8. Sonntag im Jahreskreis C
Erste Lesung: Sir 27, 4-7 (5-8)
Zweite Lesung: 1 Kor 15, 54-58
Evangelium: Lk 6, 39-45
Liturgische Texte: www.erzabtei-beuron.de/schott
Der fruchtbare Baum
Der indische, religiöse und politische Anführer Mahatma Gandhi sagte über die Christen:
„Als Erstes würde ich raten, dass die Christen alle miteinander anfangen müssen, wie Jesus Christus zu leben. Wenn ihr im Geist eures Meisters zu uns kommen wolltet, könnten wir euch nicht widerstehen."
Das ist nichts anderes als die immer wiederholte Mahnung: Wir sollten uns die Gesinnung Jesu aneignen. Wir finden sie in der Feldrede beim Evangelisten Lukas, bei Matthäus in der Bergpredigt zusammengefasst. Daran sollten wir als Christen zu erkennen sein.Es bleibt die Frage, warum es so wenig gelingt, dem zu entsprechen. Dabei mag gar nicht einmal der gute Wille fehlen. Eher ist zu vermuten, dass wir den Weg dazu nicht finden. Da ist als erstes Hindernis, dass wir die Worte Jesu als äußere Vorschriften oder als Gesetz betrachten, dass wir dann mit viel Mühe Gefühle unterdrücken und doch dabei feststellen müssen, dass es nicht gelingt. Wir kommen dann weiter, wenn wir zunächst einmal versuchen, die Worte Jesu, seine Bilder und Gleichnisse, und damit ihn selbst zu verstehen lernen, ohne schon unter dem Druck zu stehen, Überdurchschnittliches leisten zu müssen.
Verstehen heißt sich einfühlen und nachvollziehen, was ein anderer Mensch erlebt, wovon er durchdrungen ist, was ihm ein Anliegen ist. Auf diese Weise dürfen wir auch Jesus begegnen. Die erste Frage nach einer Schriftlesung ist dann nicht: Was müssen wir tun? Sondern: Haben wir Jesus verstanden? Das Evangelium soll mit allen Höhen und Tiefen in uns lebendig werden. Heute hören wir vom Baum, der je nach Beschaffenheit gute oder schlechte Früchte hervorbringt. Damit weist Jesus auf eine Vorgegebenheit hin, die unser Gefühle, Sympathie oder Antipathie, Liebe oder Hass, Ärger oder Zorn und die entsprechende Denkweise bestimmt. In der Heiligen Schrift ist vom Herz die Rede, in der modernen Psychologie spricht man vom Unbewussten. Jesus fasst seine Wahrheit noch einmal zusammen in dem Wort:
„Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund".(Lk6,45).Hier dürfen wir an Ihn selbst denken, an sein Herz, an den Raum seines Erlebens und Denkens und an die Anliegen ,die ihn beseelen. Wir dürfen es ernst nehmen, dass in ihm die Liebe selbst-die Nähe Gottes- spürbar und sogar im ganz wörtlichen Sinn greifbar wird. Es ist seine Ausstrahlung, die Menschen anzieht, Zuversicht und Hoffnung weckt. Sie drängen sich um ihn. Sie kommen sich vor, als wären sie in einer anderen Welt. Er hat etwas an sich, so ursprünglich und echt, das sie so nie gesehen und gehört hatten. Jesus verbreitet eine Atmosphäre, in der jeder ein Ja, eine Wertschätzung spürt, die durch Mark und Bein geht, eine Freude und Heiterkeit wahrnimmt wie sonst nie. Es gibt Situationen, in denen Jesus in Jubel ausbricht und der inneren Quelle, Gott, dem Vater, für so viel Glück dankt. So geschieht es, als die Jünger von ihrer Aussendung zurückkehren. Wenn wir so leben wollen wie der Meister, müssen wir als erstes unser ganzes Bemühen dahin lenken, wie unser Herz von der Freude, Zuversicht und Liebe, die in Jesus war, erfüllt sein kann.
