Das Tal der Suche

(Vortrag 15.10.2020 im Haus der Kirche Ingolstadt)

Alle Vögel kamen an den Platz wegen des Großmuts dieses Königs. Die Leidenschaft zu ihm begann in ihren Seelen zu arbeiten und machte jeden von ihnen sehr ungeduldig. Sie wollten den Weg gehen und traten vor. Verliebt in ihm waren sie sich selber Feind".[1]

Wiedehopf: „Jahrelang suchte ich im Meer und auf dem Land, ging bis ans Ende des Weges. Ich reiste durch Täler, Berge und Wüsten, ging durch die Welt in der Zeit des Sturmes. Ich war mit Salomon auf Reisen und habe die Weite der Welt durchquert."...                                                                                                                     Wasser nehme ich mir aus meiner Vorstellung und an Geheimnissen kenne ich mehr als genug. Gebt die Seele auf, setzt den Fuß auf den Weg und legt freudig den Kopf an diese Schwelle. Wir haben einen unbestrittenen König und hinter diesem Berg ist der märchenhafte Berg Qaf".. [2]

Das große Ziel, der König, wohin die Vögel aufbrechen, heißt „Simorgh". Er ist eine Metapher, ein symbolischer Name für eine Innenerfahrung, für den Punkt in uns, wo wir zutiefst ergriffen sind, wo wir zunächst eher schweigen, als laut davon zu reden.  Um sich wirklich auf eine innere Entwicklung einzulassen, braucht  es ein Einstiegserlebnis, das den Wert einer neuen Lebensrichtung überzeugend aufscheinen lässt. Dies kann eine Begegnung, ein Gespräch, ein Selbsterfahrungkurs oder auch ein ganz persönliches Ereignis sein, das einem nahe geht und von dem der Eindruck ausgeht:   Es ist etwas so Großes und Schönes, dass man es nicht mehr verlieren, sondern für immer gewinnen möchte.

 Es kann in einer Gruppe sein, wo  eine Atmosphäre der Dichte und der vollen Bejahung des einzelnen aufkommt,                                                                                                                             wo Vertrauen und Nähe wachsen, wo jeder  ganz authentisch ist,                                      wo der einzelne zum eigenen Denken und Reden erwacht, ohne andere zu unterdrücken,                                                                                                                                wo neue Ideen und Lösungen auftauchen, an die man bisher nicht gedacht hatte.. Von Aufbruch kann man immer dann sprechen, wenn ein Impuls von innen her Personen bewegt, etwas Neues zu beginnen.

Der große Erfolg der Theateraufführungen „Die Konferenz der Vögel" mag darin seine Ursache haben-darf man darin vermuten-, dass die Zeit einen solchen Aufbruch erwartet. Bei genauerer Betrachtung kann man sehen, dass es schon seit mehr als hundert Jahren im Lebensgefühl und im Denken einiger Aufbrüche gibt, welche die eine reinwissenschaftlich- technische Denk- und Lebensweise in Frage stellen. Wegweisend sind dafür Erzeugnisse aus der Literatur, sowie viele andere spontane, nicht von Institutionen geplante Erscheinungen der letzten Jahrzehnte.

 

Aufbruch zum inneren Weg

„Ich befahl, mein Pferd aus dem Stall zu holen. Der Diener verstand mich nicht. Ich ging selbst in den Stall, sattelte mein Pferd und bestieg es. In der Ferne hörte ich eine Trompete blasen, ich fragte ihn, was das bedeute. Er wusste nichts und hatte nichts gehört. Beim Tor hielt er mich auf und fragte: „Wohin reitest du, Herr?" „Ich weiß es nicht", sagte ich, „nur weg von hier, nur weg von hier. Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen."  „Du kennst also dein Ziel?" fragte er. „Ja „antwortete ich, „ich sagte es doch: „Weg von - hier", das ist mein Ziel!" „Du hast keinen Essvorrat mit", sagte er. „Ich brauche keinen", sagte ich, „die Reise ist so lang, dass ich verhungern muss, wenn ich auf dem Weg nichts bekomme. Kein Essvorrat kann mich retten. Es ist ja zum Glück eine wahrhaft ungeheure Reise."[3]

Es sind einige Momente, die den inneren Weg kennzeichnen. Das Ziel der inneren Reise kann man erst wissen und benennen, wenn man es erfahren hat. Zunächst geht es nur um das Aufbrechen "nur weg von hier". Im persischen Märchen muss der Schmetterling erst vom Licht verbrannt werden, dann erst wird er wissen, was mit Licht gemeint ist.

