Der Beruf des Priesters aussichtlos?
Der Beruf des Priesters aussichtlos?Wenn der Beruf des Priesters in der modernen Gesellschaft eine Bedeutung haben soll, sollte man folgendes beachten: Es geht darum, den Menschen, der/die zu einem kommt mit seiner Geschichte in seiner Einmaligkeit und in seiner Würde ernst zu nehmen. Es gilt auf den Beruf des Psychotherapeuten zu schauen, der massenhaft überlaufen ist. Was kann man von ihm übernehmen? Die Grundeinstellung, die von einem Psychotherapeuten verlangt wird, lautet nach dem Psychotherapeuten Carl Rogers: Bedingungslose Wertschätzung, einfühlendes Verstehen und Authentizität. Dazu braucht es eine eigene Psychoanalyse oder eine gleichwertige Selbsterfahrung als begleiteter Lebensprozess. Psychoanalyse ist nichts anderes als die Reinigung von lebensfeindlichen Einstellungen und die Befähigung zur bedingungslosen Wertschätzung und zu gelingenden Beziehungen, ein Prozess zur Authentizität. Im Grund geht es um die Befähigung zur bedingungslosen Nächstenliebe. Warum sollte diese Anforderung nicht für jeden gelten, der das Evangelium verkünden und sogar Christus vertreten will? Es ist die große Chance für jede/n Seelsorger/in, um in seiner/ihrer Tätigkeit Erfolg und Erfüllung zu finden. Im theologischen Denken wie in der Ausbildung müssten deshalb die Ansätze der Psychotherapie, der humanistischen wie der Tiefenpsychologie integriert sein. Es geht um den ehrlichen Blick in das eigene Herz, psychologisch um Bewusstwerdung des Unbewussten, um die Wandlung des Herzens, die im Evangelium verlangt wird.
Die Grundfrage der Kirche ist heute:
Die Religion im Abseits
a) Wie werden Menschen wieder religiös? b) Wie kann das Religiöse wieder die Kraft gewinnen, die Gesellschaft zu gestalten und nicht deren Opfer zu sein?
Ohne das Religiöse als eigene Dimension und eigenen Wert bleibt von Kirche nichts als eine humanitäre Gesellschaft, die mit ihren moralischen Appellen kaum etwas erreicht und schon längst unglaubwürdig geworden ist. In der absoluten Stille wird das Organ für das Religiöse, für Transzendenzerfahrung geweckt. Dies kann in der Anbetung geschehen, welche aber den vollen Glauben schon voraussetzt. Für die, welche nicht religiös sind, ist die absolute Stille der Zen-Praxis ein wirksamer Zugang . Das Religiöse als Erfahrung erholt sich. Der Leib wird miteinbezogen und die Persönlichkeit verändert sich. Die Vertikale der Existenz, das Betroffen-sein tritt in den Vordergrund und wirkt. Die Motivationen und Interessen werden anders, Menschen wandeln sich von innen her, von selbst, was über Appelle und selbst guten Willen nicht geschieht. Wer von solcher Erfahrung geprägt ist, wird als Leiter, als Mitwirkender und Teilnehmer Gottesdienste als erfüllend und anziehend erleben und sogar eine Sehnsucht danach verspüren. Dies können Personen bezeugen, die über Jahre das regelmäßige Sitzen in der Stille praktizieren. Ich praktiziere auf dieser Grundlage Seelsorge seit mehr als 40 Jahren mit dem Ergebnis:
Eigene Erfahrung
a) Es kann jeder kommen, ob gläubig oder nichtgläubig, ob religiös oder religiös unmusikalisch, ob mit Sünden oder mit Problemen der Partnerschaft.
b) Es geschieht echte Veränderung bzw. Besserung, Bewältigung von tief liegenden Konflikten.
c) Menschen finden Sinn für ihr Leben und zum Glauben, weil sie den Wert des Religiösen für ihr Leben wiederentdeckt haben.
Unter diesen Voraussetzungen wäre es dann weniger wichtig, ob sich jemand als Mann oder als Frau, ob unverheiratet oder verheiratet für diesen Beruf bewirbt. So ist es in der Psychotherapie und im Zen. Es gibt Zen-Meisterinnen wie Zen-Meister, entscheidend ist die therapeutische und spirituelle Kompetenz. Bei der Diskussion um die priesterliche Lebensweise müsste diese Denkweise um sich greifen, wenn ein haltbares, nachhaltiges Ergebnis zustande kommen soll. Wer immer in diesem Sinn den Beruf vertritt, braucht sich um seine Bedeutung in der modernen Gesellschaft zu sorgen..
Fester Grund
Andererseits muss der Leiter einer Gruppe, einer Gemeinschaft oder einer Ge-meinde nicht nur Einfühlung aufbringen, sondern auch ein¬deutig Stellung nehmen. Nur so entsteht emotionale Sicher¬heit. Voraussetzung dafür ist neben der geistigen Auseinander¬setzung die Durchbildung der Gefühle.
Als zweiter Anstoß ergibt sich, die Einstellung zur Vitalität zu überprüfen, d. h. zu Impulsen der positiven Aggression und der Sexualität. Inwieweit gelingt es, die Dynamik die¬ser urmenschlichen Kräfte in ihrem Wert anzuerkennen und in die rechten Wege zu leiten. Ein Ab¬schnüren der eigenen Impulse verhindert die Lebendigkeit, die Reifung der Persönlichkeit und nimmt auch dem Glauben sei¬nen natürlichen, lebendigen Grund. Dabei geht es darum, inmitten und mittels all der schöpferischen Vitalkräften jene Urkraft zu er¬spüren, die zur inneren Ordnung und zum Sinn treibt.
