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Gott neu entdecken

Der Theologe Hans Küng hat sich in seinem Buch „Existiert Gott?" kritisch mit den Religionskritikern der Neuzeit auseinandergesetzt. Das Ergebnis seiner

Bemühungen fasst er in

einem langgestreckten Satz zusammen, der wie ein Glaubensbekenntnis klingt. Als erstes stellt er noch einmal die Frage, mit dem sich sein Buch „Existiert Gott?" be

fasst. Dann zählt er seine Bemühungen um eine ehrliche Antwort auf. Er habe einen schwierigen Gang durch die Neuzeit seit Descartes und Pascal, Kant und

Hegel gemacht; er habe die religionskritischen Einwände von Feuerbach, Marx und Freud ausführlich überdacht; er habe sich mit dem Nihilismus Nietzsches

ernsthaft konfrontiert, er habe im Suchen nach dem Grund unseres Grundvertrauens  die Antwort im Gottvertrauen gefunden; er habe sich im Vergleich mit den

ö

stlichen Religionen auf die Frage „Wer ist Gott?" auf den Gott Israels und Jesu Christi eingelassen. Er kommt zu dem Schluss: „Nach alldem wird man verstehen,

warum jetzt auf die Frage „Existiert Gott?" ein vor der kritischen Vernunft verantwortetes, klares, überzeugtes Ja als Antwort gegeben werden kann".[1]

Dem Theologen sind die Bemühungen, den Glauben vor der kritischen Vernunft zu verantworten, sicher gelungen. Die Argumente greifen aber nur bei denen, die schon auf derselben Seite stehen, die schon an Gott glauben. Was ist mit denen, „die vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben", die das Konzept Gott nicht brauchen[2], denen Gott überflüssig ist? Wer wird sich mit dem äußerst lehrreichen Werk Küngs beschäftigen, wenn ihn die Frage nach Gott gar nicht interessiert? Das Wuchern des praktischen Atheismus, eher des Agnostizismus, des Nichtwissens und Nichtinteresses an Gott wird durch noch so abgeklärte Vernunftsgründe nicht beeinträchtigt. Die alles entscheidende Frage wird sein, gibt es auch für Menschen, denen das Wort „Gott" nicht viel oder gar nichts bedeutet, einen Anknüpfungspunkt? Gemeint sind die, welche hinter der schon zitierten Aussage stehen: „Wer heute den Sinn des Lebens sucht, sucht gar nicht mehr Gott, geschweige denn die Gottverwalter" „Gott" ist aus dem Lebens- und Gedankenkreis eines großen Teils der Bevölkerung verschwunden. Von den Bewohnern der neuen Bundesländern, die in drei Generationen atheistische Erziehung und Meinungsbildung durchmachen mussten, wird das schon zitierte Wort von Karl Rahner gesagt: „Sie haben vergessen, dass sie Gott vergessen haben."[3] Wenn sich Menschen aus unserer Umgebung von Glauben und Kirche distanzieren, sind wir ratlos. Die Versuche und Hoffnungen einer „Neuevangelisierung" sind trotz geringer Erfolge gescheitert, weil sie schon eine religiöse Einstellung voraussetzen. Stattdessen breitet sich der Atheismus unaufhörlich weiter aus und scheint unbezwingbar. Die alten „Gottesbeweise" greifen nicht. Es hat den Anschein, als ob die Entwicklung zu einer mehr und mehr religionslosen Gesellschaft nicht aufzuhalten sei. Die brisanteste Frage ist deshalb: Wie kann das Wort „Gott" wieder die Bedeutung erlangen, die ihm zusteht? Wie werden Menschen wieder religiös? Noch mehr: Wie finden sie zum Heiligen als seelischen Faktor mit eigener Dynamik?

 

Von außen nach innen

Man kann nicht leugnen, dass das Religiöse, nach Rudolf Otto das Heilige, als eigentätige Dynamik vor der europäischen Aufklärung wie selbstverständlich zum Menschsein gehört hat. Es wurde im ganzen Kosmos als gegenwärtig empfunden und hat sich im Laufe der Zeiten in der Wahrnehmung von der äußeren Welt immer mehr zurückgezogen. Im Mittelalter gab es noch einen Sternenhimmel, über dem Gott saß. Das Göttliche wurde in den Dingen, besonders in den Reliquien und geweihten Andachtsgegenständen verehrt. Die Gebeine eines Heiligen, vor allem ein Partikel des heiligen Kreuzes, lockten Tausende von Pilgern an. In einer Stadt im Allgäu strömten noch im siebzehnten Jahrhundert zehntausend Menschen zusammen, als eine Reliquie aus Rom in die Stadt überführt wurde. Die Gebeine eines Heiligen waren ein großer Schatz einer Kirche und einer Stadt. Es wäre zu vereinfacht, diese Ereignisse als Aberglauben, Täuschung oder Einbildung abzutun. Es muss ja eine Kraft gewesen sein, welche diese Erscheinung bewirkt hat in der Form, wie sie damals Menschen empfanden. Die religiöse Kraft, das Numinose war außen. Der große Rückzug von außen geschah zum ersten Mal in der Reformation. Die Abschaffung der Reliquienverehrung war eines der Anliegen und Ergebnisse. Der Theologe Keller, der in Augsburg an der Barfüßerkirche das Predigeramt innehatte, zerbrach ein steinernes Kruzifix und bot die Trümmer den Leuten an. „Wer will eine Reliquie?" fragte er. Bei der Säkularisierung vor zweihundert Jahren, die ja Ergebnis der Aufklärung war, wurde dann der Rückzug des Numinosen aus den Gegenständen, Gebäuden, Orten bis zum Exzess durchgeführt. So etwas wie Ehrfurcht vor den geweihten Dingen und Personen gab es nicht mehr. Die Frage ist:

