24.Sonntag im Jahreskreis

Liturgische Texte: www.erzabtei-beuron.de/schott

Die Sünde, die ihren Namen verloren hat

Wir werden heute mit einer Seite Jesu konfrontiert, die damals in der guten Gesellschaft Ärger erregte. Er gibt sich mit denen ab, die ihn um den guten Ruf bringen. In einem Zug werden sie Zöllner und Sünder genannt. Ihnen gilt seine besondere Zuwendung. Sollen wir uns nun als Sünder fühlen, damit wir Jesus umso näher kommen?

Die Sünde ist im Sprachgebrauch abhanden gekommen. Die Zeit ist vorbei, in der man sich die Vergebung in der Beichte holte. Eigentlich müsste ja eine sündenfreie Zeit angebrochen sein, wo Menschen ohne Konflikte, in tiefem Frieden und in vollster Harmonie miteinander leben. Ein Blick in das alltägliche Leben zeigt ein ganz anderes Bild. Da sieht man in den politischen Auseinandersetzungen, am Arbeitsplatz, im privaten Bereich eher Schlachtfelder. Es ist häufig ein Hauen und Stechen um das bloße Überleben. Menschen entwerten und entwürdigen einander.

Sünde ist keine Erfindung, sie ist auch nicht abgeschafft, sondern sie ist Tatsache. Aber sie hat andere Namen. Die Menschen fühlen sich nicht mehr „sündig“, wohl aber gibt es genug, die sich als betrogen, gedemütigt, klein gemacht und erniedrigt bezeichnen würden. Von wem immer dies geschehen sein mag, vom Lebenspartner, vom Arbeitgeber, von den Behörden, von der Politik, es läuft immer darauf hinaus, dass dunkle Emotionen, Enttäuschung, Zorn und Hass die Stimmung beherrschen und den Blick für die Wirklichkeit verstellen, die Absichten in die falsche Richtung lenken und das anderen antun, was einem selbst angetan wurde.

Paulus verwendet für Sünde das Wort „hamartia”, was nichts anderes als „Verfehlung” bedeutet. Es meint, dass man die Wirklichkeit verfehlt, sowohl die eigene wie die der andern, dass man den Sinn der eigenen Geschichte und seines Wesens nicht begriffen hat; dass man den andern nicht versteht und aneinander vorbeiredet; dass man um sich Schutzwälle von Vermutungen, Unterstellungen, falschen Ansichten aufbaut. Weil wir selbst verbittert, missgestimmt und traurig sind, sehen wir die Welt auch mit diesen getrübten Augen und sehen in den andern die Ursache unseres Elends. Das Bedrückende sind nicht Schuldgefühle, sondern eher die Ausweglosigkeit einer verfahrenen Situation, wo man nicht mehr weiter weiß, wo keine Aussicht auf eine glückliche Veränderung besteht. „Sünde“ im ursprünglichen Sinn ist tiefer und umfassender als das, was einem als Verfehlung bei der Gewissenserforschung einfällt. Es hat mit jenem Bereich zu tun, der schon da ist, noch bevor wir anfangen zu denken. Niemand hat sich seine Eltern ausgesucht und die Art, wie man als Kind angenommen wurde, wie mit einem umgegangen wurde, welche emotionale Nahrung man mit bekommen hat. Wir tragen die Schätze und die Lasten unserer Ahnen und deren Welt in uns. Wir erben nicht nur das Guthaben sondern auch die Schulden unserer Eltern. Genau diese Gegebenheiten machen es aus, ob man als Erwachsener mit sich und der Welt zurechtkommt. Sie geben die Richtung unserer Überzeugungen und unseres Handelns vor. Was noch dazu kommt: Sie sind nicht unmittelbar zugänglich und noch weniger können wir daran aus eigener Kraft etwas ändern.Es ist wie ein Netz, in dem man gefangen ist.

Es sollte deutlich werden, dass es eine Macht gibt, die über unseren vernünftigen Überlegungen und über unserem guten Willen steht. Kein anderer als Paulus, der vom grimmigen Verfolger zum Apostel Christi wurde, hat dies anhand seiner eigenen Geschichte erkannt. Er spricht von der Macht der Sünde und er weiß, was er sagt. „Nicht das Gute, das ich will, tue ich, sondern das Böse, das ich nicht will ... Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann bin nicht mehr ich es, der so handelt, sondern die in mir wohnende Sünde.“ (Röm 7, 19,20). Er sieht sich als Gefangener, der sich selbst nicht befreien kann. Daran sollten wir denken, wenn im Evangelium von „Sündern" die Rede ist.

Jesus weiß um diese Hintergründe und auch um den Schlüssel, den Teufelskreis zu durchbrechen. Es ist wahr: Jeder sehnt sich im Innersten danach, als vollwertiger Mensch gesehen, verstanden und angenommen zu sein. Die falschen Wege, die einer geht, haben ihre Ursache darin, dass dies in seinem Leben nicht geschehen ist. Jesus spricht diesen Punkt an und dies nicht nur mit Worten noch mehr in der ganzen Art, wie er mit Menschen umgeht. Leute, von denen sich ein anständiger Mensch fernhält, die uns bekannten Zöllner und andere ihrer Art duldet er nicht nur in seiner Nähe. Er sucht sie sogar auf, isst und trinkt mit ihnen. Einen von ihnen, Matthäus macht er zum Apostel. Er findet bei denen, die sich gegen Brauch und Herkommen verfehlen und die Moral untergraben, keine grimmigen, verschlagenen, hinterhältigen Gesichter. Er begegnet Menschen, die auf der Suche sind nach ein bisschen Anerkennung und Wärme, nach einem guten Wort, die sich freuen, dass er kommt. Dies ist für sie völlig neu und überraschend: Da ist jemand, der sie nicht ablehnt und verachtet, der sich sogar für sie interessiert, sie erzählen lässt und ernst nimmt. Sie erfahren eine Zuwendung, die sie in ihrem Leben noch nie gekannt hatten. Es trifft sie an der Stelle ihrer Seele, wo Gefühle und Motive ihren Sitz haben. Von hier aus wird ihre innere Welt umgedreht. Von Jesus geht eine Kraft aus, die Menschen gerade dort erreicht, wo ihr lebenslanger Schmerz sitzt, und diesen heilt. Darin dürfen wir die „göttliche Vollmacht" sehen, die von ihm gesagt wird, mehr sogar als in den Wundern. Jesus findet bei den „Sündern“ das Echo von dem, was er vermitteln will.

Deshalb ist seine Freude über sie  groß. Es ist die Freude des Hirten, der um sein Schaf gebangt und dafür seine ganze Herde aufs Spiel gesetzt hat; es ist die Freude der Frau, die das Geldstück für den Einkauf gefunden hat; es ist die Freude des Vaters, dessen Sorge um den Sohn ein glückliches Ende nimmt und der seinen Jubel feiern will. So feiert Jesus mit denen, die ihn brauchen und verstehen, ein gemeinsames Fest.