Drittens ist die enge Verbindung des Seelischen mit dem Religi¬ösen zu beachten. Für die säkularisierten, kritischen von Kirche und Glauben Entfernten ist eine Begründung des Glaubens von der Innenseite der Seele, d. h. vom Erleben her möglich. Die innere Hinführung ist überzeugender als der Aufweis von äußeren Gründen. Sie regt einen Prozess an, überfordert nicht und lässt Freiheit. Logische Beweisketten jedoch haben etwas Zwin¬gendes und Unlebendiges an sich, lassen das Herz kalt und werden mit Gegenargumenten zu¬rückgewiesen. Entscheidend ist, ob Betroffenheit ausgelöst wird.
Betroffenheit ist das Gegenteil von Gleichgültigkeit, die Jan Loffeld gegenüber allem Religiösen beklagt. Es geht um einen Vorgang, der beide Seiten berührt.. Für die Gleichgültigkeit kann ich den andern nicht verantwortlich machen.
Keine Schuldverteilung
Wenn er sich für mein Angebot nicht interessiert, kann ich ihm nicht die Schuld zuschieben. Besser ist es, dahin zu schauen, was den andern beschäftigt, worunter der andere leidet, welche Freuden und welche Sorgen ihn umtreibt. Dies hat Papst Johannes XXIII bestens vermocht, als er in Venedig mit den Leuten auf dem Fährboot sprach, mit einem Zeitungshändler oder mit den Arbeitern im päpstlichen Palast, die sich wegen der niedrigen Löhne beklagten. Er hat kaum jemand zu einem besseren religiösen Leben bekehrt, aber er hat sich von ihren Sorgen berühren lassen und ihre Herzen geöffnet. Es wäre zu wünschen, dass diese Haltung auf breiter Ebene im Hinblick auf Kirche und moderne Welt spürbar wäre. Stattdessen erleben Menschen kirchliches- theologisches Reden als abgehoben von der Realität, in der sie leben. Die Aufmerksamkeit wird dann geweckt, wenn die Welt der Hörer angesprochen wird und der Redner von eigenen Erfahrungen ergriffen ist. Die eigene Betroffenheit weckt die der andern. Darin liegt die große Ausstrahlung des Dalai Lama und von Jesus selbst, und die Chance, den Kontakt zu einer säkularisierten Welt herzustellen.
Viertens ist die Funktion der Symbole hervorzuheben.
C.G.Jung sagt, wir brauchen ein symbolisches Leben.In einer vom zweckrationalem Denken geprägten Welt erstickt die Seele. Umso wichtiger sind zweckfreie Räume, Vorstellungen und Handlungen, in denen die Seele aufatmen kann und einen hohen Wert erfährt. Unter diesem Aspekt hat Kirche mit ihrem Angebot der Liturgie und der spirituelle gefüllten Räume eine zentrale Bedeutung für Gesellschaft.
Die Bedeutung der Symbole für die Existenz des Menschen ista als allererstes in den Träumen zu finden. Sie sind die Sprache der Instanz in uns, welche unser Schicksal bestimmt.
Ihre Bil¬der und Symbole der Hl. Schrift und der Liturgie entsprechen den Bildern der Seele, welche in den Träumen aufscheinen. Sie schlagen eine Brücke von der kirchli¬chen Lehre zum Erleben der Menschen und damit vom Glau¬ben zum Leben.
Aus dem Leben geboren
Andererseits wird auf dieser Ebene der Glaube aus dem Leben und das Leben aus dem Glauben geboren und die Schicht der Affekte mit einbezogen. Daraus erst wachsen existentieller Sinn und Ganzheit. Bilder regen das Erleben an, erfassen den Menschen mit Gefühl und Verstand. Darin besteht die Übung der Kontemplation und der Traumdeutung.
Der fünfte und wichtigste Aspekt ist: Der Weg zu Gott muss nicht gegen den Drang zur Selbstwerdung erkämpft werden. Selbst-findung, Du-findung und Gott-findung korrelieren viel¬mehr im Raum des Glaubens. Was mich mir selbst, was mich anderen und Gott näher bringt lässt sich nicht voneinander trennen. Gefordert ist ein ehrliches Interesse an sich selbst, am Verlauf des weiteren Lebensweges, welchen die eigene Einstellung wesentlich mitbestimmt. Wie nahe sich Selbstfindung und Gottfindung sind, kommt in den Worten von Nikolaus von Kues am treffendsten zum Ausdruck.
„Gott, wie wirst du dich mir geben, wenn du mich nicht mir selbst gibst?
Wenn ich im Schweigen der Betrachtung ruhe, antwortest du mir, Herr, tief in meinem Herzen und sagst: Sei du dein und ich werde dein sein! Gehöre ich nicht mir selbst, so gehörst du auch nicht mir. Du nötigst insofern meine Freiheit, da du nicht mein sein kannst,
wenn ich nicht mein bin."
Die frohe Botschaft lautet:
Gott ist dort, wo ich ganz ich selbst bin. Ich darf ganz ich selbst sein. Wenn ich das bin, kann ich auch anderen Menschen am meisten bedeuten, ihnen nahekommen und ihnen helfen.
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