Wohin ging die numinose Energie, die von einem Gott im Himmel und von einer geheiligten Umwelt abgezogen wurde? Wer die Geschichte des folgenden Jahrhunderts betrachtet, kann feststellen: Die Energie des Numinosen wanderte in das Nationalbewusstsein, dem in den Kriegen unvorstellbare Opfer gebracht wurden, in die Fortschrittsgläubigkeit, in Ideologien, die absolute religiöse Bedeutung bekamen. Auch diese haben inzwischen ihre Kraft verloren. Die existentielle Aufmerksamkeit ist stattdessen auf Selbstbestimmung ausgerichtet, auf eine Absolutheit der Lebensauffassung, die über alles verfügen will: über die Natur, über den Menschen und dessen Grundlagen, über die Gene, über das Leben selbst. Es entstand ein Lebensgefühl, welches etwas Größeres, das über einem steht, nicht kennt. Alle Energie ist in das Ichbewusstsein gewandert, das sich maßlos überschätzt, den Intellekt für die einzige Quelle der Erkenntnis hält und an Gott vorbeidenkt.

 

 Gott in der Tiefe

Wo ist  Gott, wenn er nicht oben im Himmel ist, noch in den heiligen Orten und Gegenständen? Einen Schlüssel dafür können wir bei dem evangelischen Theologen Paul Tillich (1886-1965) finden mit seiner Definition: „Gott ist das grundlegende Symbol für das, was uns unbedingt angeht."[4] „Glaube ist das Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht."[5]

Diese Aussage bedeutet, dass Gott mit der Existenz des Menschen unauflöslich verwoben ist. Im Vorgang, in dem einen etwas „angeht", ist das Ich nicht mehr aktiv, sondern empfangend und erleidend. Es geschieht etwas mit einem.

 Damit dürfen wir die Spur Gottes in der Perspektive der Betroffenheit suchen. Statt „Ehre sei Gott in der Höhe", wäre es angebrachter „Gott in der Tiefe" zu singen, in der Tiefe des eigenen Herzens. Wir sind dann auf dem Weg zu Ihm, wenn wir im Kern unseres Wesens, am Sitz der Gefühle, der Motive und der Interessen getroffen sind. Was damit gemeint ist, kann an der Glaubensgeschichte einer Frau, Lehrerin für Altenpflege, verständlich werden:

Sie machte einen spirituellen Entwicklungsprozess durch, der sehr ungewöhnlich klingt. Sie stammt aus einer katholischen Familie. Wie so viele andere war sie in jungen Jahren aus der Kirche ausgetreten, weil sie kein religiöses Bedürfnis spürte. Als sie mit klassischer Kirchenmusik in Verbindung kam, weinte sie aus tiefstem Herzen, wusste aber nicht, was da in ihr bewegt wurde. Sie spürte nur intensiv: diese Musik hat mit Liebe zu tun!

Das Erlebnis war für sie äußerst kostbar. Es zu verharmlosen oder zu entwerten hätte sie sehr verletzt. Es wurde für sie zum Beginn eines inneren Weges. Die entscheidende Wende geschah dann in Indien am Ganges. Sie mischte sich unter die Pilger und umkreiste weinend und betend die Stupas. Obwohl sie von den Gebeten und Gesängen nichts verstand, fühlte sie sich bei Gott aufgehoben wie in der tiefsten Heimat. Sie schreibt dazu: „Ich habe mich selbst entdeckt! Das war und ist eine unendlich kostbare Erfahrung für mich!"[6] Aus Ergriffenheit und Dankbarkeit musste sie immer wieder weinen, ja sogar jedes Mal, wenn sie an Gott dachte. Dies wirkte sich auch auf die Einstellung zu ihrem Beruf aus. Seitdem empfindet sie ein tiefes Verstehen für Menschen mit Demenz, gerade für solche, die sich einsam, verloren und ausgeschlossen fühlen. Begegnungen mit ihnen gestalteten sich so ergreifend, dass so etwas wie göttliche Liebe spürbar wurde. Sie beschreibt Szenen, in denen die Beteiligten aus Freude und Dankbarkeit weinen und „Großer Gott wir loben dich" singen. Dabei sind es Personen, die ihren Verstand verloren hatten. Deutlicher könnte wohl die Bestätigung einer religiösen Anlage, sogar eines göttlichen Funkens nicht ausfallen!

Gott ist nicht an der Oberfläche, nicht im banalen Gespräch, noch in der harten Diskussion zu finden, auch nicht als Ergebnis der Argumente! Marcel Légaut, Professor, Bauer, Philosoph und spiritueller Schriftsteller bekannte aufgrund seiner Lebensgeschichte, seiner Überlegungen und Erfahrung: "Gott ist in der Tiefe des Seins."[7]

 

Der Funke, der überspringt!

Blicken wir noch einmal auf den heiligen Franziskus, wie er Gott erfahren hat. Von ihm wird berichtet:

„Als er mit seinen Freunden nach Hause ging, blieb er hinter den andern zurück. Er sang nicht mehr. Er war in tiefes Sinnen versunken. Denn plötzlich hatte ihn der Herr berührt. Er spürte nur noch Süße."[8] Er war hingerissen von der Süße, die ihn weiter und weiter zog. So hat er Gott neu entdeckt. Sein weiteres Leben könnte man umschreiben mit:

Ein Funke sprang über und wurde zum Feuer. Ein Funke ist ein glühendes Teilchen, wo höchste Energie in einem Punkt gesammelt ist. Im psychologischen Sinn ist ebenfalls höchste Energie am Werk, wenn ein Wort zum Funken wird und Menschen in ihren Anschauungen und Denken erschüttert und umkehrt.