„Kein Eßvorrat kann mich retten" kann heißen: Wenn ich gar nichts dabei habe, dann werde ich gerettet, weil ich mich auf eine ganz andere Hilfe verlasse. Für die Reise hilft es ihm nicht, etwas mitzunehmen. Er muss das Nötige auf dem Weg selbst jeweils bekommen. Es wird sich ereignen. Jesus sagte den Jüngern dasselbe (Lk9,3), aber er indem sie überzeugend das Reich Gottes verkündeten und heilten, erhielten sie Aufnahme und alles, was sie brauchten. Es hat ihnen an nichts gefehlt. (Lk 22,25-26).

Für den Prozess der Wandlung bedeutet dies: Ich darf nichts mitnehmen, was mich bisher genährt hat z.B. die Zustimmung meiner Umgebung, meinen Erfolg und meine Anerkennung, ich darf mich nicht daran festhalten. Ich kann nicht wissen, was ich morgen brauche, was mir morgen weiterhilft. Der jeweilige Augenblick muss es bringen.

Dies kann sein: eine unerwartete Begegnung oder eine Einsicht, die einen neuen Horizont des Denkens und Daseins öffnet. Viel zu wenig wird im öffentlichen Denken beachtet, dass es in den letzten hundert Jahren nicht nur Aufbrüche in der Literatur gibt, sondern ganz reale, wo sich Menschen nach außen und nach innen bewegen.

 

 

 

Aufbruchstimmung:   Ein Kloster gründen!

Ein innerer Aufbruch findet dann am ehesten statt, wenn das bisherige Lebenskonzept nicht mehr trägt, wenn es einen nicht mehr zufrieden stellt oder völlig zusammenbricht, wenn es außen nicht mehr weitergeht; es bedarf aber der Einsicht,

dass sich in meiner Befindlichkeit und in meiner Sicht der Dinge etwas ändern kann. Man muss auch bereit sein, Hilfe zu suchen und Anregungen von außen anzunehmen. Sobald eine neue Erfahrung einen überzeugt hat, wird der Wunsch nach weiteren Schritten lebendig.

Dies bestätigt ein Gespräch mit einem Mann um die 40. Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann und hatte eine Familie. Er hatte alles auf Aktien gesetzt. Als die Kurse einbrachen, verlor er sein ganzes Vermögen. Ebenso zerbrach seine Familie.  Voller Begeisterung erzählt er von seinem ersten Selbsterfahrungskurs. Da war es ganz anders als im so trüben Alltag. Da lernte er eine völlig neue Welt kennen. Es war möglich, offen aufeinander zuzugehen, einander zu sagen, was einen bedrückt. Es war eine Atmosphäre der spontanen herzlichen Begegnung.  Man musste sich nicht vor einander in Acht nehmen, sich verteidigen, sondern man durfte sich einmal so zeigen, wie man wirklich ist.. Menschen, denen er anschließend begegnete, wunderten sich über seine ausstrahlende Freundlichkeit. Er selbst musste aber bald einsehen, dass die neue Art, miteinander umzugehen, sehr bald auf Grenzen stieß. Er spürte die Härte und Kälte seiner Umwelt und der täglichen Belastung umso intensiver. Und dann kommt er auf einen Traum zu sprechen, den er schon lange hegt: Er möchte ein Kloster gründen, in dem es so zugeht, wie er es auf dem Seminar des positiven Denkens erlebt hatte. Er träumt von einer Gemeinschaft, in der kreatives Handeln ansteckend ist, in der Kritik am Bisherigen möglich und neue Ansätze des spirituellen Lebens wie die eines neuen Lebensgefühls willkommen sind.  Er stellt sich vor, man könne dorthin kommen  und dort eine  Atmosphäre der  Freiheit, der Leichtigkeit, des Wohlwollens, der gegenseitigen Annahme spüren., einen Raum aufbauen, wo nicht Misstrauen, Übervorteilung, Ängste und  nackte Gewalt  herrschen, sondern ein Leben im gegenseitigen Vertrauen, das echte Heimat sein kann, das vom eigenen Können anbieten, was anderen gut tut. 

