32.Sonntag im Jahreskreis

Liturgische Texte: www.erzabtei-beuron.de/schott

1.Lesung 2 Makk 7, 1 - 2.7a.9 - 14
                                                                              
2.Lesung  2 Thess 2, 16 - 3, 5

Evangelium Lk 20,27 - 38  

Ewig ist jetzt!

„Gott ist ein Gott der Lebenden“ (Lk 20,37). „Sie können nicht mehr sterben“ (Lk 20,36) sagt uns Jesus heute eindeutig. Es ist eigentlich eine Botschaft, die alles Denken um die Zukunft, um Absicherungen, um Ansehen und Karriere, um Geld und Vermögen umdrehen müsste. Stattdessen lässt sie die allermeisten kalt. Wer in der modernen Welt aufgewachsen ist, dem erscheint das, was mit dem Tod zu tun hat, einfach irrelevant. Der Gedanke an den eigenen Tod und schon gar nicht an das, was nachher kommt, beschäftigt nur ganz wenige. Wie soll da eine Verheißung ankommen, die gar nicht gefragt ist?                                                                                                                             
Eine Diskussion über das Leben nach dem Tod weckt deshalb kaum Interesse; man ist fixiert an dem, was hier und jetzt in dieser Welt geschieht. Über Tod, Gericht, Himmel und Hölle, die letzten Dinge des Menschen predigten einst die Volksmissionare. Dies wurde zum Anlass, der christlichen Verkündigung vorzuwerfen, sie würde vom Glück in dieser Welt ablenken und auf das Jenseits vertrösten. Die Anfrage ist ernsthaft zu prüfen, ohne zugleich etwas von der großen Verheißung Jesu aufzugeben. Entscheidend ist, wie die Verkündigung seit Jahrhunderten bei den Menschen angekommen ist und welche Auffassung über das Leben in dieser Welt und dem Jenseits sich festgesetzt hat. Versuchen wir trotz allem, die Worte Jesu von der Auferstehung der Toten, von den Lebenden nach dem Tod näher zu betrachten.  „Die aber, die Gott für würdig hält, an jener Welt und an der Auferstehung der Toten teilzuhaben, werden nicht mehr heiraten. Sie können auch nicht mehr sterben, weil sie den Engeln gleich und durch die Auferstehung zu Söhnen Gottes geworden sind.“ (Lk 20,36) Im Johannesevangelium spricht Jesus vom „ewigen Leben“. Er bezeichnet sich als das Brot, das ewiges Leben gibt. „Wer dieses Brot isst, wird ewig leben“ (Joh 6,59). Warum haben diese Worte ihre Anziehung verloren?

In der traditionellen Frömmigkeit wird ewiges Leben gleichbedeutend mit „Himmel“ gebraucht. Der gute Christ kommt nach dem Tod in den Himmel, so ist die allgemeine Überzeugung. Man denkt an die Belohnung für ein gerechtes, tugendhaftes Leben, für die Mühen, die man auf sich genommen hat, an einen Art Ausgleich für erlittenes Unrecht, an ein paradiesisches Dasein. Den meisten ist diese Verheißung einfach zu weit weg und erscheint nicht erreichbar. Der Akzent scheint hier auf dem Gedanken zu liegen, dass erst nach dem Tod die volle und wahre Lebensfreude zugelassen sei, während man sich in dieser Welt einzuschränken habe und seinen Wünschen enge Grenzen setzen müsse. Der Gedanke an den Tod verderbe einem deshalb die Lebensfreude und sei Ausdruck einer pessimistischen Weltsicht. Friedrich Nietzsche hat seine Kritik an diesem Punkt des Christentums in die Worte gefasst: „Bleibt mir der Erde treu!“ Man möchte hier und jetzt leben und zwar möglichst aus dem Vollen schöpfen. Eine ewige Jugend wäre den meisten lieber als ein ewiges Leben, das heißt ein jugendliches Dasein, mit dem es sich ganz erträglich leben lässt, als eine vage Verheißung, die nur Anstrengung kostet. Das Hier und Jetzt ist entscheidend, nicht eine ferne Zukunft - so denken die meisten. Die moderne Medizin ermöglicht zudem eine längere Lebenszeit und scheint damit  diese Auffassung zu bestätigen. In Wirklichkeit gibt es in den Kliniken auch ganz junge Krebspatienten und in den Todesanzeigen erscheinen auch junge Gesichter. Es gilt, einige Missverständnisse auszuräumen.