Vorausgeht, dass eine Wahrheit den Sender des Wortes getroffen und aufgewühlt hat, unter der er litt, an der seine eigene Geschichte hängt. Auf der Seite des Empfängers muss brennbares Material vorhanden sein, damit ein Funke zünden kann. Dies kann eine innere Verfassung, eine Angespanntheit und Zerrissenheit sein, die einem den Schlaf nimmt, die einen Tag und Nacht umtreibt. Bei Menschen, die in extremen Situationen leben oder die mit einer bürgerlichen Sattheit nicht zufrieden sind, ist die Bereitschaft und Aufnahmefähigkeit für eine Veränderung vom Grund her eher gegeben. Gedacht ist an solche, die aus der Bahn geworfen zu Außenseitern wurden und durch innere Erschütterungen gegangen sind und um ihre existentielle Not wissen. Sie sind für ein erlösendes Wort eher aufgeschlossen als die Selbstsicheren, die ihr brennbares Material gut geschützt verschlossen halten. So können wir den provozierenden Satz Jesu eher verstehen: „Wahrlich, ich sage euch: die Zöllner und die Dirnen kommen vor euch (die Schriftgelehrten) in das Reich Gottes." (Mt 21,31)

Um Gott neu zu entdecken, bedeutet dies, Probleme, die da sind, an sich herankommen lassen. Es hat sich gezeigt, dass die ernsthafte wissenschaftliche Arbeit das allgemeine Schwinden des Glaubens an Gott nicht aufhält. Es wäre darauf zu achten, inwieweit kluge und in sich richtige Erklärungen die existentielle Betroffenheit verhindern.

 

Schnittpunkte Gottes

Die Ereignisse, die im Laufe eines Lebens am meisten „angehen", sind Geburt, Hochzeit und Tod. Sie haben mit Gott zu tun, gerade weil sie mit dem Schicksal

der Menschen zu innerst verwoben sind. So ist denn auch in der Heiligen Schrift die Offenbarung Gottes in den Erzählungen von Geburt, Hochzeit und Tod

dargestellt. Deshalb dürfen wir in ihnen Schnittpunkte erkennen, wo sich die Linie Gottes mit der der Menschen trifft. Da kommen selbst Menschen, die wenige mit Kirche verbunden sind, und suchen das Ritual und die religiöse Atmosphäre.

Beginnen wir mit der Hochzeit, weil mit ihr meistens erst die voll bewusste Lebensgeschichte beginnt.

Wenn die Liebe zwei Menschen zusammenführt und ihr weiteres Leben bestimmt, ist dies ein Fall äußerster Betroffenheit. Wenn sie erwacht, ist es wie ein Wunder. Niemand hat sie geplant, auch nicht ausgesucht. Es hat beide einfach getroffen und sie wie in eine andere Welt versetzt. Es ist eine Gestimmtheit, die man auch den engsten Freunden und Verwandten gerne mitteilt und sie zum Fest einlädt. Das Glück kann so überwältigend sein, dass man die Fassung verliert und Tränen fließen. Die Trauung ist für Glaubende der Ausdruck dafür, dass sie ihr gemeinsames Glück einer höheren Macht verdanken. Die Liebe zueinander kann zum spürbaren Einstieg werden, um die Liebe Gottes zu begreifen. Davon berichtet schon die Heilige Schrift. Am bekanntesten ist das „Hohe Lied", der Gesang der Verliebten, der auf die grenzenlose Liebe des Höchsten hinweist. In der Geheimen Offenbarung endet die Weltgeschichte mit einer Hochzeit, der „Hochzeit des Lammes". „Denn gekommen ist die Hochzeit des Lammes und seine Frau hat sich bereit gemacht." (Offb 19,7)Die Geburt eines Kindes ist das weitere große Ereignis, das tief in das Leben zweier Menschen eingreift und nicht nur den Gewohnheiten des Alltags,sondern auch ihrer Vorstellung von Sinn eine neue Richtung gibt. Selbst kirchenferne Eltern legen Wert auf einen religiösen Akt. Dabei ist für sie unerheblich, was der tiefere Sinn der Taufe ist, instinktiv möchten sie das große Geheimnis feiern. Dabei kann es zu grotesken Szenen kommen.Ein Elternpaar wollte sein Kind taufen lassen, obwohl beide aus der Kirche ausgetreten waren. Als der Pfarrer Einwände erhob und darauf hinwies, dass der Glaube der Eltern und die entsprechende Erziehung Voraussetzung sei, erntete er wütenden Protest.Noch ein anderes Beispiel für das Empfinden der numinosen Qualität einer Geburt sei angeführt. Ein Ehepaar wünschte einen religiösen Akt zur Geburt ihres Kindes. Eine Taufe kam nicht in Frage. Es wurde eine Feier in deren Wohnung. Sie war so ergreifend, dass der Vater des Kindes vom Weinen geschüttelt wurde. Es ist ein Hinweis, wie tief solches Ereignis in die Seele greift. Fruchtbarkeit gehört zu den Urinstinkten, in denen alle Lebewesen am meisten engagiert sind. Sie berührt den Grund des Seins. Darum sind die Geburtsgeschichten der großen Gestalten in der Heiligen Schrift so wichtig. Es sei erinnert an Abraham, dessen Lebensziel an der Nachkommenschaft hängt. Was soll ein verheißenes Land, wenn es nicht der eigene Sohn erbt? Paulus führt ihn als Vorbild des Glaubens an. „Er glaubte Gott, und es wurde ihm angerechnet zur Gerechtigkeit." (Röm 4,3; Gen 15,6) Das große Wunder geschieht erst, als er hundert Jahre alt ist. Am wenigsten darf übersehen werden, welchen Raum die Geschichte von der Geburt Jesu und von seinem Vorläufer Johannes einnimmt (Lk 1,5 - 2,20; Mt 1,18-25). Die Erzählungen laufen auf die „Wiedergeburt" der Erlösten hinaus. „Wer nicht von neuemgeboren wird aus Wasser und Geist, kann nicht in das Himmelreich eintreten." (Joh 3,3)