.                                  Aufbruch nach innen:

 Der Bericht des Mannes erinnert an die Aufbruchstimmung in den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, in denen in Selbsterfahrungskursen eine völlig neue Art des Zusammenseins und des Selbstverständnisses entdeckt und praktiziert wurde. Das Wort „Gruppendynamik" war in aller Munde. Es wurde aber von inkompetenter Seite missverstanden und verlor bald seine Anziehung. Das berechtigte Anliegen, nämlich die unbewusste Dynamik der menschlichen Seele und einer Gruppe zu erschließen, war schon 70 Jahre vorher aufgegriffen worden. Es war die

 der Begründung der Psychoanalyse und Tiefenpsychologie durch Sigmund Freud,  C.G .Jung und deren Nachfolger, wo ein  Aufbruch nach innen stattfand. Es wird bis heute kaum gesehen, dass es sich hier nicht nur um eine Methode der Heilung Gestörter handelt, sondern um die Erforschung der innersten Motive des Menschen, auch für ganz Normale, die ein Interesse daran haben, an der Welt und an sich selbst etwas zu verbessern. In der Psychoanalyse wird das bewusst gemacht und reflektiert, was in einem selbst vorgeht und Gefühle, Denkweise, Entscheidungen sogar das eigene Schicksal bestimmt. Dies ist dem Menschen zum größten Teil gar nicht bewusst. Man ist nicht mehr den blinden Emotionen ausgeliefert. Denn diese können gewaltig in die Irre führen ganz gleich, ob sie triebhaft oder religiös sind. Impulse aus der Tiefe sind nicht immer zum Heil. Davon sprechen die schrecklichen Ereignisse des vorigen Jahrhunderts und die Verbrechen aus religiösen Motiven der jüngsten Zeit.

 Man kann deshalb die Bedeutung der Tiefenpsychologie, die sich mit dem diesem Thema befasst, nicht hoch genug einschätzen, müsste man meinen. Die Wirklichkeit ist aber, dass sie in der Diskussion um die Zukunft der Kirche wie um die der Menschheit soviel wie keine Rolle spielt. Der Grund ist darin zu suchen, dass die Erforschung des Unbewussten, biblisch gesprochen des Herzens nicht ohne eigene Beteiligung des Forschers geht. Man muss es selbst durchleben. Davor scheuen die meisten zurück mit der Bemerkung, dass dies der wissenschaftlichen Methode widerspreche. Diese und andere Begründungen decken sich gut mit den Ausreden der 23 Vögel, die in der „Konferenz der Vögel" angeführt werden.

Zum Aufbruch nach innen sei auch auf die Psychologischen Beratungsstellen hingewiesen, die in den letzten 50 Jahren eröffnet wurden, ebenso auf den Boom des Psychomarktes, auf das Angebot der verschiedensten Therapieformen. Allerdings findet man hier kaum den bewussten Weg nach innen, sondern sie sind eher Hilfe für den Augenblick zur Wiederherstellung einer angeschlagenen,normalen, psychischen Gesundheit.

