„Ich möchte ein Kloster gründen".

Ein Gespräch mit einem Mann um die 40 ergab folgendes: Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann und hatte eine Familie. Aber er hat  alles verloren. Er hatte alles auf Aktien gesetzt. Als die Kurse einbrachen, verlor er sein ganzes Vermögen. Ebenso zerbrach seine Familie.
Voller Begeisterung erzählt er von seinen ersten Selbsterfahrungskursen. Da sei es ganz anders gewesen als im so trüben Alltag. Da habe er eine völlig neue Welt kennen gelernt. Es sei möglich gewesen, offen aufeinander zuzugehen, einander zu sagen, was einen bedrückt. Es war eine Atmosphäre der spontanen herzlichen Begegnung. Man musste sich nicht vor einander in Acht nehmen, sondern man durfte sich einmal so zeigen, wie man wirklich ist.
Menschen, denen er anschließend begegnete, wunderten sich über seine ausstrahlende Freundlichkeit. Er selbst musste aber bald einsehen, dass seine  neue Art  sehr bald an Grenzen stieß. Er spürte die Härte und Kälte seiner Umwelt und der täglichen Belastung umso intensiver. Und dann kommt er auf einen Traum zu sprechen, den er schon lange hegt:
Er träumt von einer Gemeinschaft, wo kreatives Handeln ansteckend ist, wo Kritik am Bisherigen möglich, noch mehr aber  neue Ansätze des spirituellen Lebens wie eines neuen Lebensgefühls willkommen sind. Er möchte ein Kloster gründen, in dem es so zugeht, wie er es auf dem Seminar des positiven Denkens erlebt hatte. Er stellt sich vor, man könne dorthin kommen, und dort diese Atmosphäre der Freiheit, der Leichtigkeit, des Wohlwollens, der gegenseitigen Annahme antreffen, das vom eigenen Können anbieten, was anderen gut tut, einen Raum aufbauen, wo nicht Misstrauen, Übervorteilung, Ängste und nackte Gewalt herrschen, sondern ein Leben im gegenseitigen Vertrauen, das echte Heimat sein kann. Ließe sich dieser Traum verwirklichen? Wie sieht es nun real mit Klöstern aus?

Die Klöster vor dem Ende

 Bei nüchterner Betrachtung droht  das Ende der Klöster. In einem ganz großen Teil der Gemeinschaften ist die oder der Jüngste über 70. Vor allen sozial- und seelsorglich tätige Orden mussten in den letzten 50 Jahren bis zu 90% ihrer Niederlassungen schließen.
Die Auflösung eines Klosters ist ein bedrückendes Ereignis. Es ist der Abschied von einem Ort des Vertrauens, wo viele ihre religiöse Heimat gefunden hatten. Es verschwindet ein Raum, der still ist und doch belebt, wo man seine Sorgen abladen und aufatmen kann, der frei ist von Interessen, der einer Gegend oder einer Stadt eine bestimmte Qualität verleiht.
In den Ordenshäusern sieht man zur Zeit kaum noch jüngere Gesichter. Wenn man der Situation ernsthaft ins Auge schaut, werden in 10 bis 15 Jahren die meisten Klöster verschwunden sein. Es findet eine Säkularisierung statt, welche an die vor 200 Jahren erinnert, aber doch anders ist. Es geht es nicht um Herrschaftsgebiete und Kunstgegenstände. Während damals die Aufhebung der Klöster von einer aufgeklärten Regierung verordnet wurde, sind heute viele Orden von sich aus nicht mehr lebensfähig.
Die Ideen der Aufklärung erfassten damals nur die Gebildeten aus Adel und Großbürgertum, während die Mehrheit der Bevölkerung vor allem auf dem Land davon unberührt blieb. Nachdem die Zeiten wieder ruhiger wurden- etwa in den dreißiger Jahren des 19.Jahrhunderts - konnte die Kirche durch Volksmissionen, durch Bildungsangebote, vor allem durch soziale Werke wieder an Einfluss gewinnen. Die alten Orden erholten sich wieder, es entstanden sogar neue. Die zweite Hälfte des 19.Jahrhunderts war sogar eine Blütezeit der Gründungen. Eines kommt noch hinzu: Die Kirche hatte durch die Internate in manchen Gegenden das Bildungsmonopol. Für Kinder auf dem Land vor allem aus ärmeren Verhältnissen waren die Internate der Diözese und der Orden die einzige Chance einer höheren Bildung. Die Einrichtungen waren darauf ausgerichtet, durch Studium, durch Einübung der Frömmigkeit, des Gehorsams, der Armut und der Keuschheit auf das hohe Gut des Priester-und Ordensstandes vorzubereiten. So lieferten sie den benötigten Nachwuchs und schlossen den Kreislauf des kirchlichen Milieus. Es war ein sozialer Aufstieg auch für viele, die nicht den kirchlichen Beruf wählten.
Aber die Herausforderung der Aufklärung wurde nicht angenommen und die geistigen Strömungen gingen an der Kirche vorbei. So gab es denn die vielen Konflikte zwischen Liberalen und denen, die treu zur Tradition hielten.
Der große Einbruch geschah vor mehr als 50 Jahren. Es waren die sogenannten achtundsechziger Jahre, welche auch als Aufstand der Jugend bezeichnet werden. Sie brachten eine völlig neue Lebenseinstellung auf breiter Basis. Das alte System, in dem aus einem religiös geprägten Milieu Priester und Ordensleute hervorgehen, funktioniert seitdem nicht mehr. Die Geschlossenheit, in der liberale und kirchenkritische Einflüsse abgewehrt wurden, wurde durch die modernen Medien, Berufs-und Freizeitwelt durchbrochen.