Wie das Ereignis der Einheit mit dem geliebten Menschen aufwühlt, so noch mehr die Trennung durch den Tod.Da kann eine Nachricht sprachlos und bewegungslos machen, einen Tag und Nacht umtreiben. Es kann wie eine Trance sein, in die man versetzt wird. Aufgabe einer menschennahen Seelsorge ist es, den Betroffenen zu helfen, nicht nur ihr Leben wieder in die Balance zu bringen, sondern auch die Chance wahrzunehmen, Gott in der Tiefe ihrer Existenz zu begegnen und den Funken einer neuen Gottsuche zu erspüren.Ob die Botschaft von der Auferstehung bei den Trauernden ankommt, hängt wesentlich davon ab, inwieweit die Achtung vor dem Leid der Angehörigen, vor der Würde und dem Schicksal des/der Verstorbenen im Ritus spürbar wird. Es sei noch einmal wiederholt, was zur Transparenz des Leibes schon gesagt wurde: Eine aus dem Innersten kommende Verneigung vor dem Bild des oder der Verstorbenen kann die Herzen der Angehörigen berühren und sogar deren Einstellung zum Glauben verändern.Das Thema des Todes wird im normalen Leben des einzelnen wie in der Öffentlichkeit vermieden, weil es mit Ängsten und Unsicherheiten konfrontiert. Umso mehr sind Personen zu schätzen, die diesen Teil des Lebens bewusst angehen, sich mit dem eigenen Sterben auseinandersetzen, darin keineswegs in Schrecken erstarren, vielmehr sich zu Sterbegleitern ausbilden lassen und darin eine ungeahnte Erfüllung finden. Damit nähern sie sich der zentralen Aussage unseres Glaubens, die im Tod Ziel und Vollendung des Lebens sieht. Sie bewegen sich auf der Spur der frühen Christen, von denen im Brief an die Kollosser gesagt wird, sie seien mit Christus begraben, mit ihm auferweckt und seien deshalb von der Fülle Gottes erfüllt (Vgl. Kol 2, 9-12). Die Feier der Hochzeit, der Geburt und des Todes ist immer noch eine große Chance, um Menschen den Zugang zu Gott zu öffnen. Es hängt allerdings davon ab, inwieweit der Vertreter des Heiligen selbst von der Schönheit und Kraft der Liebe, von der Hoffnung eines Neugeborenen ergriffen ist und den Schmerz des Abschieds mittragen kann.

 

Wenn schon Religion, dann Buddhismus!?

Was ist mit denen, die sagen: „Wenn schon Religion, dann Buddhismus!"? Wer immer diese Aussage macht, zeigt, dass er auf der Suche nach dem Religiösen ist,

aber das zuinnerst Gesuchte in den vielen Worten der kirchlichen Gottesdienste nicht finden kann, wohl aber in der wohltuenden Stille eines Zen-Kurses. Hier

helfen keine Argumente, eher schon ein Wechsel vom gedanklichen Vorgehen zur tatsächlichen Erfahrung. Nicht mehr das scheinbar sichere Wissen um Wahrheit

einer Religion bringt weiter, sondern das Bemühen um Vertiefung der eigenen Existenz. Es sind gerade hochqualifizierte Männer und Frauen mit rationalen Berufen, die

man bei Zen-Kursen antreffen kann. Es werden dabei keine philosophischen Gedankengänge gewälzt, ob es Gott gibt oder nicht, sondern es ist das absolute Nicht-

Tun: nicht reden, sich nicht bewegen, nicht denken! Es wird da die Ergebnislosigkeit überwunden, wozu meist heftige Diskussionen über Wahrheit und Unwahrheit,

über Wert und Unwert der Religionen führen. Damit auch die Enttäuschung, der Ärger und die Frustration vermieden, die immer dann auftreten, wenn sider andere selbst durch stichhaltige Argumente, wie man meint, nicht überzeugen lässt.

Ebenso verliert die Unerträglichkeit der Stille, welche der Philosoph Pascal die Ursache allen Übels genannt hat ihre Macht. „Alles Unglück der Menschen kommt nur daher, dass sie unfähig sind, in Ruhe allein in einem Zimmer zu bleiben. Nichts ist dem Menschen so unerträglich, wie in völliger Ruhe zu sein. Dann fühlt er sein Nichts, seine Verlorenheit, sein Ungenügen, seine Abhängigkeit, seine Ohnmacht, seine Leere. Unversehens steigt da vom Grund seiner Seele die Langeweile herauf, die Melancholie, die Traurigkeit, der Gram, der Überdruss, die Verzweiflung"[9]. Nun geschieht gerade in der Stille, die voll bewusst angenommen wird, das Unglaubliche: Die Lasten, die Pascal beschreibt und die heute genauso plagen wie damals, fallen ab:

Die Leere, bewusst ausgehalten, wird zur Fülle, die Unsicherheit zur Gewissheit. Die Teilnehmer verlassen nach fünf Tagen das Meditationshaus mit entspannten, fr

eudigen Gesichtern, etwas mehr gerüstet für die anstehenden Aufgaben und mit dem sicheren Gefühl, dem Sinn ihres Lebens näher gekommen zu sein. Gerade imabsoluten Nicht-Tun vollzieht sich die Wandlung, die man selbst nicht herbeiführen kann. Was hindert, auf eine Instanz zu schließen, die das Ganze herbeiführt?