 

                                            Aufbruch in die Ferne

Im Mittelalter war der Wallfahrtsort Santjago de Compostela Ziel von Wallfahrten aus ganz Europa. Es war eine Reise voller Mühen und Gefahren. Es zog die Menschen dorthin, weil dort, wie sie überzeugt waren, die Gebeine des heiligen Apostels Jakobus ruhten. Im Innersten war es die Sehnsucht nach der Unendlichkeit Gottes. Im Laufe der Jahrhunderte gingen die Praxis und die Wege verloren. Erst im Jahre 1976 fand ein neuer Aufbruch statt.  Die alten Wanderwege wurden neu entdeckt und ausgeschildert. Heute sind sie fast überlaufen. Jährlich treffen über 200.000 Pilger zu Fuß, auf dem Fahrrad, zu Pferd oder als Rollstuhlfahrer in Santiago ein. Wer sich zu Fuß auf einen solchen Weg über Wochen oder sogar Monate macht, lässt die gewohnte alltägliche, „zivilisierte" Welt mit ihren Ansprüchen, Einflüssen und Bequemlichkeiten zurück. Er spürt nur seine Füße, die Steine des Weges, die Schönheit und die Härte der Landschaft. Häufig kommt es zu beeindruckenden, unvergesslichen Erlebnissen mit anderen Pilgern, gerade weil man aus der gewonnenen Tiefe einander begegnet. Man fühlt, denkt und reagiert anders. Geografische Ferne und existentielle Tiefe fallen wie beim Flug der Vögel zusammen. Zur Ferne gehört auch, dass Ungezählte nach Indien, Thailand und Japan fahre, um dort in einem Ashram oder einem buddhistischen Kloster die Qualität des Spirituellen zu erleben. Sie suchen Religion pur.

 

Aufbruch in die Tiefe:

Seit 1973 gibt es in Dietfurt das „Meditationshaus St. Franziskus". Es wurde von P. Victor Löw OFM und P. Hugo Enomiya-Lassalle SJ ins Leben gerufen und ist seitdem für Tausende von Menschen ein Ort der Stille und der inneren Erneuerung geworden. Die Kurse sind unmittelbar nach Erscheinen des Programms ausgebucht.

Zen und andere spirituellen Wege aus dem Fernen Osten haben in den letzten Jahrzehnten einen gewaltigen Auftrieb erhalten. Die spirituell Suchenden wollen Erfahrung nicht Belehrung.  Man geht zu spirituellen Meistern. Bedeutende Namen sind die inzwischen schon verstorbenen Graf Karlfried von Dürckheim, Willigis Jäger, Hugo Enomya Lasalle. Sie haben kompetente Nachfolger in den von ihnen gegründeten Zentren.

Der Andrang sagt etwas über die existentielle Suche unserer Zeit. Es ist ein Zeichen, dass der modernen Zivilisation ein entscheidendes Element fehlt, dass Wohlstand und Hygiene für ein Sinn erfülltes Leben nicht genügen. Was bei den meisten ausfällt, ist die Erfahrung der Tiefe der Existenz, des Ernstes und der Bedeutung des Daseins. Es geht um die Vertikale der Kultur statt der bloßen Oberfläche. In diesem Mangel sehen bedeutende Geister die Ursache der Krise. Ein Zenmeister hat es so formuliert: „Der Westen hat die Kultur des Wortes hervorgebracht, der Osten die Kultur der Stille". Wir brauchen die Stille, damit das Wort wieder Kraft gewinnt. Ein anderes Zitat lautet: „Zen ist wie eine Tasse Tee. Sie schmeckt einem Christen genauso wie einem Buddhisten."

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Die Ausreden der Vögel

Auf dem Flug in die Ferne müssen die Vögel sieben Täler durchqueren, wo die meisten abstürzen. Am einfachsten machen es sich die, welche schon im ersten Tal stecken bleiben. Sie haben gegen den Aufbruch vernünftige Gründe. Den wenigsten ist bewusst, dass gerade die klugen Erklärungen den rettenden Weg verhindern und nichts als Ausreden sind. Diese sind im Sinne der Psychoanalyse Abwehr tieferer Gefühle, einer existentiellen Betroffenheit, welche Emotionen und Motive verändert. Man kann in den Reden der Vögel Charaktertypen unserer Zeit erkennen.

