. Zu beachten ist, dass die Taufe im Bekehrungsprozess der großen Heiligen weder bei Franziskus noch bei Ignatius erwähnt wird. Bei Franziskus sind es Träume und Erfahrungen der unmittelbaren Nähe Gottes, die seine Pläne, Interessen und Motive umkehren. Ignatius lässt Szenen aus dem Leben der Heiligen und Jesu auf sich wirken, welche sein Inneres ganz und gar umgestalten. Auch in seinen Exerzitien kommt das Motiv der Taufe nicht vor. Man könnte aber sagen, dass der angestrebte Bekehrungsprozess dem Taufprozess der frühen Christen entspricht. Aufschlussreich ist die Rolle der Taufe bei Augustinus. Sein Weg der Umkehr, den er ausführlich in seinen „Bekenntnissen" schildert, läuft auf die Taufe zu. Das Sakrament ist Höhepunkt und Ergebnis dieses Prozesses und nicht Voraussetzung und motivierende Begründung seiner Umkehr. Das spirituelle Niveau der heutigen Kirchenmitglieder entspricht nicht dem der frühen Christen, weil bei den meisten eine bewusste Entscheidung durch einen vorausgehenden Prozess fehlt. Das Ergebnis einer religiösen Erziehung ist nicht dasselbe, als wenn sich ein Mensch durch Not, Zweifel und Schmerzen zum Glauben durchgerungen hat bzw. ihm geschenkt wurde. Der entscheidende Punkt ist, ob die je eigene Erfahrung und Entscheidung geweckt wurden. Die Jünger des Evangeliums kamen nicht auf Grund der Erziehung sondern durch unmittelbare Begegnung zum Glauben an Jesus. Hier seien noch anerkannte Stimmen unserer Zeit angeführt, welche den Perspektivenwechsel von der reinen Lehre zum unmittelbaren Leben verlangen. Der Satz von Karl Rahner: „Der Christ der Zukunft wird einer sein, der erfahren hat, oder er wird nicht sein" gehört zum Standard eines Vortrags über Spiritualität. Er scheint allerdings nicht in dem Maße umgesetzt zu werden, als er zitiert wird. Ein äußerst glaubwürdiger Mann für eine neue Richtung im Glaubensverständnis ist Tomas Halek. Er wurde Priester für die Untergrundkirche in Tschechien, hat die Wende bewusst miterlebt und mitgestaltet, war naher Mitarbeiter von Kardinal Tomasek und Vaclav Havel, dann Professor in Prag. Er sieht mit klarem Blick die Ursache für den Bedeutungsverlust der Kirche in der Überbetonung von Lehre und Amt und in der Geringschätzung der Erfahrung des einzelnen. Für ihn ist der Glaube im Sinne Jesu nicht die Übernahme eines festen Systems, sondern ein Lebensprozess, der mit Unsicherheiten, Zweifeln, Scheitern genauso zu tun hat, wie mit innerer Gewissheit und Freude.[2]
Perspektivenwechsel der Umkehr
Als „Perspektivenwechsel" darf man Umkehr und Buße betrachten, will man sie im Sinne des Evangeliums ernst nehmen. Dort steht das Wort metanoeite Metanoia, was wörtlich „umdenken" heißt( Mk1,15). Den Wechsel des Standpunktes darf man auf das Verständnis und den Vollzug von Umkehr und Buße selbst anwenden. Die geläufige Auffassung legt den Schwerpunkt auf das Tun. Buße bedeutet dann, harte Anstrengungen in Bezug auf das Religiöse und im Einsatz für andere auf sich nehmen und die schon praktizierten noch zu steigern. Weil man sich überfordert fühlt, bleibt meistens alles beim Alten. Anders ist es im Evangelium und bei den Heiligen. Hier vollzieht sich Umkehr wesentlich auf der Ebene der personalen Begegnung, des Erlebens und des Betroffen seins. Das Leben des verlorenen Sohnes (Lk 15, 11-30) erhält dann seine entscheidende Wende, als dieser anfängt, sein Schicksal zu überdenken, und die Überlegung auf sich wirken lässt: Die Arbeiter auf dem väterlichen Hof haben im Überfluss zu essen und ich sitze hier bei den Schweinen und bin am Verhungern! Etwas in ihm fängt an sich zu bewegen. Er ist nicht mehr der, welcher selbstsicher jeden Rat in den Wind schlägt, der über alles Bescheid weiß, der nichts bereut. Vielmehr lässt er, vom Leben gezwungen, die neuen, bitteren Aspekte seiner Situation zu und mit ihnen auch die Affekte, die sein Denken und sein Verhalten ändern. In diesem Sinn hat die alte Dogmatik Recht, dass Reue nicht nur guter Wille, sondern ein Schmerz ist, der den Menschen aufwühlt und sich im Tun auswirkt[3]. Umkehr bedeutet damit als erstes, neue, (ganz wörtlich) einschneidende Einsichten zuzulassen und damit in ein tieferes Gefühl einzutauchen. Gerade dieses treibt zu einem neuen Handeln.
Der erste Schritt ist deshalb nicht: Du musst von heute auf morgen dein Leben ändern, du musst dir das schönste und angenehmste Gefühl ausreißen, du musst deine Überzeugung verleugnen. Ein echter Neubeginn ist dann möglich, wenn man der Situation voll und ganz ins Auge schaut, dem Angenehmen und dem Bitteren. Anstatt mit klugen Erklärungen auszuweichen und zu verharmlosen, sollte man die Tatsachen auf sich wirken lassen und dann schauen, was in einem aufsteigt an Ängsten, Ärger, Zorn und an Hoffnung.
2Heiligkeit: den Sonnengesang mit der Freude des heilige Franziskus singen können.