Das moderne Lebensgefühl

Kern und Angelpunkt des neuen Lebensgefühls, ist das Verhältnis zur Autorität, zu den vorgegebenen Normen und Werten der Tradition.
Die Aufklärung des 18.Jahrhunderts, auf welche die moderne Einstellung zurückgeht, lässt sich auf ein grundlegendes Postulat zurückführen. Es ist die Mündigkeit und Eigenständigkeit des Menschen, seine Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Nicht mehr das ist richtig und wert zu befolgen, was die Autoritäten -Eltern, Schule, Kirche - sagen, sondern was man selbst erfahren hat und wozu eigenes Denken .hinführt..
Man möchte ergründen, was an den Dingen ist, vor allem, was den ganz persönlichen Bereich anbelangt. Er erstreckt sich nicht nur auf den intimen Bereich, auch auf die religiöse Ausrichtung. Die Kirche als Autorität in Fragen des Glaubens und der Normen gilt selbst bei denen nicht mehr, die aus einer kirchlich geprägten Familie stammen.
Stellt man nun diese Einstellung der gegenüber, die noch die meisten heute Mitglieder von Orden geprägt hat, so könnte man sich den Gegensatz nicht größer vorstellen.
Die Einführung in den Orden-das sogenannte Noviziat- bestand darin, den/die einzelnen Bewerber/in an die bestehende Struktur des Ordens anzupassen. Das bedeutete Ordensname, Ordenskleidung, die Einhaltung der Gebetszeiten, Ablauf des Gebetes, der Umgang miteinander und die Einordnung in die Gemeinschaft. Grundlegend war die Ausrichtung auf die Oberen. Man musste selbst bei Kleinigkeiten um Erlaubnis bitten. Es sollte zugleich eine Übung der Demut sein, eine Tugend, die zur Substanz des Ordenslebens gehörte. Die einzelnen Regeln stammten aus einer Zeit, in der auf den Höfen der Bauer als unumschränkter Herrscher über Knechte und Mägde, in den bürgerlichen Familien die „Herrschaft" über Dienstboten und im Staat der Landesfürst regierte.
Kritik am Bestehenden war ausgeschlossen. Das Leben im Kloster war ja Gott geweiht, galt als solches als verdienstvoll und demnach als hohes Ideal, um dessen willen Opfer und Strenge gegen sich selbst gefordert sind. Der Gehorsam dem Oberen gegenüber wurde mit Gehorsam Jesu dem Vater das heißt Gott gegenüber begründet. Widerspruch und eigene Auffassung wurden als Zeichen gesehen, dass die betreffende Person für das Ordensleben nicht geeignet sei. Noch dazu war die Strenge ein Wert an sich, der zum Kennzeichen mancher Orden gehörte.
Nach dem Konzil wurden die harten Vorschriften wesentlich gelockert, die Orden gaben sich neue Satzungen, die der Absicht des Gründers wie dem modernen Lebensgefühl genügen sollten. Dies ist offensichtlich nicht gelungen .Selbst wenn von der alten Strenge kaum noch etwas vorhanden ist, empfinden junge Menschen eine Atmosphäre, die geprägt ist von der Generation ihrer Großeltern, als bedrückend.Die Kluft zwischen dem Drang nach Individualisierung, nach Unabhängigkeit, nach eigener Meinung und Gemeinschaften, die Unterordnung verlangen, scheint unüberwindbar.