Wer könnte abstreiten, dass solche Menschen diesem Wesen nahegekommen sind, auch wenn sie es nicht Gott nennen? Vielen, die in der christlichen Tradition

Der Theologe Hans Küng hat sich in seinem Buch „Existiert Gott?" kritisch mit den Religionskritikern auseinandergesetzt. Das Ergebnis seiner Bemühungen fasst er in einem langgestreckten Satz zusammen, der wie ein Glaubensbekenntnis klingt. Als erstes stellt er noch einmal die Frage, mit dem sich sein Buch „Existiert Gott?" befasst. Dann zählt er seine Bemühungen um eine ehrliche Antwort auf. Er habe einen schwierigen Gang durch die Neuzeit seit Descartes und Pascal, Kant und Hegel gemacht; er habe die religionskritischen Einwände von Feuerbach, Marx und Freud ausführlich überdacht; er habe sich mit dem Nihilismus Nietzsches ernsthaft konfrontiert, er habe im Suchen nach dem Grund unseres Grundvertrauens  die Antwort im Gottvertrauen gefunden; er habe sich im Vergleich mit den östlichen Religionen auf die Frage „Wer ist Gott?" auf den Gott Israels und Jesu Christi eingelassen. Er kommt zu dem Schluss: „Nach alldem wird man verstehen, warum jetzt auf die Frage „Existiert Gott?" ein vor der kritischen Vernunft verantwortetes, klares, überzeugtes Ja als Antwort gegeben werden kann".[1]

Dem Theologen sind die Bemühungen, den Glauben vor der kritischen Vernunft zu verantworten, sicher gelungen. Die Argumente greifen aber nur bei denen, die schon auf derselben Seite stehen, die schon an Gott glauben. Was ist mit denen, „die vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben", die das Konzept Gott nicht brauchen[2], denen Gott überflüssig ist? Wer wird sich mit dem äußerst lehrreichen Werk Küngs beschäftigen, wenn ihn die Frage nach Gott gar nicht interessiert? Das Wuchern des praktischen Atheismus, eher des Agnostizismus, des Nichtwissens und Nichtinteresses an Gott wird durch noch so abgeklärte Vernunftsgründe nicht beeinträchtigt. Die alles entscheidende Frage wird sein, gibt es auch für Menschen, denen das Wort „Gott" nicht viel oder gar nichts bedeutet, einen Anknüpfungspunkt? Gemeint sind die, welche hinter der schon zitierten Aussage stehen: „Wer heute den Sinn des Lebens sucht, sucht gar nicht mehr Gott, geschweige denn die Gottverwalter" „Gott" ist aus dem Lebens- und Gedankenkreis eines großen Teils der Bevölkerung verschwunden. Von den Bewohnern der neuen Bundesländern, die in drei Generationen atheistische Erziehung und Meinungsbildung durchmachen mussten, wird das schon zitierte Wort von Karl Rahner gesagt: „Sie haben vergessen, dass sie Gott vergessen haben."[3] Wenn sich Menschen aus unserer Umgebung von Glauben und Kirche distanzieren, sind wir ratlos. Die Versuche und Hoffnungen einer „Neuevangelisierung" sind trotz geringer Erfolge gescheitert, weil sie schon eine religiöse Einstellung voraussetzen. Stattdessen breitet sich der Atheismus unaufhörlich weiter aus und scheint unbezwingbar. Die alten „Gottesbeweise" greifen nicht. Es hat den Anschein, als ob die Entwicklung zu einer mehr und mehr religionslosen Gesellschaft nicht aufzuhalten sei. Die brisanteste Frage ist deshalb: Wie kann das Wort „Gott" wieder die Bedeutung erlangen, die ihm zusteht? Wie werden Menschen wieder religiös? Noch mehr: Wie finden sie zum Heiligen als seelischen Faktor mit eigener Dynamik?

 

Von außen nach innen

Man kann nicht leugnen, dass das Religiöse, nach Rudolf Otto das Heilige, als eigentätige Dynamik vor der europäischen Aufklärung wie selbstverständlich zum Menschsein gehört hat. Es wurde im ganzen Kosmos als gegenwärtig empfunden und hat sich im Laufe der Zeiten in der Wahrnehmung von der äußeren Welt immer mehr zurückgezogen. Im Mittelalter gab es noch einen Sternenhimmel, über dem Gott saß. Das Göttliche wurde in den Dingen, besonders in den Reliquien und geweihten Andachtsgegenständen verehrt. Die Gebeine eines Heiligen, vor allem ein Partikel des heiligen Kreuzes, lockten Tausende von Pilgern an. In einer Stadt im Allgäu strömten noch im siebzehnten Jahrhundert zehntausend Menschen zusammen, als eine Reliquie aus Rom in die Stadt überführt wurde. Die Gebeine eines Heiligen waren ein großer Schatz einer Kirche und einer Stadt. Es wäre zu vereinfacht, diese Ereignisse als Aberglauben, Täuschung oder Einbildung abzutun. Es muss ja eine Kraft gewesen sein, welche diese Erscheinung bewirkt hat in der Form, wie sie damals Menschen empfanden. Die religiöse Kraft, das Numinose war außen. Der große Rückzug von außen geschah zum ersten Mal in der Reformation. Die Abschaffung der Reliquienverehrung war eines der Anliegen und Ergebnisse. Der Theologe Keller, der in Augsburg an der Barfüßerkirche das Predigeramt innehatte, zerbrach ein steinernes Kruzifix und bot die Trümmer den Leuten an. „Wer will eine Reliquie?" fragte er. Bei der Säkularisierung vor zweihundert Jahren, die ja Ergebnis der Aufklärung war, wurde dann der Rückzug des Numinosen aus den Gegenständen, Gebäuden, Orten bis zum Exzess durchgeführt. So etwas wie Ehrfurcht vor den geweihten Dingen und Personen gab es nicht mehr. Die Frage ist:

