11.Sonntag im Jahreskreis C
Liturgische Texte: www.erzabtei-beuron.de/schott
1.Lesung 2 Sam 12,7 - 10.13
2.Lesung Gal 2, 16.19 - 21
Evangelium Lk 7, 36 - 50
Jesus ging in das Haus eines Pharisäers, der ihn zum Essen eingeladen hatte, und legte sich zu Tisch.
37 Als nun eine Sünderin, die in der Stadt lebte, erfuhr, dass er im Haus des Pharisäers bei Tisch war, kam sie mit einem Alabastergefäß voll wohlriechendem Öl 38 und trat von hinten an ihn heran. Dabei weinte sie und ihre Tränen fielen auf seine Füße. Sie trocknete seine Füße mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit dem Öl.
39 Als der Pharisäer, der ihn eingeladen hatte, das sah, dachte er: Wenn er wirklich ein Prophet wäre, müsste er wissen, was das für eine Frau ist, von der er sich berühren lässt; er wüsste, dass sie eine Sünderin ist.
40 Da wandte sich Jesus an ihn und sagte: Simon, ich möchte dir etwas sagen. Er erwiderte: Sprich, Meister!
41 (Jesus sagte:) Ein Geldverleiher hatte zwei Schuldner; der eine war ihm fünfhundert Denare schuldig, der andere fünfzig.
42 Als sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten, erließ er sie beiden. Wer von ihnen wird ihn nun mehr lieben?
43 Simon antwortete: Ich nehme an, der, dem er mehr erlassen hat. Jesus sagte zu ihm: Du hast recht.
44 Dann wandte er sich der Frau zu und sagte zu Simon: Siehst du diese Frau? Als ich in dein Haus kam, hast du mir kein Wasser zum Waschen der Füße gegeben; sie aber hat ihre Tränen über meinen Füßen vergossen und sie mit ihrem Haar abgetrocknet.
45 Du hast mir (zur Begrüßung) keinen Kuss gegeben; sie aber hat mir, seit ich hier bin, unaufhörlich die Füße geküsst.
46 Du hast mir nicht das Haar mit Öl gesalbt; sie aber hat mir mit ihrem wohlriechenden Öl die Füße gesalbt.
47 Deshalb sage ich dir: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie (mir) so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe. 48 Dann sagte er zu ihr: Deine Sünden sind dir vergeben.
49 Da dachten die anderen Gäste: Wer ist das, dass er sogar Sünden vergibt?
50 Er aber sagte zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden!
Erlösende Blicke - erlösende Berührung
Allzu lang kennen wir diese Erzählung schon, sodass uns der aufregende, sogar skandalöse Charakter nicht mehr auffällt. Würden wir diese Geschichte in unsere Zeit übertragen, wäre sie ein Skandal, der durch alle Medien ginge. Es steht aber tatsächlich geschrieben: Diese Frau, eine stadtbekannte Sünderin, d.h. eine Prostituierte, berührt mit ihren Haaren die Füße Jesu und salbt sie mit wohlriechendem Öl. Jesus nimmt das gerne entgegen und spricht sogar von einem Erweis der Liebe, der ihm sehr angenehm ist. Das Wesentliche daran ist wohl, dass Jesus nicht nur am Leib, sondern zutiefst auch in der Seele berührt wird, dass sich hier eine ganz tief - menschliche Begegnung ereignet. Wir dürfen annehmen, dass schon vor dem Mahl eine Begegnung mit Jesus stattgefunden hat. Denken wir an einen Blickkontakt, den diese Frau scheu und verschüchtert mit Jesus aufnahm. Es ist durchaus möglich, dass der Blick Jesu sie bis ins Innerste traf. Darin lag eine unendliche Güte.
Wenn wir davon ausgehen, dass die Augen die Fenster der Seele sind, hat diese Frau das Innere Jesu, seine Gesinnung und sein Fühlen wahrgenommen. Das muss für sie so beglückend schön gewesen sein, dass für sie eine neue Welt aufging; dass sie sich angenommen, geborgen wusste, dass ihr inneres Chaos verschwand, dass sie eine Seligkeit spürte, die alles Elend vergessen ließ. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch Jesus diese Frau bewusst wahrgenommen hat als eine Unbekannte, als Leidende, Heilsbedürftige. In diesem Moment hat sich gewiss noch nicht alles gewandelt. Aber in ihr ist etwas Neues, bisher Unbekanntes aufgebrochen, für das es sich lohnt, alles daran zu geben. Sie rafft ihre letzten Pfennige zusammen, um ein Sünd - teures ÖI zu kaufen, sie riskiert die bösen, ablehnenden Blicke der Gäste. Sie muss diesen Jesus noch einmal sehen, seine Nähe spüren, ihn berühren und ihm ihren Dank und ihre Liebe ausdrücken.