Orientierung am Ursprung

Hier dürfen wir die Gründer selbst zu Rate ziehen. Der heilige Franziskus hat sich auf der Suche nach seiner Berufung keiner schon bestehenden Gemeinschaft untergeordnet, keiner äußeren Struktur angepasst. Als er mit seinem Vater brach, war er in den Augen der Leute ein Niemand, kein Kaufmann, kein Handwerker, kein Mönch und schon gar kein Heiliger, nicht einmal ein Bettler im üblichen Sinn. Aber gerade darin war er ganz er selbst.. Er hat ein Höchstmaß an Individualität verwirklicht. Es war sein ganz eigener Weg, welcher ihn zu dem machte, als der er bewundert wird. Seine überraschenden, treffenden Bemerkungen und Reaktionen, seine originellen Einfälle, seine Ausstrahlung und Anziehungskraft sind nicht Ergebnisse einer willentlichen Disziplinierung, sondern seiner ureigensten Entwicklung, die von einer überwältigenden religiösen Erfahrung geprägt ist. Er nennt es „die Süße", die ihn anzog und weiter und weiter lockte".
Es ist die Spur Gottes, auf der einem nichts von außen übergestülpt wird, die vielmehr dorthin führt, wo jeder/r ganz sie/er selbst sein darf. Der Wille Gottes ist nicht Fremdbestimmung, sondern liegt auf der Ebene, wo wir nicht mehr von außen bestimmt sind, sondern von dem, was in der Tiefe unseres Herzens vorgeht.

Damit ist auch die Grundforderung der Moderne nach eigener Erfahrung und Selbstbestimmung erfüllt.

Nicht Imitation, sondern Inspiration

Die Frage, warum das Modell Franziskus als konkretes Leben in seinem Orden so wenig greift, steht im Mittelpunkt der Überlegungen. Der Eifer, seine Liebe zu den Armen, zur Schöpfung und zum Frieden in die heutige Wirklichkeit zu übersetzen, steckt offensichtlich in einer Sackgasse. Hier sollte eine Wahrheit herausgestellt werden: Willentliche Anstrengung kann nicht die spontane, nicht gemachte Ausstrahlung ersetzen. Gerade diese ist die Substanz des Heiligen. Es braucht dazu einen Erlebnisprozess, wie ihn das Vorbild durchgestanden hat. Er kann jeweils nur der ganz eigene sein.

Wie Franziskus seinen Weg gegangen ist, so muss ich den meinigen gehen;                                                                                                                                                                                            wie er sein Leben bestanden hat, so muss ich das meinige in meiner Zeit, in meiner Situation, mit meinen Mitteln bestehen.                                                                                                                     Um dem Ziel gerecht zu werden, kann es sogar nötig werden, einige Zeit von dem bewunderten Vorbild Abstand zu nehmen. Nicht die Imitation, die Nachahmung seines äußeren Tuns, bringt uns weiter, sondern die Inspiration, die Anregung zur eigenen Erfahrung und Entwicklung. Wird diese mit innerer Konsequenz verfolgt, kommt in den Erlebnisraum des Heiligen, das heißt dass man nachempfinden kann, wie er gedacht, gefühlt und gebetet hat. Erst auf dieser Basis ist authentisches Handeln im Sinne des Heiligen möglich.

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