Die Ewigkeit ist nicht die ferne Zukunft, sie hat keine Sekunden, Stunden, Tage und Jahre. Sie ist ohne Zeit. Sie ist ein immerwährendes Jetzt. Dieses Jetzt spüren wir dann, wenn wir ein intensives Erlebnis haben, wenn wir aus lauter Freude gar nicht mehr an die Zukunft denken, wenn wir so berührt  sind, dass uns die Tränen in die Augen steigen. Es kann sein, dass uns eine Musik ergreift. Obwohl deren Schöpfer schon Jahrhunderte tot ist, treten wir mit ihm in Kontakt. Es kann sein, dass uns ein Wort aus der Heiligen Schrift aufgeht, das schon mehr als 2000 Jahre alt ist. Hier spielt die dazwischen liegende Zeit keine Rolle. Wir reagieren dabei mit dem Bereich unserer Persönlichkeit, der nicht an die Zeit gebunden ist. Also ist da etwas, das nicht vergänglich ist. Es ist sogar das Wichtigste und Schönste. Es liegt nicht an der Oberfläche, sondern in der Tiefe unserer Seele. Es wirkt etwas in uns, das wir selbst gar nicht machen. Wir sind dabei äußerst beglückt und erfüllt. So ist es dem französischen Philosophen Blaise Pascal ergangen. Gegen Ende seines Lebens hatte er in der Nacht ein Erlebnis, das ihn zuinnerst getroffen und gewandelt hat. Es war ihm so wichtig, dass er es sofort aufschrieb und in seinen Rock einnähte. Es lautet: „Feuer. Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Gott der Philosophen und der Gelehrten. Gewissheit, Freude, Friede. Gott Jesus Christi ….. Tränen der Freude…“ 
Er ist in diesem Augenblick so erschüttert und hingerissen, dass er an eine ferne Zukunft gar nicht denkt. Er ist voll und ganz im Hier und Jetzt. Er steht in diesem Moment im ewigen Leben. Er ist von Gott unmittelbar berührt. Für uns heißt das: Was mit „ewig“ gemeint ist, liegt in der Tiefe und nicht in der Zukunft, in der Dichte, in der  Intensität, im Erfüllt -  und Ergriffen sein des Augenblicks.

Die Botschaft vom ewigen Leben ist so verstanden gar nicht so weit weg von der Einstellung des modernen Menschen, dem das Hier und Jetzt lieber ist als eine ferne Zukunft. Der Unterschied ist allerdings, ob man dieses Hier und Jetzt in der Ablenkung und in oberflächlichen Bedürfnissen sucht oder in der Tiefe des Herzens. Dort liegt die größte Kostbarkeit bereit, der Keim der unbegrenzten Entfaltung, der göttliche Funke, der zu einem großen Feuer erwacht. Wir tragen das Bild Gottes in uns, das erfahrbar werden möchte. Das meint Jesus, wenn er von den Söhnen und Töchtern Gottes spricht, zu denen wir gewandelt werden.

Die Hoffnung auf die Ewigkeit - richtig verstanden - bedeutet keine Einschränkung, keine Einengung und Verkümmerung unseres Lebens, sondern die Entscheidung dafür, dass wir schon jetzt so nach und nach zu einem neuen, intensiveren Dasein erwachen, zur Fülle des Lebens, zu einem Augenblick, der nie vergeht.

Vor dem Grab seines Freundes Lazarus sagt Jesus zu dessen Schwester: „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben“ (Joh 11,25). Stellen wir Skepsis und Zweifel für einen Moment zurück und lassen die Sätze einmal ungefiltert auf uns wirken. Wenn uns das gelingt, werden wir unser Dasein von einer ganz anderen Perspektive betrachten. Wir werden etwas entdecken, das nicht mehr überboten werden kann und das manches in  unserem Leben umkehrt. Wir werden den Tod mit anderen Augen sehen.