Reifen zur Liebe

Wie unauflöslich ist die Ehe?

 

Die Wirklichkeit heute und das Gesetz der Kirche

In der Bundesrepublik werden etwa jedes Jahr 100 000 Ehen geschieden, von drei geschlossenen Ehen wird statistisch eine wieder aufgelöst. Nach der Lehre der römisch-katholischen Kirche ist eine gültig geschlossene und vollzogene Ehe zweier Getaufter unauflöslich. Als Begründung wird der Wille Jesu angeführt.

In der Bergpredigt sagt Jesus: "Es wurde gesagt: "Wer seine Frau entlassen will, stelle ihr einen Scheidebrief aus. Ich aber sage euch: Jeder, der seine Frau entläßt - auch der Unzuchtsgrund gilt nicht - gibt Anlaß, daß sie zum Ehebruch verführt wird, und wer eine Entlassene heiratet, begeht Ehebruch". (Mt 5, 31 f). An anderer Stelle heißt es: "Habt ihr nicht gelesen, daß der Schöpfer von Anfang an sie als Mann und Frau geschaffen und gesagt hat: Deshalb wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhangen und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott verbunden hat, soll ein Mensch nicht trennen". (Mt 19, 4-6). "Mose hat euch eurer Herzenshärte wegen erlaubt, eure Frauen zu entlassen, doch von Anfang an ist es nicht so gewesen. Ich sage euch: Wer seine Frau entläßt - nicht geschehe es auf Grund von Unzucht - und eine andere heiratet, bricht die Ehe, und wer eine Entlassene heiratet, bricht die Ehe" (Mt, 8-9).

Die Kirche meint nun, der Zerfallserscheinung mit umso eindringlicheren Appellen an die Treue der Ehepartner und mit der alten Unnachgiebigkeit in der Behandlung der Geschiedenen entgegenwirken zu können. Das bedeutet weiterhin Ausschluß vom Empfang der Sakramente bei Wiederverheiratung nach einer Scheidung; wer bei der Kirche angestellt ist, für den hat eine nur zivil geschlossene Ehe, wo eine kirchliche Trauung wegen der ersten Ehe eines Partners nicht möglich ist, die Entlassung aus dem Dienst zur Folge.

Gewiß, es gibt inzwischen im Raum der Kirche eine differenziertere Betrachtung der Situation Geschiedener - etwa auf der Synode in Würzburg 1974 - es gibt inzwischen auch kirchlich geförderte Ehevorbereitungskurse; aber die Grundmaxime der Kirche angenommen werden - in Bezug auf Sexualität ist nach wie vor in zwei Sätzen zusammengefasst: "Die menschliche Sexualität ist ein menschliches und moralisches Gut nur innerhalb der Ehe, und diese ist unauflöslich".

Lehrzeit der Liebe

Demgegenüber spricht Eugen Drewermann von einer Lehrzeit der Liebe und von einer Inkubationszeit des Hasses und vom Recht auf Scheidung und Wiederverheiratung in der katholischen Kirche.

Er wirft der offiziellen kirchlichen Lehre vor, dass ihre Auffassung von Treue und endgültiger Hingabe viel zu abstrakt konzipiert sei, nicht dem tatsächlichen Erleben und möglichen Handeln der Menschen entspreche, vor allem ein Sprechen von Gott miteinschließe, das einem latenten Verrat der katholischen Anthropologie und Sakramentenlehre gleichkomme. Damit meint Drewermann die Art, wie man den Begriff Treue interpretiert.

Die Auffassung, dass der Bestand einer Ehe einzig allein von der Treue, verstanden als guten Willen und festen Vorsatz, abhängt, widerspricht nach D. der kirchlichen Lehre, dass der Mensch durch seinen bloßen Willen zum Guten nicht fähig sei: Vielmehr bedürfe er immer der Gnade Gottes.

Treue sieht D. als eine Folge der Liebe, und sie hat deshalb nur in Zusammenhang mit ihr einen Sinn. Aber was ist, wenn die Liebe erloschen ist? Oder nie da war? D. wendet sich gegen eine moraltheologische und kirchenrechtliche Wertung von Scheidung, welche in jedem Zerbrechen einer Ehe "Untreue" und "Schuld" sieht. Sein Grundanliegen ist, so von der Sakramentalität der Ehe zu sprechen, dass daraus Kategorien sowohl für das Gelingen als für das Scheitern einer Ehe abgeleitet werden können.

Dazu gehört die Anerkennung des Tragischen im menschlichen Leben, das bedeutet, dass man trotz besten Willens und Gewissens im Leben schuldig werden kann; dass es Situationen gibt, wo die Einhaltung des Gesetzes unendlich mehr Unheil anrichtet als die Übertretung: man denke an die Nazizeit, wo formaler Ungehorsam gegenüber dem Staat oft das Richtigere gewesen wäre.