 

Die Rede der Ente: die selbstzufriedene Frömmigkeit

In beiden Welten gibt es keine Nachricht von einem, der ein reineres Aussehen hat als ich... Auf dem Wasser gibt es keinen Besseren als mich und niemand hat Zweifel an meinem Edelmut...Ich habe immer ein reines Kleid und einen reinen Ort.... Wem das Wasser eines Kruges ausreicht, wie kann er den Wunsch nach Simorgh hegen?"[4]

Man kann darin die selbstzufriedene Frömmigkeit erkennen, welche die Ursache der Krise der Kirche und der Gesellschaft nur außen bei den andern sieht, an der eigenen Einstellung keinen Zweifel hat und deshalb keinen Grund sieht, zu etwas völlig Neuem wie zum inneren Weg aufzubrechen. Der Begriff kommt in den Beiträgen, die Theologisches und Kirchliches denken und schreiben, nicht einmal vor. Wenn der Kirche die Menschen in Massen davonlaufen, nennt man das Individualismus, Consumismus, Indifferentismus oder gibt den Medien die Schuld. Nicht gesehen wird, dass in den ersten Jahrhunderten das Christentum ständig zunahm und die Gesellschaf nicht besser war als heute. Am meisten sollte beachtet werden, dass die geschilderten Aufbrüche nach innen und in die Tiefe in ihrer Bedeutung nicht gesehen werden, in der Lehre und Ausbildung praktisch nicht vorkommen. Dabei werden von einem Psychotherapeuten Einstellungen gefordert, die man als urchristlich bezeichnen kann nämlich, jeden, der zu einem kommt bedingungslos ernst zu nehmen und zu achten, sich in seine Denkweise einzufühlen und dies aus innerster Überzeugung. Kaum ist zu lesen oder zu hören, dass die spirituelle Tiefe eines Zen-Meisters auch der haben müsste, der beauftragt ist oder vorgibt, das Wort Gottes zu verkünden.

 

 

Die Rede des Papageien: Imitation statt Inspiration  

Für den Simorgh kann ich keine Leidenschaft aufbringen. Mir ist das Wasser aus der Quelle Chidres genug...[5]Chidr ist der Begleiter des Mose, der Schattenengel...

Papagei ist der, der alles nachsagt, der nicht sein Eigenes lebt. Die Großen der Geschichte, nehmen wir Franziskus von Assisi, mussten ihren ganz eigenen Weg finden nicht nach vorgegebenen Ideen, nicht im Beifall der Umgebung, sondern im Widerstand und Widerspruch dazu. Franziskus gab dem Vater nicht nur Geld und Kleider zurück, sondern auch die Sohnschaft. „Jetzt sage ich nicht mehr Vater Bernardone, sondern nur noch Vater im Himmel". Er war in den Augen der Leute kein Kaufmann, kein Mönch, kein Kleriker, schon lange kein Heiliger, eher ein Verrückter, ein Niemand, aber er war ganz er selbst. Er hatte Anschluss an den Simorgh, er war von ihm durchdrungen.

Franziskus gilt als das große Vorbild für die Schöpfung und für ein friedvolles Zusammenleben der Völker und Rassen. Deshalb hat der Papst seine neue Enzyklika „Tutti fratelli" in Assisi herausgegeben. Die Menschen sollten sich von seinem Geist anregen lassen.

Der entscheidende Durchbruch erfolgt aber nur dann, wenn einzelne wie Franziskus ihren ganz eigenen Weg gehen, ihre eigene Entwicklung gegen Widerstände von außen durchstehen. Erst dann wird die Kraft des Heiligen geweckt. Der Orden, der seinen Namen trägt ist im Absterben. Den Grund dürfen wir darin vernuten, dass man in der bloßen Anpassung und Nachahmung stecken bleibt, durchaus mit gutem Willen und redlichem Bemühen. Sich am Vorbild auszurichten kann aber heißen, sich selbst ausklammern, seine eigene Befindlichkeit und Möglichkeiten, seinen ganz eigenen Weg übersehen.