Ein weiteres, sehr ungewohntes Wort im bischöflichen Schreiben ist die Aufforderung zur Heiligkeit. Darüber wird nicht einmal in den Orden gesprochen. Inzwischen wurde das Thema außerhalb des kirchlichen Bereichs in den neuen spirituellen Bewegungen unter dem Begriff der Erleuchtung neu entdeckt. Sie wird als Ziel des inneren Weges mit den entsprechenden Übungen angestrebt. Professor Karlfried Dürckheim , Psychotherapeut und Zen-Lehrer sprach von der Großen Erfahrung und vom Zustand des „durch- seins".[4] Damit ist die volle Durchlässigkeit für Transzendenz gemeint, indem der Erleuchtete seine Motivation ganz aus deren Erfahrung schöpft. Das bedeutet frei sein von der Angst vor Sinnlosigkeit, vor Vereinsamung und vor dem Tod und universale Liebe. Bei genauerem Hinschauen finden wir diese Kennzeichen in den Schriften des Neuen Testaments und im Sonnengesang des heiligen Franziskus. Aus dem von ihm verfassten Text können wir auf ihn selbst schließen. Er war Gott nahe, den Menschen und allen Geschöpfen in einem! Deshalb war er erfüllt von Dankbarkeit und Freude und hatte die Angst vor den Menschen und vor dem Tod verloren. Er empfand nicht nur Menschen sondern alle Geschöpfe, sogar den Tod als Bruder und Schwester. Heilig sein heißt demnach auf eine einfache Formel gebracht: Den Sonnengesang mit der Freude und Überzeugung singen können, mit der ihn der Heilige entworfen hat. Das wäre das eigentliche Charisma, das sich in individuellen Formen äußern kann. Allerdings kann man diese Gabe nicht dadurch gewinnen, dass man den Heiligen mit Eifer nachzuahmen oder seine Regel zu befolgen versucht. Vielmehr muss jeder wie er seinen ganz eigenen Weg finden. Es geht nicht um Imitation sondern um Inspiration. Die Heiligen sind Vor - Bilder, nicht Vor-Schriften. Man darf sie wie ein Bild betrachten, das zum Eigenen anregt, man muss nicht ihr Geschriebenes oder Gesagtes wörtlich befolgen. Der überwältigende Funke, der zünden soll, liegt in jedem selbst in der Tiefe seines Wesens. Streben nach Heiligkeit heißt nicht, sich noch schwerere Lasten aufladen, noch gewissenhafter bzw .ängstlicher Gebote und Vorschriften befolgen, sondern sich dem Wirken der Gnade öffnen, indem man die Frage zulässt: Was berührt mich? Was bewegt mich, was ergreift mich am Tiefsten? Was macht mich froh? Was bereichert mich? Grundlegende Veränderung und Besserung geschehen nur durch Erfahrungen, die für die Existenz bedeutsamer sind als die bisherigen Gefühle und Interessen. Nach Paul Tillich ist „Gott das Symbol, das mich unbedingt angeht". Die Spur Gottes und damit auch die der Heiligkeit liegt in der existentiellen Betroffenheit und damit in der Tiefe des Seins das heißt in der Tiefe der eigenen Existenz. Es braucht wirksame Zugänge zum inneren Menschen, das heißt zu den Motivationen, welche Entscheidungen herbeiführen.
3. Ergriffen sein schafft Einheit
Betroffen sein heißt, dass das denkende Ich angehalten wird. Echte Betroffenheit löst Schweigen aus. Andererseits führt die bewusst angenommene Stille in der Meditation zur Ergriffenheit. .Die Frage ist dann: Wer handelt jetzt? Wer macht betroffen, wer ergreift? C.G. Jung spricht von einer inneren Instanz, welche er den Archetyp des Gottesbildes nennt. Mit dem Vorhandensein des Gottesbildes (Vgl.Gen1, 27) ist eine Anlage gegeben, die den Menschen auf die Suche nach Gott treibt. Es ist zugleich die tiefste und umfassendste Eigeninitiative. Sie ist dann spürbar, wenn die Teilnehmer von einem Gottesdienst ergriffen sind. Nach alter Lehre ist es Christus, der im Sakrament wirkt. Für den Psychologen Jung wirkt Christus ebenfalls in der Tiefe und Mitte der Existenz. Die Erfahrung des Ergriffen seins führt zusammen. Menschen, die von demselben Ereignis erfasst sind, kommen einander nahe in der Freude und im Schmerz. Man denke an eine Hochzeit, eine Tauffeier oder an die Trauer um einen geliebten und geschätzten Menschen. Ähnliches müsste nach allen dogmatischen Aussagen eine gelungene Eucharistiefeier erreichen. Als der Heilige Geist die ersten Christen ergriffen hatte, waren sie „ein Herz und eine Seele".(Apg 4,32). In dieser Erfahrung wird zugleich die umfassendste, stärkste und erfüllende Eigeninitiative des einzelnen geweckt. Darin dürfen wir den Inhalt des Ur- Charismas des Christen sehen. Deshalb bedeutet ergriffen-sein Einheit in Freiheit. Auf diesen Urgrund könnte „gemeinsam Kirche sein" gelingen.[1]
„ Gemeinsam Kirche sein"
Wort der deutschen Bischöfe zur Erneuerung der Pastoral, I,b
[2] Vgl.Tomas Halik, Nachtgedanken eines Beichtvaters, Freiburg, 2012, S.189
[3] Ludwig Ott, Grundriss der Dogmatik, Freiburg 1963, 507
[4] Vgl. Karlfried Graf Dürckheim, Vom doppelten Ursprung des Menschen, ,Freiburg,1973, Seinserfahrungen,79-113Array