Wohin ging die numinose Energie, die von einem Gott im Himmel und von einer geheiligten Umwelt abgezogen wurde? Wer die Geschichte des folgenden Jahrhunderts betrachtet, kann feststellen: Die Energie des Numinosen wanderte in das Nationalbewusstsein, dem in den Kriegen unvorstellbare Opfer gebracht wurden, in die Fortschrittsgläubigkeit, in Ideologien, die absolute religiöse Bedeutung bekamen. Auch diese haben inzwischen ihre Kraft verloren. Die existentielle Aufmerksamkeit ist stattdessen auf Selbstbestimmung ausgerichtet, auf eine Absolutheit der Lebensauffassung, die über alles verfügen will: über die Natur, über den Menschen und dessen Grundlagen, über die Gene, über das Leben selbst. Es entstand ein Lebensgefühl, welches etwas Größeres, das über einem steht, nicht kennt. Alle Energie ist in das Ichbewusstsein gewan groß geworden sind, sich davon distanziert oder nie voll dabei waren, geht erst auf, was mit Erlösung gemeint ist. Sie lesen die Heilige Schrift mit neuen Augen und feiern die Liturgie in einem Ergriffensein, das sie früher nicht gekannt hatten. Das Denken wird nicht verboten, es wird klarer und immer deutlicher auf das Bedeutsame gerichtet, sodass andere Prioritäten gesetzt werden. Wie von selbst ändern sich die Bedürfnisse zu mehr Einfachheit im Lebensstil. Nicht mehr das noch unentdeckte Land bestimmt dann die Wahl des Urlaubszieles, sondern der Aufenthalt in einem Meditationshaus oder in einem Kloster in dieser Qualität, einfach deshalb, weil man mehr davon hat. Auf dieser Ebene kann man zumindest einen Anknüpfungspunkt für die finden, „die vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben" und für die, welche „Gott als Erklärungsmodell für die Rätsel der Welt" nicht brauchen. Die Antwort als solche müssen sie selbst finden.Der Weg der absoluten Stille führt, wenn er treu durchgehalten wird, zu einem Ziel, an das man vorher nicht gedacht hat.

Umdenken beginnt beim Nicht-denken!

Es mag paradox klingen, wenn gesagt wird, dass die volle Umwandlung der Denkungsart im Nicht-Denken besteht. Allerdings ist damit nicht eine dumpfe Gedankenlosigkeit gemeint, sondern höchste Konzentration auf ein Wort oder ein Gebet, das ständig wiederholt den Fluss der Gedanken anhält und damit alle Energie in einem Punkt sammelt, wie es in der Zen-Meditation geschieht.

Dem Atheismus wird nicht dadurch Einhalt geboten, indem man Gott als letzten Verursacher anführt und seine Existenz mit scheinbar einleuchtender Logik beweisen will. Gerade auf diese „Beweisgänge" stützen sich die Argumente der Gottesleugner, um sie zu widerlegen. Deren Überzeugung ist aber auch wie jede Weltanschauung und Grundmeinung in der Tiefe der Existenz begründet. Wenn sich jemand für den Atheismus entscheidet, dann deshalb, weil sich seine Emotionen dafür entschieden haben. Eher müsste es heißen: Er wird entschieden! Es ist kaum ein freier Entschluss, es geschieht eher, dass plötzlich alles, was mit dem Religiösen zu tun hat, wie weggeblasen erscheint, dass alles zerronnen ist, was einem früher heilig war und wofür man sich einmal begeistern ließ. Es ist ein Vorgang des Unbewussten. Wenn nun darauf Theorien aufgebaut werden, die sich als aufgeklärt und wissenschaftlich bezeichnen und die durchaus sehr logisch erscheinen, sind sie doch eher Ergebnis eines vorausgehenden existentiellen Vorgangs als deren Auslöser. Deshalb gilt es, jene Instanz aufzuspüren, die stärker ist als die Neigung, welche Gott verneint. Es braucht eine Erfahrung, welche in der Tiefe greift und den bisherigen Denkrahmen sprengt.

Man kann deshalb ein Gespräch über Gott mit einem Nicht-Gläubigen nur aus der Perspektive der Betroffenheit führen.

Als erstes muss die Beziehung stimmen. Konkret heißt das: Wenn jemand von einem weggeht mit dem guten Gefühl, verstanden worden zu sein, ist damit ein wichtiger Schritt geschehen. Wer einmal letzte Gewissheit über den Sinn seines Lebens erlangt hat, für den wird die Frage „Existiert Gott?" überflüssig. Dass dies möglich ist, dafür kann noch einmal der Philosoph Blaise Pascal sprechen. Er ist der ehrliche Gottsucher, der sich allen aufkommenden Zweifeln und Gedankensystemen aussetzte, bis ihm durch eine Neuheitserfahrung eine ganz andere Welt aufging. Sein erstes Wort ist: „Feuer, Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Gott der Philosophen und Gelehrten. Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede, Tränen der Freude. Gott Jesu Christi."[10] Es ist ein Stammeln und lässt noch etwas vom ergreifenden und überwältigenden Erlebnis ahnen. Ihm gelingt es nicht, seinen Verstand einzuschalten, um zusammenhängende Sätze zu bilden. „Feuer, Freude, Gewissheit, Tränen der Freude" sind Worte, die nicht nach Enge, unterdrückten Gefühlen, nach eingeschränkter Lebensfreude klingen. „Feuer" als Ausruf heißt höchste Steigerung der Wachheit, des Empfindens, der Lebensdichte, höchste Energie. Es erinnert an den brennenden Dornbusch (Ex 3,6), noch mehr an die Herabkunft des Heiligen Geistes, als auf jedem Jünger Feuerzungen sichtbar werden (Apg 2,3), das heißt aus jedem Flammen schlagen. Pascal selbst fühlt sich als Dornbusch, der brennt! Der Philosoph stellt einen Typus des religiösen Menschen dar, der weniger auf Grund seiner Gedankengänge, sondern als Persönlichkeit die Religionskritiker der Neuzeit widerlegt. Es muss nicht sein, dass der Mensch mit dem Glauben, wie Feuerbach meint, alles Große und Wunderbare, das er selbst sein könnte, in einen jenseitigen Gott projiziert, selbst aber dabei verkümmert. Ebenso kann von einer Vertröstung ins Jenseits nicht gesprochen werden, wenn der Eindruck so gewaltig ist, dass man ihn nie vergessen kann. Pascal könnte zu dem Augenblick sagen, für den Faust sein Leben dem Teufel verschreibt: „Verweile doch, du bist so schön!"[11] Die Erfahrung Pascals könnte man als Gegenstück zu dieser Tragödie sehen, die seit mehr als zweihundert Jahren zur Substanz der humanistischen Bildung gehört und immer noch fasziniert. Dies dürfte darin begründet sein, dass eine Ursehnsucht des Menschen nach Erfüllung, nach Größe und Sinn „durchgehandelt" wird. Der moderne Mensch möchte im Hier und Jetzt sein Glück erfahren, auch wenn es nur in einem Augenblick ist, nicht erst in einem zweifelhaften Jenseits. Das Abenteuer mit dem Teufel hinterlässt jedoch eine Blutspur. Die Rettung des Faust am Ende wird von Kritikern als künstlich bezeichnet. Goethe hat vorausgenommen, was in unserer Zeit in der Sexindustrie angepriesen wird: Steigerung der Lust bis zur Ekstase ohne Liebe, ohne Würde, ohne Seele. Der Mensch wird aber noch mehr in die Einsamkeit gestoßen. Die Probleme, die Menschen heute quälen, werden damit nicht gelöst. Mit seinem Erlebnis ist Pascal nicht allein. Es gibt Ungezählte im Christentum wie in anderen Religionen, von denen Ähnliches berichtet wird. Ja, es gibt die Erhöhung des Menschen, die Freude, die Gewissheit, die Dichte des Lebens, die keinen äußeren Wunsch mehr braucht! Es gibt sie schon im Hier und Jetzt, nicht erst nach dem Tod!