Auf einem Faltblatt in einer Kirche in der Nähe von Assisi stand folgender Satz;

Nessuno andó ieri, nessuno va oggi, nessuno andrá domani per la stessa strada a Dio, che percorro io.  Keiner ging gestern, keiner geht heute, keiner wird denselben Weg zu Gott gehen, den ich gehe.

 

Die Rede des Falken: die geliehene Identität

Da ich keinen Zugang zum Weg habe, hebe ich den Kopf auf der Hand des Königs.... Es ist besser, wenn ich des Königs würdig bin als durch die endlose Wüste zu ziehen. Ehre ist, wenn ich auf dem König sitze und mein Leben dort verbringen kann. Mal warte ich auf den König, mal jage ich für ihn.

Die Position-die Rolle- das Amt, der Titel sind alles  Ohne Dr.vor meinem Namen bin ich nichts... Wer bin ich noch,                                                                                                                       wenn mich mein Lebenspartner verlässt,

 wenn Ich meinen Job verliere,

aus dem Beruf ausscheide,

und mein Können, Wissen, meine Erscheinung nicht mehr gefragt sind;

wenn ich älter werde und auf andere, auf Menschen des Vertrauens angewiesen bin?.

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Die Rede der anderen Vögel, der Klugen der Zeit

Die kluge Erklärung      

  Zur Umkehr rufen schon seit mehr als hundert Jahren Philosophen, Psychologen, Schriftsteller und Künstler auf. Seit der Aufklärung des 18.Jahrhunerts wird die einseitig rationale Einstellung der modernen Zeit von ernsthaft Denkenden, welche etwas von Tiefe und Ganzheit menschlicher Existenz spüren, in Frage gestellt. Der bekannteste Ausspruch Friedrich Nietzsches „Gott ist tot. Wir haben ihn getötet."[6] richtet sich gegen einen Gott der Worthülsen, des banalen Geredes, der Scheinsicherheit, gegen eine Frömmigkeit, die für verengte Vorstellungen und Wünsche, für Politik und Macht  in Gott einen zuverlässigen Verbündeten sucht. Würden der „Atheismus" und liberale Geisteserscheinungen der Neuzeit als Kritik am herkömmlichen Glauben ernst genommen, könnten sie sogar zu einem tieferen Verständnis führen. Jedoch werden Schöpfungen aus existentiellem Aufruhr in die Literatur, in die Kunst, in die Theologie oder in die Religionswissenschaft eingeordnet und in diesem Rahmen in der Vorlesung an der Universität oder in Vorträgen der Erwachsenenbildung als interessantes Geistesphänomen dargeboten und somit ihrer Schärfe beraubt. Übersehen wird die Dynamik hinter den Texten, die zum Aufbruch des Lesers anstecken möchte. In der gewohnten Art zu denken, in den Bedürfnissen und Gewohnheiten wird sich nichts ändern. Es bräuchte dazu eine Motivation, welche die Tiefe der Existenz aufwühlt und den einzelnen nicht nur auf der rein akademischen Ebene erreicht. Allerdings müssten auch die Aufrufer beachten, dass man im Blick auf die andern von sich selbst erfolgreich ablenken kann. Hier sollte eine Einsicht des Tiefenpsychologen C. G. Jung berücksichtigt werden: „Die Besserung eines allgemeinen Übels beginnt beim Einzelnen und nur dann, wenn er sich und nicht andere verantwortlich macht."[7]

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


[1] Farud in Attar, Die Konferenz der Vögel, Wiesbaden 2008, S 42

 

[2] Ebenda 42

[3] ", Franz Kafka(1883-1924) Der Aufbruch in

 „Erzählungen" zit. n. Heinrich Rombach, Welt und Gegenwelt, Umdenken über die Wirklichkeit: Die philosophische Hermetik,Basel1983  S., 116

[4] Attar46

[5] A.o.Ort44

[6] Friedrich Nietzsche, Aphorismen. Werke in drei Bänden, München 1954, Band 2, S. 126-128.

Permalink: http://www.zeno.org/nid/20009251758

[7] C. G Jung GW BD 9,1 ,368Array