10.Sonntag im Jahreskreis C

Liturgische Texte: www.erzabtei-beuron.de/schott

1.Lesung 1 Kön 17, 17 - 24

2.Lesung Gal 1, 11 - 19

Evangelium Lk 7, 11 - 17


+ Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas
In jener Zeit
11 ging Jesus in eine Stadt namens Nain; seine Jünger und eine große Menschenmenge folgten ihm.
12 Als er in die Nähe des Stadttors kam, trug man gerade einen Toten heraus. Es war der einzige Sohn seiner Mutter, einer Witwe. Und viele Leute aus der Stadt begleiteten sie.
13 Als der Herr die Frau sah, hatte er Mitleid mit ihr und sagte zu ihr: Weine nicht!
14 Dann ging er zu der Bahre und fasste sie an. Die Träger blieben stehen, und er sagte: Ich befehle dir, junger Mann: Steh auf!
15 Da richtete sich der Tote auf und begann zu sprechen, und Jesus gab ihn seiner Mutter zurück.
16 Alle wurden von Furcht ergriffen; sie priesen Gott und sagten: Ein großer Prophet ist unter uns aufgetreten: Gott hat sich seines Volkes angenommen.
17 Und die Kunde davon verbreitete sich überall in Judäa und im ganzen Gebiet ringsum.


Eine  fruchtbare Erschütterung

Wir begegnen in der heutigen Erzählung einem Ereignis, von dem die meisten nur die Seite des Schmerzes und der Trauer kennen. Es gehört zu den schwersten Schicksalsschlägen, das eigene Kind, den Sohn, die Tochter zu verlieren. Es ist, als ob einem ein Teil von einem selbst, gerade der wichtigste und schönste abgeschnitten würde. So sagen es Mütter, Väter, die davon betroffen sind. Es ist eine Wunde, die in manchen Fällen ein ganzes Leben lang nicht heilt. Die Geburt eines Kindes ist ja nicht irgendein Ereignis. Es bedeutet einen neuen Lebensinhalt und ein neues Lebensgefühl. Der Schwerpunkt der Interessen, der Planungen und der Hoffnung verlagert sich, als ob man bisher eher am Rand eines Kreises gestanden hätte, jetzt aber in die Mitte gerückt sei. Wenn die unfassbare Nachricht eintrifft, dann ist das wie ein Erdbeben. Man wird bis in den Wurzelboden der Existenz erschüttert. Wenn die Mitte nicht mehr trägt, bricht die Hoffnung auf Zukunft zusammen.

Es soll hier der Schmerz all der Mütter in unseren Tagen gewürdigt werden, die dieses grausame Schicksal erleiden mussten, deren Kind verunglückte, geschändet oder ermordet wurde, deren Name durch die Zeitung geht. Wir sollten bei den Nachrichten von Anschlägen und blutigen Kämpfen auch das Leid der Mütter und Väter mit hereinlassen.

In früheren Zeiten sah man in der Mutter Jesu, die den geschundenen Körper ihres Sohnes auf dem Schoß hält, ein Bild des eigenen Schmerzes und fand auch den Trost, der weiter leben ließ. So gibt es gerade in den Wallfahrtsstätten viele Darstellungen dieses Motivs.
Die Frage bleibt: Wie finden Betroffene, ob Verwandte, Freunde, wir selbst den Trost, der nötig wäre? Er scheint unerreichbar und ist mit Worten allein gar nicht zu vermitteln. Hilfreich ist in jedem Fall, wenn man Menschen mit einem solchen Schicksal seine Anteilnahme und Nähe zeigt, ihnen nicht ausweicht, einen Teil des Schmerzes auf sich nimmt und auf sich wirken lässt.

Der Trost, der uns heute geschildert wird, die Auferweckung eines Toten scheint für uns ausgeschlossen. Was geschehen ist, kann man nicht mehr rückgängig machen. Das Wort von der Auferstehung und vom Leben jenseits dieser Welt, das uns Glaubenden gegeben ist, erreicht die vom Schmerz Versteinerten nicht. Dazu müssen sie erst einen langen und beschwerlichen Weg gehen. Hilfreich ist es, einmal bei denen nachzufragen, welche diese Botschaft in die Welt brachten.                     
Sie geht auf die Erfahrung der Jünger zurück, dass Jesus lebt anders, intensiver, auf eine Weise, die das zeitliche Dasein verschwindend klein sein lässt. Die Begegnung mit dem Auferstandenen hat sie zutiefst ergriffen und ihr weiteres Dasein und Denken geprägt. Dies scheint unmittelbar in den Äußerungen aus der Frühzeit, die wir den Briefen der früheren Christen entnehmen. So lesen wir im Schreiben des Apostels Paulus: „Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinen Leiden; sein Tod soll mich prägen. So hoffe ich, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen. Nicht dass ich es schon erreicht hätte oder dass ich schon vollendet wäre. Aber ich strebe danach, es zu ergreifen, weil auch ich von Christus Jesus ergriffen worden bin” (Phil 3,10-12). Aber diese Überzeugung war für  Paulus nicht leicht zu haben. Er erwähnt vorher, dass er zunächst auf der ganz anderen Seite stand, dass er ein Verfolger der jungen Kirche war. Dann ereignete sich für ihn etwas, das seine ganze innere Welt erschütterte und umdrehte. Es war für ihn wie ein Sterben. Alles, was ihm bisher wichtig war, erscheint ihm nun als unbedeutend, als nichtig, als Verlust, sogar als „Dreck”, weil die Erfahrung von Christus, dem Auferstandenen alles übertrifft. Er hat einen völlig neuen Lebensinhalt  entdeckt, für den es sich lohnt, alles daran zu geben. Paulus hat die Erfüllung seiner Sehnsucht gefunden, noch unbeschreiblich mehr, als er sich erträumt hatte. Die Geschichte des Apostels weist alle, die in einer Sackgasse stecken, darauf hin, dass  ein neues, ungeahntes Lebensziel, jenseits des eigenen Schicksals und Leids möglich ist. Er selbst musste aber in eine Tiefe eintauchen, die dem Sterben nahe kommt. Nur auf diese Weise konnte er zu dem werden, als welcher er in die Geschichte einging.                                                                                                      

Eines sollte uns auch in schwerem Leid bewusst werden: Je tiefer wir erschüttert werden, umso größer ist die Chance einer totalen inneren Wandlung ähnlich der des Paulus. Es werden dann langsame und mühsame Schritte eingefordert, die uns nach und nach weiterbringen. Wir sollten bei allem Leid und aller Traurigkeit die Verheißung Jesu aus der Bergpredigt nicht aus den Augen verlieren: „Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden” (Mt 5,4). Es ist nicht das Leiden als solches, das hier gepriesen wird. Es ist die Chance, an den Punkt zu gelangen, an dem das Leid nicht mehr greifen kann.