In uns selbst ist der Baum, der gute Früchte bringen soll. Sein Wachsen und Blühen soll zunächst im Vordergrund stehen nicht die Befolgung der einzelnen Gebote. Hier dürfen wir an das unscheinbare Senfkorn denken, das größer wird als alle anderen Stauden. Es geht nicht darum, uns von heut auf morgen heroische Leistungen abzuringen vielleicht noch mit verbissenem Gesicht oder einzelne Vorschriften auszulegen und genau abzumessen, was noch erlaubt ist, sondern um eine Grundverfassung, aus der heraus in der jeweiligen Situation das Richtige wie von selbst geschieht. Die guten Taten, noch mehr die guten Worte sind wie Früchte, die wie eine reiche Ernte uns zufallen. Es kann der glückliche Einfall sein, der uns aus einer Verlegenheit rettet. Doch ist es noch wesentlich mehr.
Hier dürfen wir an die großen Gestalten unserer christlichen Geschichte denken. Vom heiligen Franz von Sales wird erzählt, dass er durch sein liebenswürdiges Erscheinen und Reden Menschen auch anderen Glaubens gewann. Dies war nicht mühsam abgerungen, sondern kam aus seinem Innersten wie von selbst. Gerade die spontanen, nicht erwarteten Reaktionen des heiligen Franziskus von Assisi wurden Anlass zu Legenden und werden heute noch bewundert. In seiner Liebe zu den Armen ging er sogar so weit, dass er nicht nur seinen Mantel, sondern das Altartuch und den Schmuck der Muttergottes verschenkte, um die bittere Not einer armen Frau zu lindern. Wir können ihn darin nicht nachahmen, aber wir können sehr viel dafür tun, um die Heiterkeit und Freude seines Geistes zu erwerben. Als einen Schritt auf diesem Weg dürfen wir die Mahnung, die uns Jesus heute gibt, betrachten:
Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?"(Lk6,41).
Jesus meint, wir sollten Abstand nehmen von einer Haltung, welche ständig um die Schlechtigkeit des andern kreist und ihm alles zumutet, was wir selbst gerne täten. . Indem wir andere anklagen und zu bessern versuchen, können wir uns gut von uns selbst ablenken. Wir sollten vielmehr den Blick in das eigene Innere riskieren, uns die eigenen Dunkelheiten eingestehen. Aktuell wird dies bei einem Konflikt, wie er im Alltag vorkommt. Wir sollten gut unterscheiden lernen, was das Eigene daran ist und was das des andern. Diesen können wir nicht ändern, uns selbst schon. Es bringt weiter, die eigene Wunde, die nur einem selbst gehört, die durch die eigene Geschichte bedingt ist, genauer anzuschauen, ihren Schmerz zu benennen und auszuhalten. Sie kann auch ohne die Zustimmung des andern heilen.
Wir vermeiden es gerne, bittere Wahrheiten zuzulassen. Aber ohne diesen Vorgang finden wir auch keine rettenden Wahrheiten. Wer es mit der Umkehr, die Jesus meint, ernst nimmt, wer sein will wie er, so echt, so originell, so überzeugend, hat zunächst an sich selbst eine Aufgabe, die ihn voll in Beschlag nimmt. Sie macht betroffen und demütig, führt zu einem erfüllten Herzen und zur Gesinnung Jesu. Was wir in Lebenskrisen lernen müssen, ist die Einsicht, dass es in uns selbst weitergeht dass in uns eine Dynamik liegt, welche die außen unlösbare Situation auf eine andere Weise löst. Das Ausschlaggebende aber ist: in uns vollzieht sich eine Wende, von außen nach innen,
vom Stillstand zum Beginn einer Entwicklung,
vom Fremden zum Eigenen,
vom Oberflächlichen zum Wesentlichen.
Es ist ein Erwachen vom Wesensschlaf, der Punkt, bei dem man anfängt, eigene Gefühle, eigene Gedanken zu haben und eigene Entscheidungen zu treffen. Es gibt Größen in unserem Leben, über die nicht wir, sondern die uns bestimmen. Es sind Grundbedingungen unseres Daseins, über deren Rahmen wir nicht hinauskönnen, mit denen wir aber so umgehen können, dass sie für uns zum Guten werden. Sie sind uns in den Weg gestellt, damit wir daran wachsen. Es gibt sensible Phasen, in denen wir in besonderer Weise mit diesen Größen konfrontiert werden.