Wie geht es weiter?

Die eigene Geschichte:

Ich bin Jahrgang 1939, seit 1959 Kapuziner, seit 1965 Priester. Ich habe nach 6 Jahren Seelsorgetätigkeit schmerzlichst wahrnehmen müssen, dass die herkömmliche pastorale Ausbildung bei einem großen Teil der jungen und nicht mehr jungen Menschen nicht mehr greift. Es war die Zeit der 68-Jahre mit den Studentenunruhen und Umbrüchen. Ich habe dann die neuen Formen der Selbsterfahrung, die damals aufkamen, entdeckt,
auch die der Meditation bei Graf Dürckheim. Ich habe das volle Studium der Psychologie mit anschließender Psychoanalyse auf mich genommen und eine neue Form der Seelsorge entwickelt,
die bei der Not und den Problemen der Menschen ansetzt, die echte Veränderung und Besserung bewirkt, die für alle, auch für Nicht-Glaubende zugänglich ist. Ich konnte feststellen, dass es möglich ist, das Religiöse als wesentlichen Lebensimpuls zu erschließen und den Glauben zu vertiefen. Es entstanden spirituelle Kreise, die bis heute nach 40 bzw.30 Jahren zusammenkommen.
Auf diesem Hintergrund möchte ich einiges zum angesprochenen Thema sagen.
Echte Seelsorge  ist ein Vorgang, der sich ereignet. Sie hat mit Freude, mit Entfaltung, Aufblühen und Reifung zu tun. Ich denke jetzt an Szenen aus meiner Tätigkeit.. Menschen-meistens sind es Frauen- kommen mit bedrücktem Gesicht in das Beicht-Gesprächszimmer. Es entwickelt sich ein intensives Gespräch über Probleme in der Familie, mit dem Partner, über einen Schicksalsschlag. Sehr häufig fließen Tränen. Dann kann ich beobachten, wie sich das Gesicht verändert , wie Erleichterung und Freude aufscheinen, wie sich die Atmosphäre im Raum wandelt. Die Person verlässt mit heiterem, oft sogar strahlendem Gesicht das Zimmer.
Dahinter steht das sogenannte nicht-direktive oder Person zentrierte Gespräch. Nicht der Seelsorger tröstet, sondern er versucht die Problem geladene Person zu verstehen in bedingungsloser Wertschätzung. Die Wirkung macht nicht er, sondern eine andere Instanz, die durch das nicht-direktive Vorgehen geweckt wird. Im Verstanden werden öffnet sich das Innerste oder das Herz eines Menschen. Theologisch gesprochen: Es ist die Gnade Gottes,  der ich als Seelsorger vertrauen darf...Gibt es ein Argument dagegen, dass man sagen kann: Hier hat sich etwas von der Liebe Gottes ereignet! Dazu könnte man einige Zitate aus dem 1.Johanesbief anführen; „denn die Liebe ist aus Gott und jeder der liebt, ist aus Gott.....1Joh4,7; darin besteht die Liebe , nicht, dass wir Gott liebten, sondern, dass er uns liebte."1Joh4,10.
Der andere Weg zur Erfahrung der Liebe Gottes ist die Übung der absoluten Stille oder des Gebets der Stille. In der christlichen Tradition sind Meister Eckhard, Teresa von Avila, Jeanne Guyon und viele andere zu nennen, welche das Gebet der Stille gepflegt und gelehrt haben. In unserer Zeit ist es die aus dem Fernen Osten stammende Zen-Meditation, die von suchenden Menschen hoch geschätzt wird.
Es gibt namhafte Persönlichkeiten, die Zen in das Christentum integriert und darin einen Weg zu dessen Vertiefung und Neubelebung gefunden haben. Zu nennen sind Thomas Merton(1915-1968), der meist gelesene spirituelle Schriftsteller in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, am bedeutendsten ist Hugo Enimya Lasalle(1898-1990) der seine Oberen überzeugt hat, dass Zen nur eine Anleitung zur Vertiefung des Existenz und zur Erfahrung von Transzendenz ist und keine bestimmte Glaubensrichtung voraussetzt. Die Anleitung besteht eigentlich nur darin, mit untergeschlagenen Beinen sich nicht zu bewegen, nicht zu reden und sein Denken abzustellen. Das denkende Ich soll zur Ruhe kommen, damit die andere Instanz wirken kann.
Auffallend ist die große Anziehung und die Wirkung, welche diese Form der Meditation ausübt. Die Teilnehmer gehen beglückt, erfüllt nach Hause und gestärkt in den Alltag, viele haben in schwersten Krisen neue Lebensperspektiven und neuen Lebensmut gefunden .Ich denke jetzt an die heiteren und frohen Gesichter nach einem Zen-Kurs oder nach einem Zen-Abend. Wer einmal die Wirkung dieses Weges entdeckt hat, bei dem verändern sich die Interessen, die Denkweise, die Gewohnheiten.

