27.Sonntag im Jahreskreis C
Liturgische Texte: www.erzabtei-beuron.de
1.Lesung Hab 1, 2 - 3; 2, 2 - 4
2.Lesung 2 Tim 1, 6 - 8.13 - 14
Evangelium Lk 17, 5 - 10
Stark wie ein Senfkorn
Wieder einmal stehen wir ratlos da nach Aussagen, die wir nicht in unserem Denksystem unterbringen können. Keiner von uns hat schon einmal auf diese Weise einen Baum verpflanzt und mit einem Angestellten - vom Sklaven kann ja gar keine Rede sein - würden wir heute auch etwas anders umgehen. Aber es muss in der so unverständlichen Rede etwas Kostbares verborgen sein; sonst hätten es die Zuhörer nicht weitergegeben. Es muss etwas von Jesus ausgegangen sein, das die Menschen angezogen hat und rätselhafte Worte ankommen ließ. Für uns heißt das: Es geht darum, dieses Etwas, dieses Tiefgründige hinter den Rätselworten zu entdecken und für uns auszuschöpfen.
Es fällt auf, dass Jesus vom Senfkorn als Bild des Glaubens spricht. Wir kennen es schon aus den Gleichnisreden (Vgl.Mk 4,1 - 34). Es ist das allerkleinste Samenkorn, das zur größten Staude des Gartens wird. Die ganze Dynamik des Glaubens - der unscheinbare Anfang und die Größe des Ergebnisses - ist auf das Senfkorn wie auf einen Punkt konzentriert, auf den Punkt gebracht. So ist es, will Jesus sagen, wenn Gott in uns wirkt. Es geht um die volle Konzentration, um die volle Sammlung aller Energie auf den Punkt der Mitte, der dann von selbst tätig wird. Ein anderes Bild dafür wäre der Funke, der überspringt.
So war es bei Jesus. Nach seinem Aufenthalt in der Wüste „kehrte er in der Kraft des Geistes nach Galiläa zurück und sein Ruf verbreitete sich in der ganzen Umgebung“ (Lk 4, 14). Er ist mit Energie aufgeladen, wach und bereit, auf Menschen zuzugehen. Sein Wort lässt die Menschen aufhorchen. Sie sind betroffen, nachdenklich geworden und im Tiefsten spüren sie etwas Wunderbares. Sie erzählen es weiter und suchen seine Nähe. Jesus trägt die Kraft des Senfkorns in sich. Es ist die Kraft des Geistes, mit der er von der Wüste oder vom Gebet auf dem Berg zurückkommt. Von außen gesehen ist er ein unscheinbarer Rabbi, ein Wanderprediger, wie ein Senfkorn, das man übersieht. In seinem Innern steckt aber eine Energie, die Menschen aufwühlt und umtreibt, und eine Dynamik, die eine Welt verändert. Es sei noch einmal daran erinnert, dass für das Wort „Kraft“ im Alt-Griechischen dynamis steht und energeia für das Wirken des Heiligen Geistes (Eph 1,19). Das heißt Energie und Dynamik sind Bezeichnungen, die aus dem Umfeld Jesu, aus den Ursprüngen des Christentums stammen und nicht den Naturwissenschaften vorbehalten sind.
So war es auch beim heiligen Franziskus, dessen Fest in diesen Tagen gefeiert wird. Der junge, noch nicht als Heiliger bekannte Franziskus geht auf den Marktplatz, spricht Leute an und verwickelt sie in ein Gespräch. Wörtlich heißt es in der Lebensbeschreibung: „Er sprach in einfältiger Rede, aber sein Wort aus der Fülle des Herzens ergriff die Zuhörer. Es war wie brennendes Feuer, das in die Tiefe der Herzen drang und alle mit Bewunderung erfüllte.“ Es springt ein Funke über. Die Umstehenden sind zutiefst berührt, reißen Augen und Ohren auf, stehen sprachlos da. An ihren Gesichtern sehen die Vorbeigehenden, dass hier etwas Besonderes los ist, bleiben ebenfalls stehen und schauen auf den Mann, von dem diese Wirkung ausgeht. Sie werden selbst davon ergriffen. Es ist eine Dichte der Atmosphäre, die gut tut, wo man sich angesprochen und aufgehoben fühlt und die immer mehr Leute anzieht. Einer seiner Zuhörer berichtet später, er habe nach einem solchen Auftritt nicht mehr gewusst, was der Heilige im Einzelnen gesagt hat, er sei nur von seiner Ausstrahlung fasziniert gewesen. Franziskus trifft die Zuhörer an einer Stelle, die stärker ist als die alltäglichen Überlegungen und Interessen. Das angezündete Feuer brennt von selbst weiter. Wir wissen um die Bewegung, die er ausgelöst hat und die noch heute Ungezählte erfasst. Das Wort von der Fülle des Herzens, aus welcher er spricht, trifft das, was Jesus mit der Kraft des Senfkorns meint. Es ist jene Verfassung, in der alle Energie auf einen Punkt gesammelt ist und nach außen ausstrahlt, in jedem gesprochenen Wort und in jeder Geste spürbar wird. Darin liegt der Schlüssel für den Erfolg, das Unmögliche bewegen zu können. Unser Blick richtet sich deshalb nicht auf die Kleinheit des Senfkorns, sondern auf die Kraft des Wachstums, die darin verborgen ist. Die Übersetzung der rätselhaften Stelle müsste deshalb statt so „groß“, so „stark“ wie ein Senfkorn (Lk 17, 6) lauten. Vom griechischen Urtext spricht nichts dagegen. Die entscheidende Frage bleibt aber: Wie können wir diese Kraft gewinnen?
Dem erfolgreichen Auftreten des heiligen Franziskus geht eine Geschichte des Wachstums voraus. Als Gott ihn zum ersten Mal berührt hatte, war es der Keim oder das Senfkorn seiner weiteren Entwicklung. Für ihn ist es wörtlich die Süße, die ihn weiter und weiter treibt: in die Einsamkeit, in die Finsternisse wie in das Licht seines Herzens. Alles dreht sich um den einen Punkt, Gott nahe zu sein und ein voller Mensch zu werden. Beides fällt zusammen. Unter diesem Aspekt könnte das so sperrige Gleichnis vom Herrn und vom Sklaven eher zugänglich werden. Es endet: „Unnütze Sklaven sind wir, wir haben nur unsere Schuldigkeit getan“ (Lk 17,10).
Wer die Kraft des Senfkorns in sich trägt, wer - mit anderen Worten - in der Fülle des Geistes und des Menschseins steht, zählt die geleisteten Stunden nicht, stellt auch keine Statistik seiner Erfolge auf. Was wir aus dem Überschuss unseres Wesens, aus Freude tun, empfinden wir als geschenkt, uns und anderen. Wir betrachten unser Tun als selbstverständlich und erwarten keine Rückerstattung der eingesetzten Mühe. Verstehen wir deshalb die Antwort Jesu auf die Bitte der Jünger um Glauben so: Euer Glaube wird dann stark sein, wenn ihr euch auf den einen Punkt konzentriert, der in der Tiefe und in der Echtheit eures Herzens ist. Dann werdet ihr wie das Senfkorn die Kraft haben, über alles, was euch umgibt und klein macht, hinauszuwachsen.