Die „Große Erfahrung" oder „Durch-Sein" im Sinne Dürckheims, im Zen Kensho oder Satori, in der christlichen Tradition „Erleuchtung" genannt, meint einen Zustand, der von innerer Einheit und Harmonie, von einer Dichte des Lebens und einem beglückenden Ja in jeder Begegnung geprägt ist. Deshalb werden Menschen mit dieser Ausstrahlung oft von weither als Tröster und Ratgeber aufgesucht.

Als bekanntestes Zeugnis der Erleuchtung sei noch einmal der Sonnengesang des heiligen Franziskus angeführt. Er hat gespürt, was erlöst sein heißt: daheim sein bei allen Geschöpfen, die Menschen lieben können, auch wenn sie arm, schmutzig oder eklig sind, die Kraft in sich zu tragen, Einsamkeit, Ablehnung, Zorn und Neid anzunehmen ohne zu verbittern, dem Leid, der Krankheit und selbst dem Tod in die Augen zu schauen. Es ist die Kostbarkeit der Gottesnähe, die das eigene Leben und die Welt in einem anderen Licht erscheinen lässt. Seine radikale Armut ist Ausdruck einer nicht mehr fassbaren Energie aus dem Innersten. Franziskus zeigt, was mit „Gott im Leben" gemeint ist. Die Religionskritiker haben Religion als Ausdruck der Ohnmacht und Erklärungsnot vor Augen, wenn sie ihre Theorien aufstellen, befassen sich kaum damit, was religiöse Erfahrung bedeuten kann.

 

Die Aufgabe, die man selbst ist

Die Umkehr im Hinblick auf die Religionslosigkeit der Zeit besteht demnach darin, wie Pascal den Anfragen von außen und von innen nicht auszuweichen, auch die Verunsicherung wie ein Abenteuer auf sich zu nehmen und nach dem tiefsten Grund in sich selbst zu suchen. Was dem Philosophen widerfahren ist, könnte jedem geschehen, dem die Suche nach Wahrheit und Tiefe ein Anliegen ist. Es wird einem erst dann letzte Gewissheit zuteil, im Bild gesprochen erst dann wird aus einem Feuer schlagen, wenn einem die Frage nach dem letzten Grund auf der Seele brennt. Allerdings braucht es die Einsicht, dass man an sich selbst eine Aufgabe hat, sogar sich selbst zur Aufgabe geworden ist. Weil diese so schwierig ist, weichen die meisten aus mit dem Vorwand, es sei doch purer Egozentrismus und das Engagement nach außen sei doch unendlich wichtiger. Das letztere mag in manchen Situationen auch stimmen, aber nicht, wenn es um eine nachhaltige Lösung geht. Jung hat diese Haltung so gesehen: „Wer mit Hilfe der modernen Psychologie hinter seine eigenen (Kulissen) geblickt hat, der muss gestehen, dass es das Allerschwierigste, ja Unmögliche ist, sich selber in seinem erbärmlichen So-Sein anzunehmen. Deshalb zieht man mit Vergnügen und ohne Zögern das Komplizierte vor, nämlich das Nichtwissen um sich selbst und die geschäftige Bekümmerung um andere und anderer Schwierigkeiten und Sünden. Dort winken sichtbare Tugenden, die die andern und einen selbst wohltätig täuschen. Man ist sich - Gott sei Dank - sich selbst entlaufen." [12]. „Sich selbst entlaufen" heißt: man hat die Umkehr vermieden und damit den Schlüssel zur Lösung der Probleme nicht gefunden! Man will die Seelen anderer verbessern und weiß von der eigenen so gut wie nichts!

Das Beste, das man für sich und für andere tun kann, besteht demnach darin, die Aufgabe zu lösen, die man selbst ist! Dazu gehört, dass man sich selbst nicht mehr ausweicht! Auf diese Weise kann die Not einer Lebenskrise zu einem Weg - zu einem neuen Leben werden.