In der Erzählung heißt es: sie trat von hinten heran und weinte. Es wurde immer so verstanden, dass sie ihre Sünden beweinte. Weinen kann vieles bedeuten: Es ist immer ein Ausdruck dafür, dass jemand die Fassung verliert, dass Gefühle stärker sind als die Kontrolle. Es kann Schmerz, Trauer aber auch Freude bedeuten oder alles zusammen. Die Frau wird von einer beglückenden, inneren Bewegung ergriffen, die Spannung fällt ab, alle Bitterkeit ihre Lebens, ihr Ausgestoßen sein und ihre Entwürdigung. Sie fühlt sich in einer großen Geborgenheit aufgefangen. Wahrscheinlich ist, dass sie vor Glück weint. Anders sind die Gesten der übergroßen Dankbarkeit nicht zu erklären; es ist ein Überfließen von angestauten Gefühlen, wenn sie mit ihren Haaren Jesus berührt, seine Füße mit dem kostbaren Öl salbt und sie unaufhörlich küsst.
Was sich zwischen Jesus und dieser Frau ereignet, macht anschaulich, was Paulus im Galaterbrief sagt: Der Mensch wird nicht durch die Werke des Gesetzes gerecht, sondern allein durch die Gnade und den Glauben an Jesus Christus (Gal 2,16). Was die Frau erlebt und darstellt, das ist Gnade: dieser Jubel, diese Freude, diese Dankbarkeit. Die Erzählung endet damit, dass Jesus ihren Glauben lobt und damit ausdrückt, dass er selbst der Beschenkte ist. „Dein Glaube hat dich gerettet“ (Lk 7,49).
Nun tritt die andere Seite, nämlich das Gesetz, konkret in der Gestalt des Pharisäers auf. Wir dürfen uns unter ihm keinesfalls einen Heuchler vorstellen, sondern einen durchaus ernsten, um die Erfüllung des Gesetzes bemühten Menschen. Er vertritt den Typ des pflichttreuen und korrekten Mannes, der gewiss Achtung verdient. Jedoch: Wie ist es mit Güte, mit Verständnis für solche, die anders sind? Wenn von ihm Kälte ausgeht, wenn Gefühle nicht zählen, wenn in seiner Nähe selbst ein Lächeln noch gefriert? Mit einem solchen Menschen möchte man nicht gerne leben. Nach all dem, wie der Pharisäer mit dem Namen Simon in der Geschichte geschildert wird, war er eher ein solcher Typus von Mensch. Er hat keinen Sinn für die Not und Dankbarkeit dieser Frau, für deren Gefühle und deren Ausdruck, auch nicht für das, was in Jesus vorgeht. Er ist eben nicht gerecht, d.h. recht vor Gott, weil er das, was Gott in der Tiefe des Herzens wirkt, nicht kennt und deshalb nicht verstehen kann. Deshalb stellt ihn Jesus zur Rede.
In der Lesung ist von „gerecht werden“ die Rede. Dies ist für die meisten unverständlich. Die Szene aus dem Evangelium sagt uns, dass es um die Erlösung der Gefühle geht. Sie können erstarrt und tot sein, oder blind und uns in die Irre führen. Erlöste Gefühle jedoch sind lebendig und rechte Gefühle, die wir zulassen, denen wir trauen dürfen und von denen wir leben können. Sie sind die wichtigste Kraft, die uns trägt. Eines sollte uns bewusst werden: Was Paulus mit Rechtfertigung meint, ist keine leere Rede von „übernatürlichen", unverständlichen Dingen, sondern hat seinen Sitz in der Mitte unseres Herzens. Wenn dieses geordnet, wenn „das Herz am rechten Fleck ist“, dann darf man den Gefühlen die Freiheit geben. Dann wandelt sich die Atmosphäre einer Szene. Da ist die Sünde vergeben und ein neues Leben kann beginnen.