Ein Beispiel ist Franz Jägerstätter, der den Kriegsdienst verweigerte und dafür mit dem Leben bezahlen musste.

Das Tragische im Menschenleben hat - so Drewermann - seinen Grund darin, dass unser kleines Ich im Wesentlichen nicht viel vermag, vielmehr von den Kräften, Konstellationen, Vorgängen des Unbewussten abhängig ist. Gerade in einer so engen Lebensgemeinschaft wie der Ehe und Familie sind die Wirkungskräfte des Unbewussten entscheidend am Gelingen oder Misslingen beteiligt. Gerne beruft sich D. auf Freud, der sagte, man müsse den Menschen mit Barmherzigkeit betrachten. Dagegen bezeichnet D. die Folgerungen, die die Kirche aus dem Herrenwort von der Unauflöslichkeit der Ehe zieht, als grausam und ungerecht.

Die Übertragungsliebe

Viele Frauen, die in einer Ehekrise stecken, sagen: Ich habe mich in meinem Mann furchtbar getäuscht. Vor unserer Heirat und zu Beginn unserer Ehe war er so liebenswürdig, so fürsorglich. Ich konnte mich auf ihn verlassen. Aber dann wurde er zum furchtbaren Tyrannen, der nur seinen Willen gelten lässt.

Mein Mann heute ist nicht der, den ich geheiratet habe"!

Ähnlich klagt ein Mann über seine Frau, sie sei gefühlskalt, eigensinnig - ganz anders als früher. Meistens aber hat sich nicht der andere verändert, sondern man war einer Illusion erlegen. Freud nennt eine solche Illusion vom geliebten Menschen Übertragungsliebe.

Übertragung in der Psychoanalyse meint, daß Erfahrungen der frühen Kindheit auf den Menschen, mit dem ich im engen Kontakt stehe, übertragen werden und damit alle Reaktionsmuster, alle Erwartungen und alle Ängste.

Wenn der andere zur Projektionsfläche kindlicher Übertragungen wird, regrediert ein erwachsener Mensch in bestimmter Hinsicht auf der Stufe eines Kindes. Dies zeigt sich im kindischen Verhalten; weil Ängste eines Kindes, verlassen zu werden, Lebensängste sind, kann man manche Eifersuchtsszene mit maßlosen Vorwürfen und erpresserischen Drohungen eher verstehen. Der Geliebte muss so sein wie man es vom Vater oder der Mutter erwartet. Wie ist es aber, wenn die eigenen Eltern gar nie so waren? Im Unterschied zu Freud, der meint, dass ein Mensch alles in seiner eigenen Lebensgeschichte gelernt hat, kommt Jung zu der Überzeugung, dass in jedem Menschen die Vorstellungen von Vater und Mutter bereits angelegt sind, ähnlich wie die angeborenen auslösenden Mechanismen verschiedener Vogelarten, ihr Nest zu bauen. Jung nennt diese Vorstellung E1tern-Imago, was Eltern- Bild heißt. Der eine Partner sucht beim andern die Wärme, den Schutz, die Sicherheit, die ihm nur der Vater bzw. die Mutter geben könnte oder hätte geben können. Je weniger die Erwartungen in der Kindheit erfüllt wurden, desto höher sind sie jetzt, und desto größer ist das Ausmaß der Illusion. Man stülpt dem ändern eine Sicht der Persönlichkeit über, die er gar nicht ist. Dies ist ein ständiger Anlass zu Enttäuschungen. Eine Form der Übertragu'ngs1iebe wird in dem Märchen "Das Mädchen ohne Hände" dargestellt. Ein Mädchen wird von ihrem Vater dem Teufel geopfert, indem er ihr die Hände abschlägt. Als sie schließlich den Königssohn heiratet, erscheint ihrder Teufel, d.h. die negative Seite der Vater-Imago vertauscht immer die Botschaften. Jede gute Absicht, jede Bemühung des Königs um seine Gemahlin wird ins Gegenteil verkehrt. So ist es, wenn eine Ehe unter Aspekt der Übertragungsliebe geschlossen wurde. Erwartung und Erfüllung kommen nie zusammen und sind ständige Ursachen für Gereiztheit und Konflikte.

D. sagt nun, dass ein solcher Eheabschluss nicht eigentlich zwischen Mann und Frau, sondern im Grunde zwischen einem Ehepartner und einer Elternimago d.h. Wunschvorstellung zustande kommt.