Denen, die vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben", könnte man sagen: „Sie müssen (mir) gar nichts glauben! Aber wenn Sie sich selbst etwas Gutes tun wollen, etwas, das Ihnen in den entscheidendsten Punkten ihres Lebens weiterhilft, dann bemühen Sie sich, in sich selbst hineinzuhorchen, das ernst zu nehmen, was in Ihnen vorgeht!". Man kann einen Gott vergessen, der irgendwo außen existieren soll, aber nicht das, was einen unbedingt angeht. Denn vergessen kann man nicht, wenn es um den Menschen geht, der einem der wichtigste ist, um das eigene Kind, um Leben oder Tod. Genauso wenig kann es einen unberührt lassen, wenn einem die bisherigen Erfolge zerrinnen und nichts mehr übrigbleibt als der eigene, kranke Körper. Es können auch andere Probleme sein, die man vergessen hat, die aber zur unrechten Zeit wiederkommen. Es kann sogar ein ganz langweiliger Alltag sein, in dem man gar nichts spürt, weder weinen noch lachen kann, keine Lust zu irgendetwas hat und dabei mit allem unzufrieden ist.

Dann ist es durchaus kein falscher Rat, sich einmal diesem Nichts bewusst auszusetzen. Es könnte eine Woche sein, wo man mit sich selbst und mit andern konfrontiert wird oder eine Fußwallfahrt, wo nur die Weite und Schönheit der Landschaft auf einen wirken. Es könnte auch auf einen Zen-Kurs sein, wo man fünf Tage nur den Atem und die eigenen Schmerzen spürt. Ebenso hilfreich ist es, seinen Träumen Beachtung zu schenken.

Es sei noch einmal gesagtDie Spur Gottes in einer scheinbar Gott-leeren Welt finden wir nicht durch strenge Logik, sondern in der Tiefe der eigenen Existenz, an jenem Punkt unserer Person, an dem wir zutiefst ergriffen sind. Wir sind dann nicht Agierende sondern Empfangende, sogar Erleidende. Eine andere Instanz handelt dann und wir lassen sie auf uns wirken. Man muss nicht etwas glauben oder machen, es geschieht etwas mit einem. Der alte Ausdruck dafür ist „Gnade". Diese Erfahrung ist jedem möglich, ganz gleich ob jemand an Gott glaubt oder nicht. Das Thema „Gott" ist nicht im Langweiligen, Erstarrten und Seelenlosen, sondern dort zu finden, wo das Allerwichtigste, Aufregendste und Sinnvollste „durchgehandelt" wird auch wenn es nicht „Gott" oder „Religion" heißt. Das Unverstandene, scheinbar Unsinnige kann zum Sinnvollsten werden! Die Aufgabe besteht nicht darin, Gott zu beweisen und jemand mit Argumenten zuzuschütten, sondern dem andern die Chance zu bieten, sich dafür zu öffnenwas zuinnerst nahe geht, was schmerzt und was hoffen lässt. Der übliche Vorwurf „Glauben heißt nichts wissen" wird dann außer Kraft gesetzt. Darin zeigt sich ein neues Gottesbild: nicht mehr das am Rande, sondern in der Mitte der Existenz. Nicht mehr eines, welches das Leben einengt, sondern eines, das unserem Dasein volle Entfaltung, Blüte, Wachstum und Reife bringt. Dasselbe meint C. G. Jung, wenn er vom Archetyp des Gottesbildes spricht, das mit der Ganzheit der Person einhergeht. Alles entscheidet sich daran, ob wir es zulassen, dass unser Wesen auf Unendliches bezogen ist.

Es sei noch einmal wiederholt: Das Zeugnis für Gott vor einem „glaubenslosen" Publikum liegt weniger in den scheinbar besseren Argumenten, sondern in der Art, wie wir selbst vom „Unendlichen" ergriffen sind und wie wir uns vom Schicksal des andern betreffen lassen, inwieweit wir um Gott wissen wie um die Liebe und Treue des geliebten Menschen. In einer gelingenden Begegnung überträgt sich Ergriffenheit von selbst. Anders ausgedrückt: Gott öffnet das Herz des andern, wie es bei der Verkündigung des Paulus in Philippi beschrieben wird (Apg 16, 14).

Wer so wie der Apostel vom Geist Jesu durchdrungen ist, verbreitet eine Atmosphäre, in der sich die Herzen öffnen.Das Religiöse wird dann zum stärksten Antrieb, welche alle anderen Emotionen einbindet, ohne sie zu unterdrücken. Es ereignet sich die Umkehr, „die Jesus Christus in seiner Neuheit immer wieder neu gegenwärtig macht und so den Glauben der Kirche stets jung erhält."[13] Eine so verstandene Nachfolge bedeutet nicht Enge des Denkens und nicht Unterdrückung der Gefühle, nicht Verkümmerung der Persönlichkeit sondern geistige Weite, existentielle Kraft und Ausstrahlung. Dafür ist der heilige Franziskus der beste Zeuge.

 

 

 

 


 

[1] Hans Küng, Existiert Gott? München 1981 ,767

[2] Burkard Müller: „Das Konzept Gott-warum wir es nicht brauchen". (In Merkur (Zeitschrift) 2/2007)

[3] Eberhard Tiefensee, Kirche hat eine Stellvertreterfunktion, in Herder Korrespondenz 70, 2016, S.17

[4] Paul Tillich G. W, Bd VIII, S. 142

[5] Ebd. S. 66

[6] Rosmarie Maier, Ich will dich doch erreichen, Begegnungen mit Demenzkranken ermöglichen, München 2009, 72

[7] Marcel Légaut, Meine Erfahrung mit dem Glauben, Eine Einführung in das Verständnis des Christentums, Freiburg, 1974

[8] Franz von Assisi, Legenden und Laude, hggb. v. Otto Karrer, Zürich 1986, 35

[9] Blaise Pascal, Pensees 131 zit. nach H. Küng, Existiert Gott? München 1981, S. 77

[10] Mémorial (Blaise Pascal) aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

[11] Johann Wolfgang Goethe, Faust I, 1700

[12] C. G. Jung GW, Bd11 368

[13] LTHK Art. Buße praktisch-theologisch

 

 

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