Ergebnis ist
einfacher Lebensstil, tiefe Verbundenheit untereinander, Gelassenheit und vielfach neuer Zugang zum christlichen Glauben. Teilnehmer sind zum großen Teil aus sehr rationalen Berufen. Es sind meist gerade solche, die der Kirche entfremdet sind. Kann man leugnen, dass hier Gottes Liebe am Werk ist?
Damit ist auch die Frage berührt: Wie werden die Menschen wieder religiös? Müssen wir einfach eine Zeit ohne Gott hinnehmen?
Dazu ist der Tiefenpsychologe C.G. Jung schon vor hundert Jahren auf Grund der Erfahrung mit sich selbst und der seiner Patienten zu dem Ergebnis gekommen: Jeder Mensch hat eine religiöse Anlage! "Wie das Auge der Sonne, so entspricht die Seele Gott...auf alle Fälle muss die Seele eine Beziehungsmöglichkeit, d.h eine Entsprechung zum Wesen Gottes haben" Diese Entsprechung nennt er den Archetyp des Gottesbildes..(C.G.Jung.GW.12,24) oder das „Selbst". Es ist das Zentrum der Ganzheit von Bewusstem und Unbewussten, von Herz und Verstand. Jung nennt diese Instanz auch Gefäß der göttlichen Gnade. Diese Instanz wirkt eigentätig. Sie kann geweckt werden durch alles, was einen zutiefst berührt, Freude oder Schmerz, und durch die absolute Stille, was ja eine totale Konfrontation mit sich selbst beinhaltet. In diesem Sinn sei auf Paul Tillich verwiesen, der von Gott spricht als von dem „Symbol, das einen unbedingt angeht".
Die Frage, die heute gestellt ist, lautet:
Wie kann die Religion wieder Relevanz gewinnen:?
Es geschieht am ehesten dann, wenn sich Menschen in ihrer tatsächlichen Lebenssituation verstanden fühlen und ihnen die Wege der Transzendenzerfahrung zugänglich gemacht werden. Noch einmal: Das Religiöse als spirituelle Urerfahrung kann erschlossen werden.
Die Kirche muss der modernen Religionslosigkeit nicht ratlos gegenüberstehen. Dies hängt davon ab, inwieweit man die neuen Möglichkeiten wahrnimmt. Es hat sich erwiesen, dass auf diesem Weg Menschen wieder religiös werden und zum Glauben finden bzw. durch die Stille- Meditation des Zen die Kraft des Glaubens neu entdecken.
Es geht darum, die Kraft der frühen Kirche zu gewinnen. Denn sie hat einmal das Heidentum überwunden. Warum soll dies heute nicht möglich sein?
Für den Seelsorger heißt dies in Umkehrung der Klage Eugen Bisers, dass er die Fähigkeit erwirbt, „auf seine (des Menschen) Sorgen verstehend einzugehen, seinem vielfach frustrierten Glücksverlangen entgegenzukommen und ihm in seiner Überforderung, Vereinsamung und Lebensangst einen Raum des Aufatmens, der Solidarität und der Geborgenheit zu bieten."(Eugen Biser , Glaubensverständnis, Freiburg 1975, 132).
Seelsorger müssen nicht Therapeuten im eigentlichen Sinne sein, aber was spricht dagegen, dass sie sich die geforderte Einstellung, die von einem Psychotherapeuten gefordert wird, aneignen, nämlich
„bedingungslose Wertschätzung, einfühlendes Verstehen und Authentizität, Echtheit;
ebenso die Tiefe, die Ausstrahlung, die Radikalität der Zen-Meditierenden! Es beginnt damit, dass man die Anziehung und den Wert der Stille entdeckt.
Ich habe meine Erfahrungen und meine Sicht der Probleme in Klein-Schriften und Büchern beim vier-türme-Verlag veröffentlicht.
Eine grundlegende Zusammenfassung meiner Ansätze habe ich in meinem letzten Buch
Stopp, Die Umkehr, die alle fordern und niemand will" ,Kirchheim 2019 dargestellt.
Weitere Veröffentlichungen auf dem Hintergrund von Psychologie und neuen spirituellen Wegen sind unter www.guido-kreppold.de zu finden.
Mit beschriebenen Wegen hätte die Kirche einen festen Stand auf dem Feld der modernen geistigen Strömungen und es wäre möglich,
die moderne Säkularisierung zu überwinden.

 

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