Kennzeichen der Übertragungsliebe ist also eine emotionale Unreife, bzw. eine Unbewusstheit im Gefühlsbereich, was selbst eine akademische Ausbildung nicht verhindert. Dies schließt ein, dass alle guten Absichten in ihr Gegenteil verkehrt werden; dass ein Erwachsener auf den ändern wie Vater und Mutter auf das Kind reagiert und damit den Partner nur in seiner Hilfsbedürftigkeit sieht und sich dabei maßlos überfordert.

Solange die Übertragung fortbesteht, können sich zwei Menschen nicht als erwachsene, freie, von Angst befreite Partner lieben. Die Arbeit der Psychoanalyse bzw. der Eheberatung ist, die Partner aus der neurotischen Situation herauszuholen, d.h. die Übertragungen abzulösen. In vielen Fällen, vor allem, wenn nur ein Partner bereit ist, mitzumachen, bleibt von der Liebe nichts mehr übrig.

Was ist, wenn die Liebe gestorben ist?

D. meint, es war gewiss ein Irrtum in der Person, aber nicht ein Irrtum auf dem inneren Weg der Reifung. Eine missglückte Ehe kann so zu einem wichtigen Schritt zu einer dauernden, tragenden Beziehung werden. Es gehe nicht darum, diese Phase des Lebens als gescheitert zu betrachten. Ein Mensch kommt dann erst zum Frieden mit sich selbst und mit Gott, wenn er auch diesen Abschnitt seines Lebens als zu ihm gehörend annehmen kann.

Das Gebot Jesu und die Psychoanalyse

Das Gebot Jesu von der Unauflöslichkeit der Ehe, ebenso die anderen Gebote der Bergpredigt sind zunächst im Raum des Urchristentums zu verstehen. Die ersten Christen waren von einer gewaltigen spirituellen Kraft erfüllt, durch welche die emotionalen Schwierigkeiten überwunden wurden. Das heißt, durch die Kraft des Geistes war es auch einsichtig und möglich, die Gebote Jesu zu erfüllen. Man könnte auch sagen, die Bergpredigt ist die ethische Norm von Erleuchteten. Sie setzt Menschen voraus, die als Erwachsene zum Glauben an Jesus gefunden hatten.

Die Schritte zum Glauben sind aber zugleich gewaltige Schritte zur Reifung und Selbstfindung. Darin ist die Ablösung von den Eltern als Form der wesentlichen Fremdbestimmung eingeschlossen. Die Nachfolge Jesu, der Eintritt in eine christliche Gemeinde musste meist gegen den Willen der Verwandtschaft erkämpft werden. "Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Weib und Kind, Brüder und Schwestern, ja selbst sein eigenes Leben nicht hasst, so kann er mein Jünger nicht sein (Lk 14, 25-27).

Wenn diese Worte als Schritte zur Selbstfindung im Glauben verstanden werden, so waren sie die Voraussetzung, unter welcher die Unauflöslichkeit der Ehe möglich war.

Weil der Glaubensweg Erwachsener mit der Taufe abgeschlossen wurde, so wurde die Unauflöslichkeit der Ehe mit ihr verbunden. Nur die Ehe der Getauften ist unauflöslich; anders war es, wenn ein heidnischer Ehepartner christlich wurde und sein Gatte im Heidentum bleiben wollte. Paulus gestattete die Freiheit, diesen zu verlassen und auch wieder zu heiraten. Die Schwierigkeit heute ist, dass die Taufe nicht mehr mit dem Glaubensweg und Selbstfindungsweg Erwachsener verbunden ist, dass Taufe nicht mehr emotionale und spirituelle Reife voraussetzt, trotzdem aber rein rechtliche Konsequenzen hat, indem Getaufte keine zweite Ehe bei Lebzeiten des ersten Partners eingehen können. Durch die Kindertaufe und den Ausfall des Reifungsweges im Glauben wurde aus einem Gebot der Liebe ein starres Gesetz.

Jedoch die Gesinnung und der Wille Jesu war es nicht, Menschen mit unerfüllbaren Forderungen zu konfrontieren und zu entmutigen, vielmehr lässt sich auf Schritt und Tritt in den Evangelien absehen, dass Jesus die Not und Schwäche, aber auch ihre Sehnsucht nach Glück ernst nahm. Primär ging es ihm darum, dass sich Menschen ihm im Glauben öffneten.

Wenn wir heute im Sinne Jesu handeln wollen, sollten wir deshalb den Schwerpunkt darauflegen, Heranwachsende und Erwachsene vor der Ehe oder in Ehekrisen zu ganz bewusstem, tieferem Glaubensverständnis hinzuführen. Bewusste, über Selbsterfahrung vollzogene Glaubenswege schließen spirituelle und emotionale Reife mit ein. Damit ergibt sich eine gute Voraussetzung für den Abschluss und den Bestand einer Ehe.